Berlin

»Ich singe jeden Tag«

Ein Leben ohne Gesang? Das ist für Naomi Rothholz undenkbar. »Ich singe jeden Tag«, sagt die 16-jährige Schülerin. Von ihrem vollen, warmen Timbre konnten sich kürzlich auch Politiker und Botschafter überzeugen, denn Naomi sang zum Gedenken an den 80. Jahrestag der Pogromnacht im Berliner Abgeordnetenhaus.

Begleitet wurde sie vom Schulorchester des Jüdischen Gymnasiums Moses Mendelssohn unter der Leitung von Boris Rosenthal. Mit ihrer sensiblen Interpretation des Liedes »A jiddische Mame« rührte sie so ziemlich jeden, der im Saal saß. Auch am 30. Januar wird Naomi wieder im Berliner Abgeordnetenhaus singen. An diesem Tag hat der Präsident des Abgeordnetenhauses, Ralf Wieland (SPD), zum Jugendforum »denk!mal19« eingeladen.

Aufgeregt ist sie mittlerweile nicht mehr vor ihren Auftritten. »Ich kann das jetzt ausschalten, sodass meine Stimme nicht zittert«, sagt die 16-Jährige. Sie könne sich da selbst vertrauen. Das Schlimmste, was ihr passieren kann, wäre, den Text zu vergessen. Aber da würde ihr dann schon eine spontane Lösung einfallen.

Das Talent hat sie von ihrem Vater geerbt, der als Kind an der Komischen Oper auftrat.

Als kleines Kind besaß Naomi eine Kiste mit »gefühlt 1000 Musikinstrumenten«. Auf die griff sie zurück, um eine Show aufzuführen, zu der sie zusätzlich noch »mindestens fünf Kostüme« brauchte, erzählt Naomi lachend. Schon im Alter von zweieinhalb Jahren saß sie im Urlaub bei einer Mini-Disko-Show in einem Boot und trällerte das Lied vom »knallroten Gummiboot«. »Den kompletten Text konnte ich auswendig«, sagt sie lächelnd.

Mit fünf Jahren bekam Naomi Gesangs- und Klavierunterricht. Dort lernte sie, richtig zu atmen, ihre Stimme weiter auszubauen und richtig einzusetzen. Dank dieser Ausbildung verfügt sie heute über einen großen Tonumfang.

FAMILIE Das Talent habe sie wahrscheinlich von der Familie ihres Vaters Horst geerbt, sagt Naomi. Der wuchs in Ost-Berlin auf und stand vor seinem Stimmbruch auf der Bühne der Komischen Oper: als einer der drei Jungen in Mozarts Zauberflöte und als Fuchs in der Janácek-Oper Das schlaue Füchslein.

Außerdem war der 2018 verstorbene Jazzmusiker Coco Schumann (1924–2018) Naomis Großonkel. Kein Wunder also, dass sie ihm vor ein paar Jahren bei der offiziellen Feier zu seinem 90. Geburtstag im Schöneberger Rathaus ein Ständchen sang. Regelmäßig tritt Naomi zudem bei Schulfesten auf – früher in der Heinz-Galinski-Schule, jetzt im Jüdischen Gymnasium Moses Mendelssohn – wie auch in der israelischen Botschaft.

Auch jiddische Stücke wie »Un as der Rebbe singt« oder »A jiddische Mame« gehören zu ihrem Repertoire.

Mit etwa elf Jahren entschloss sie sich allerdings, mit dem Klavierunterricht aufzuhören. »Es reizte mich nicht mehr so sehr.« Sie wollte lieber singen. Die Songs von Abba hat sie drauf, sie mag Stücke aus Disney-Filmen, vor allem aus Cinderella und Arielle, die Meerjungfrau. Aber auch jiddische Stücke wie »Un as der Rebbe singt« oder »A jiddische Mame« gehören zu ihrem Repertoire.

sie im Radio einen Song hört, der ihr gut gefällt, dann singt sie ihn gerne nach. »Allerdings in meiner Version.« Sie möchte sich nicht an anderen orientieren, sondern es so machen, wie sie selbst es für passend hält. »Ich brauche da kein Vorbild – ich habe meine eigene Persönlichkeit«, sagt sie selbstbewusst.

Ein großer Vorteil ist für sie, dass sie auch auf Jiddisch singen kann, denn die richtige Aussprache hat ihr damals ihre Klavierlehrerin Ora Guttmann beigebracht. Und natürlich sang Naomi auch bei ihrer eigenen Batmizwa-Feier in der Synagoge Pestalozzistraße.

HAPPY END Mittlerweile hat die Schülerin noch eine weitere Leidenschaft, der sie von einer Minute zur anderen nachgehen muss. »Es kann schon mal passieren, dass ich mitten in der Nacht einen Gedanken für eine Skizze habe und sofort malen muss«, sagt sie. Dann steht sie auf, um die Idee sofort umzusetzen. Die Staffelei steht nur ein paar Meter entfernt von ihren Bücherregalen in ihrem Charlottenburger Zimmer. »Wenn ich lese, vergesse ich alles um mich herum«, schwärmt sie.

Zum Gedenken an den 80. Jahrestag der Pogromnacht sang die Schülerin im Berliner Abgeordnetenhaus.

Mit den Büchern ist sie sehr eigen: Kein Knick ist erlaubt, ein guter Umgang mit ihnen ist erwünscht. Taschenbücher lehnt die Jugendliche ab – bei ihr kommen nur gebundene Exemplare ins Regal. »Manchmal gehe ich in die Buchhandlung, wo ich seit meiner Kindheit Stammkundin bin, und nehme auf einen Schlag acht Bücher mit«, erzählt sie. Auch wenn sie sie erst ein paar Jahre später aufschlägt.

Am liebsten mag Naomi Science-Fiction, Fantasy und Romantik. Da sie auf ein Happy End besteht, erkundigt sie sich vorab immer nach dem Ausgang der Geschichte. »Aber ich schaue nicht zuerst in die letzten Seiten«, wehrt sie ab.

Außerdem sammelt sie Erinnerungsstücke von überall her. »Wo ich mal war, bringe ich etwas mit.« Deshalb stehen bei ihr viele Souvenirs aus den USA, wo sie ein paarmal im Jahr hinfährt.

Der Jazzmusiker Coco Schumann war Naomis Großonkel. Für ihn sang sie, als er 90 wurde.

In den USA taucht sie auch mit Haien und Rochen in einem Becken. Obwohl sie früher Angst vor Fischen hatte. »Eine halbe Stunde hatte ich angesichts der riesigen Zähne eine Panikattacke, doch dann fand ich es nur noch toll.« So entstand die Begeisterung für Meerestiere. Eines weiß sie schon jetzt: Nach dem Abitur will sie in den USA studieren. Wofür sie sich einschreiben will, weiß sie allerdings noch nicht sicher. »Vielleicht Medizin oder Meereswissenschaften.«

JEWROVISION Doch nun ist in eineinhalb Jahren erst einmal das Abitur dran. »Ich habe das Gefühl, dass ich überhaupt keine Zeit mehr habe, etwas zu machen«, meint Naomi Rothholz. Ständig müsse sie lernen. Sie möchte es unbedingt sehr gut absolvieren. Deshalb erlaubt sie sich kaum noch Ablenkung.

Eine Sache interessiert sie gar nicht: Wettbewerbe. »Die sind nichts für mich.« Deshalb habe es sie auch nicht so gereizt, bei der Jewrovision mitzumachen, sagt die 16-Jährige. Als erfahrene Sängerin empfiehlt sie den Teilnehmern, nicht zu hohe Ansprüche an sich selbst zu stellen. Dabei zu sein, sei alles, das Gewinnen spiele eine eher untergeordnete Rolle. So empfindet sie es jedenfalls.

Und einen weiteren Tipp fügt Naomi für den großen Auftritt hinzu: »Versucht, auf der Bühne nur für euch selbst zu singen.« So macht sie es auch – dann läuft der Auftritt von selbst.

Berlin

Von Generation zu Generation

Am Donnerstag fand in Berlin die feierliche Ordination von zwei Rabbinerinnen sowie sechs Kantorinnen und Kantoren statt. Doch auch der monatelange Streit um die liberale Rabbinatsausbildung in Deutschland lag in der Luft

von Ralf Balke  06.09.2024

Neue Potsdamer Synagoge

Am Freitag wird der erste Gottesdienst gefeiert

Nach der feierlichen Eröffnung im Juli soll nun das religiöse Leben in der Synagoge in Potsdam langsam in Gang kommen. Am Wochenende sind erste Gottesdienste geplant

 06.09.2024

IKG

»Ein großer Zusammenhalt«

Yeshaya Brysgal zieht nach einem Jahr als Jugendleiter eine positive Bilanz und plant für die Zukunft

von Leo Grudenberg  04.09.2024

Keren Hayesod

»Das wärmt mir das Herz«

Der Gesandte Rafi Heumann über seinen Abschied von Berlin, deutsche Spielplätze und treue Spender

von Christine Schmitt  04.09.2024

Porträt der Woche

Sinn ernten

Caro Laila Nissen half nach dem 7. Oktober Bauern in Kibbuzim nahe Gaza

von Lorenz Hartwig  01.09.2024

Frankfurt

Dinner mit den »Zweiflers«

Die Jüdischen Filmtage überzeugen durch ein breites Spektrum an Angeboten

von Johanna Weiß  30.08.2024

Nationalität

Keine Stimme

Ein großer Teil der jüdischen Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion hat selbst nach Jahrzehnten noch keinen deutschen Pass – und darf deshalb nicht an Wahlen teilnehmen. Wie kann das sein?

von Joshua Schultheis  29.08.2024

Potsdam

»Sie können sich auf uns verlassen«

Bundeskanzler Olaf Scholz besichtigte das neue Synagogenzentrum im Herzen der Stadt

von Christine Schmitt  28.08.2024

Ausstellung

Stolze Lebensbilder

Das Jüdische Museum München zeigt Porträts jüdischer Bürger

von Ellen Presser  27.08.2024