Im eisigen Wind flattern die schnell hingetackerten DIN-A4-Kopien mit dem Schriftzug »Jewrovision 2013« und leiten zum Saal der Kleinen Olympiahalle. Noch wirkt sie leer. Gewissenhafte Journalisten richten sich ein, die Technik verkabelt alles, was sich verkabeln lässt, die ersten Soundchecks der Jugendzentren laufen. Über den Lehnen der Sitze liegen weiße Betttuchbanner mit den fetten Sprüchen der Fans, als wollten sie die Bestuhlung vor Staub schützen. Doch wie kommen sie dahin? Noch fehlen vor allen Dingen die Künstler und ihre Fans. Die ersten Busse halten gegen 20 Uhr vor der Halle.
Dann, kurz vor dem Auftritt, wird es hektisch. »Wo sind Dortmunds Gitarren? Wo sind Dortmunds Gitarren?«, wiederholt der Soundcheck-Koordinator seine Frage. So kurz vor dem Performance wird die Antwort existenziell. Am liebsten will man gleich selbst lossuchen.
Nur wenige Stunden später ist die Stimmung in der gar nicht so winzigen Kleinen Olympiahalle aufgeheizt. Das JuZe Jachad aus Köln hat die Jewrovision 2013 gewonnen. Doch wer hat den frisch polierten Wanderpokal überreicht? Im Freudentrubel ist das nicht mehr auszumachen.
Da hopsen Kinder und Jugendliche auf der Bühne herum, suchen sich, fallen übereinander her, umarmen sich, Freudentränchen laufen, und dazwischen taucht immer wieder der Kopf von Dieter Graumann auf, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, mit seinem breitesten, zufriedensten Lächeln auf dem Gesicht.
Premiere Wahrscheinlich wird er es gewesen sein, der den Pokal überreicht hat, schließlich ist dieses Jahr erstmalig der Zentralrat selbst Veranstalter der Jewrovision, und dabei soll es auch bleiben. Damit hat Dieter Graumann den Jewrovision Song Contest zu seiner Herzens- und Chefsache erklärt. »Ein jüdisches Woodstock der Moderne«, hat er die »Jewro« in seiner Eröffnungsrede genannt und zur Einstimmung schon einmal jedes auftretende Jugendzentrum mit Namen einzeln begrüßt, sodass die Anfeuerungsrunde eröffnet war.
Susan Sideropoulos moderiert. Eine gute Entscheidung, endlich die nervenaufreibende Juryarbeit der letzten Jahre hinter sich zu lassen, eine gute Entscheidung fürs Publikum jedenfalls. Die lockere Blondine trifft den Ton, weiß, worauf es ankommt, und schickt Jüdischkeit ins Publikum. Die Juryarbeit hat sie Gil Ofarim, dem coolen, dem tollen, dem sympathischen Sänger überlassen, der schließlich unter dem Jubel seiner jugendlichen Fans zur Gitarre greift.
jury Ebenfalls zur Fachjury gehörte Nachumi Rosenblatt, Jugendreferent der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden. Dann stimmen noch die Roschim und Chanichim mit ab, alles wohlüberlegt gewichtet, sodass sich die Punktevergeberei nicht ewig hinzieht. Für Kurzweil während der Nachdenkzeit der Juroren sorgt der Special Act des Abends, die rockige Band »Merlin Penniston«.
Bei Leuten über 30 hat die Jewrovision schon Kultstatus erreicht, es ist die zwölfte Auflage. Zur Batmizwa gratulieren Ebi Lehrer, Vorsitzender der ZWST, und Benjamin Bloch, deren Präsident, der Jewrovision in ihrem Grußwort. Für die jungen Fans und Künstler, die immer wieder nachwachsen, ist sie jedes Mal aufregend neu. Bei ihnen hinterlässt sie ihre Spuren, Eindrücke, die halten, bis zum nächsten Mal.
Da gibt es dann auch wieder Tränen der Freude, aber auch der Enttäuschung, unbändige Aufregung, neue Freundschaften, und am Ende dann Abtanzen bis zum Gehtnichtmehr.
Außer man trägt eines dieser verflixten Bändchen am Handgelenk, eines mit der falschen Farbe. Dann ist man zum Tanzen noch zu jung und muss ins Bett. Da ist Marat Schlafstein, Cheforganisator der Jewrovision, unerbittlich.
So weit sind wir aber jetzt noch nicht. Die Kölner sind wirklich gut, gewinnen mit 120 Punkten, was auch an ihrer selbstbewussten Wahl von Adeles James-Bond-Song Skyfall liegt. Wenn Adele irgendwann einmal indisponiert sein sollte, könnte sie locker in Köln um Vertretung anfragen, so viel ist klar.
Doch auch die Dramaturgie der Darbietung überzeugt: Von Trostlosigkeit bis zu überbordender Freude reicht das Spektrum. Das JuZe Olam aus Berlin wird Zweiter, verbreitet Queen-Feeling bis in die letzte Ecke der Halle, rhythmisch wiegen die Leuchtstäbchen im Publikum stilecht hin und her. Für ihr Vorstellungsvideo bekommt es dann auch noch den Extrapreis.
Vorbildlich Die Videos. Sie waren durch die Bank besonders. Keines langweilig. Alle originell. Da kann sich die Eurovision eine Scheibe abschneiden. So wie es dieses Jahr wirklich alle zwölf Jugendzentren geschafft haben, das aktuelle Motto »The Future is Now« mit ihren Texten und Darbietungen nicht nur zu streifen, sondern zu treffen.
Dritter wird JuZe Neshama aus München, musikalisch und was die Choreografie anbelangt, wie immer solide und handwerklich gut. Gewonnen haben wieder alle, weil das bei der Jewrovision so ist, und weil darauf ihr Erfolg beruht. Auch das JuZe Or Chadasch aus Mannheim, das in sein Künstlerteam Jugendliche kleinerer badischer Gemeinden aufgenommen hat, und das JuZe aus Karlsruhe, das kurzerhand nur ein Video ins Rennen schickte.
Auch das geht. Jewrovision lebt, hat zum begleitenden Mini-Machane Kinder und Jugendliche aus über 40 Gemeinden nach München gelockt. Mehr als 800 Kinder und Jugendliche werden es am Ende in der Kleinen Olympiahalle gewesen sein.
»Wir haben einen wunderbaren Abend mit viel Begeisterung erlebt«, resümiert Dieter Graumann. »Ich bin stolz auf unsere jungen Talente. Nicht nur die Sieger, sondern alle Gruppen haben tolle Show-Acts gezeigt und sind somit allesamt Sieger unserer Herzen. Ich freue mich jetzt schon auf die nächste Jewrovision.«