Ende Mai haben sich Stipendiaten der Gerhard C. Starck Stiftung im oberbayerischen Fischbachau zu einem Erfahrungs- und Gedankenaustausch getroffen. Auf dem Programm standen Identitätsfragen ebenso wie die Themen Studium, Israel und Europa. Die Stiftung besteht seit nunmehr zehn Jahren und hat in dieser Zeit 459 jüdische Studenten gefördert, wie Icek Ostrowicz beim abschließenden Abendessen ausführte.
Ostrowicz, ein jüdischer Kaufmann aus Polen, verband eine tiefe Freundschaft mit Gerhard C. Starck. Der Namensgeber der Stiftung, dessen jüdische Mutter bereits als Kind zum Katholizismus konvertiert war, erlebte die Bedrohung jüdischen Lebens während der Schoa selbst mit. In vielen Gesprächen von Starck und Ostrowicz kristallisierte sich der Wunsch des vermögenden und kunst- und kulturinteressierten Juristen Starck heraus, jüdische Jugendliche beim Erwerb von Bildung zu unterstützen.
verwirklichung Er selbst konnte diese Idee nicht mehr in die Tat umsetzen. Gemeinsam mit Starcks Witwe verfolgte Ostrowicz darum das Vorhaben, eine Stiftung zur Förderung begabter jüdischer Jugendlicher zu gründen. Doch auch Renate Starck-Oberkoxholt starb, bevor die Stiftung in eine juristische Form gebracht war. Mithilfe des mit der Familie Starck befreundeten Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Düsseldorf, Rolf Friedmann, und der Unterstützung des damaligen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, wurde der Gedanke einer Stiftung schließlich Realität.
Als Vorstandsmitglieder waren Ostrowicz und Friedmann bei dem Stipendiatentreffen in Fischbachau ebenso anwesend wie Hubert Just und Spiegels Nachfolgerin im Stiftungsvorstand, Präsidentin Charlotte Knobloch. Auch die Mitglieder des Stiftungskuratoriums waren gekommen, Helmut Sies und Johann Schwarz. Das Stiftungsbüro war durch ihre Leiterin Inge Frey vertreten.
Mit den Mitteln der Stiftung werden »junge begabte und zielstrebige Juden aus dem deutschen Sprachraum materiell, aber auch mental unterstützt«, wie Rafael Seligmann in der von ihm verfassten Geschichte der Stiftung unter dem Titel Die Renaissance der jüdisch-deutschen Symbiose geschrieben hat. Der Publizist war ebenfalls in Fischbachau anwesend. Auch der Dermatologieprofessor Thomas Ruzicka nahm an dem Treffen teil, der wie Seligmann beim zurückliegenden Stipendiatentreffen Gastreferent war.
wissenschaft In diesem Jahr waren als Gastreferenten Helmuth Schwarz, Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung, und Carl Djerassi von der Stanford-Universität nach Fischbachau gekommen. Djerassi stellte sich den Studenten in einem Gespräch, Schwarz ging in einem Referat auf die Verantwortung der Wissenschaft ein. Darin definierte er das kosmopolitische Verständnis von Wissenschaft als integrierendes Element für eine Weltkultur ohne Grenzen. Die Starck Stiftung und ihre Studenten gingen ebenfalls diesen Weg der Verständigung – »mit und durch Wissenschaft und Bildung und weit darüber hinaus«.
Schwarz’ Resümee: »Natürlich stellen sich für neue Generationen, fast 70 Jahre nach Ende des Dritten Reichs, nach einem beispiellosen Zivilisationsbruch, neue Herausforderungen. Dass die Arbeit der Verständigung und der Verankerung jüdischen Lebens in Deutschland aber noch lange nicht beendet ist, dürfte ebenso sicher sein – dies wird eine lohnenswerte Daueraufgabe bleiben.«
Aktiv in diese Arbeit eingebunden waren die Stipendiaten auch in verschiedenen Workshops – zur Integration der osteuropäischen Juden, zum Thema Juden in der Europäischen Union und zur Frage, ob die Hochschulen die Erwartungen der Studierenden erfüllen. Intensiv und mit einer Option auf eine weitere Fortsetzung dieses Themas wurde dabei der EU-Gedanke diskutiert. Brauchen Juden eine europäische Union?
Man bemerke, so war in der Runde zu hören, den steigenden Antisemitismus in vielen Ländern Europas und werde alarmiert vom Erfolg rechter Parteien bei den EU-Wahlen. Die Teilnehmer des Workshops kamen zu dem Schluss, dies könne durch eine Vertretung der europäischen Juden ausbalanciert werden. Die Förderung des Zusammenhalts jüdischer Studenten in Europa könne somit auch verstärkt werden.
Die Meinungen blieben verschieden bei der Frage, ob die jüdische Identität die Europäische Union im kulturellen Sinne brauche. Einerseits werde das jüdische Volk auf der ganzen Welt von einem derart starken Bund gehalten, dass die vereinigenden Kulturmaßnahmen Europas gar nicht notwendig seien. Andererseits biete die Europäische Union Schutz, Sicherheit und freie Bewegung, die ihrerseits die Vereinigung von Juden verschiedener Länder förderten.
israel Die Stipendiaten setzten sich auch mit der Frage nach Identifikation mit Israels Politik auseinander. Ist man als europäischer Jude für die Handlungen Israels verantwortlich? Ob man in Verteidigung, Offensive oder Entzug trete, man werde täglich mit dieser Thematik konfrontiert und fühle sich gezwungen, Stellung zu beziehen, so die Erfahrung der Studenten.
Mit einem europäischen Juden werde sofort Israel als Staat der Juden assoziiert, auch wenn dieser noch nie da gewesen sei. Die Frage, wie man sich da positioniere, liege in der individuellen Verantwortung jedes europäischen Juden. Jedoch sollte man berücksichtigen behalten, dass das Land Israel als jüdisches Erbe in der Tora festgelegt wird, nicht die aktuellen Politiker. Man kann sich für Israel einsetzen, es sei aber keine Pflicht, waren viele Teilnehmer überzeugt.
fragen Die Gruppe stellte die Identitätsfragen, mit der sich so viele Juden auf Landesebene auseinandersetzen, nun im europäischen Kontext. Was überwiegt bei einem europäischen Juden? Ist er jüdischer Europäer oder europäischer Jude? Ist ein Jude in Deutschland jüdisch-deutsch oder deutsch-jüdisch? Dazu hinterfragten die Teilnehmer die Eigenschaften jüdischer Identität. Ihr Eindruck: Viele versuchen es zu verdrängen, aber die Basis des Judentums ist der Bund mit Gott und der Tora, die dem jüdischen Volk gegeben wurde und die es vereint.
Wenn das jüdische Volk die eigene Identität vergesse, werde es von den nichtjüdischen Nachbarn oft auf brutale Art und Weise erinnert, was man als klares Muster im Verlauf der Geschichte sehe. Deshalb kam die Diskussion zu dem Schluss, dass es die Verantwortung jedes einzelnen Juden sei, das jüdische Selbstverständnis aufzubauen und zu stärken.
Diese Diskussion fortzusetzen, begrüßte auch Präsidentin Charlotte Knobloch zum Abschluss der Tagung. Darüber hinaus regte sie einen Austausch der Starck-Stipendiaten mit denjenigen des jüdischen Studienwerks Ernst Ludwig Ehrlich (ELES) an.