Eigentlich wirkt Michael Fürst immer etwas hektisch, verschluckt beim Sprechen auch schon einmal ein paar Silben, dabei beweist er wahrlich Stehvermögen. Seit 37 Jahren ist er Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen. »Wirklich?« Fürst überlegt kurz. »Wohl der dienstälteste?« Am 28. Mai wird Fürst 70 Jahre alt. Am 9. Juni feiert er im Hannover Congress Centrum. 300 Leute haben schon zugesagt. Auf der Liste stehen illustre Namen.
Auch Ministerpräsident Stephan Weil wäre gekommen, wenn er nicht den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier zu Gast hätte. »Aber ein Mittagessen zu meinen Ehren wird es geben«, sagt Fürst – nicht ohne Stolz. Auch Frank-Walter Steinmeier wäre zu seiner Party gekommen, hätte sie nur zwei Tage früher stattgefunden, ist Fürst sicher.
Auf sein Alter angesprochen werden möchte Fürst trotz allem lieber nicht. »Ich fühle mich ja nicht wie 70«, sagt er. Die Sieben mache ihm schon zu schaffen. Selbst mit 69 sei man ja immer noch 60, aber jetzt?
Bundeswehr Michael Fürst ist seiner Geburtsstadt treu. Nur kurz war er weg. Unter anderem als Bundeswehrsoldat. Er war der erste Jude in der Bundeswehr, war Fallschirmjäger und viele Jahre Reservist. Zum Jurastudium ging er nach Göttingen und absolvierte sein Referendariat zunächst in der Universitätsstadt, dann in Hildesheim und Duderstadt. Anschließend kam er nach Hannover zurück. 1976 erhielt er seine Zulassung als Rechtsanwalt, 1984 als Notar. Das Notariat musste er inzwischen aus Altersgründen abgeben. Fürst ist Fachanwalt für Medizinrecht.
Und er sagt immer geradeheraus, was er sich vorstellt, und hat mit dieser Art in den vergangenen 37 Jahren vieles neu gemacht und bewegt. Zu Beginn war er mit seinen 33 Jahren auch ein junger Wilder mit seiner Ben-Gurion-Frisur, die er heute etwas kürzer trägt als damals. Fürst hat vielen Neugründungen von Gemeinden sein Okay und auch seine Unterstützung gegeben: Oldenburg, Delmenhorst, Hameln. Das war nicht immer einfach und wurde in der Entstehungsphase durchaus mit Skepsis betrachtet: Ob das denn alles so Bestand haben werde, fragten die anderen. Wenn die Initiatoren sich für ihr Projekt verbürgten, brachte Fürst ihnen auch Vertrauen entgegen und verteidigte sie.
Gaza-Konflikt Vertrauen hat Fürst auch zu Muslimen, auch oder gerade weil er durchaus auch den muslimischen Antisemitismus kennt. Mit dem Vorsitzenden der palästinensischen Gemeinde Hannover, Yazid Shammout, verbindet ihn inzwischen eine enge Freundschaft. In einer gemeinsamen Erklärung riefen sie während des Gaza-Konflikts 2014 dazu auf, dass die Proteste gegen die Geschehnisse in Nahost friedlich bleiben.
Beide haben sich für das jüdisch-palästinensische Gespräch eingesetzt, saßen 2012 beim alljährlichen – Anfang Juni stattfindenden – Drachenbootrennen auf dem Maschsee in Hannover in einem Boot. Am vergangenen Dienstag, dem Tag des Grundgesetzes, wurden sie als »Botschafter für Demokratie und Toleranz« geehrt. »Das Preisgeld von 5000 Euro spenden wir natürlich für ein jüdisch-palästinensisches Projekt«, sagt Fürst, welches, weiß er noch nicht. »Wird sich bestimmt eines finden.«
Politisch nimmt Fürst kein Blatt vor den Mund, verurteilt Rechtsextremismus und Wehrmachtsnostalgie in der Bundeswehr. Er spricht sich deutlich dafür aus, dass junge Menschen KZ-Gedenkstätten besuchen sollten, weil sie Orte des Lernens sind, beäugt Rechtspopulisten mit äußerster Vorsicht und hat dennoch tiefes Vertrauen in eine starke Demokratie.
Urlaub Persönlich konnte Fürst den Toleranzpreis nicht entgegennehmen, das tat Stellvertreter Michael Grünberg. Denn bevor die Geburtstagsfeierlichkeiten starten, fährt er mit seiner Frau in den Urlaub. Sie weiß, wohin es geht – Michael Fürst nicht. Dennoch hat er seinen Koffer schon so gut wie gepackt. Was er mittnimmt, wenn er das Ziel nicht kennt? »Es wird wohl irgendwo ins Warme gehen«, meint Fürst. Er lässt sich überraschen, da vertraut er seiner Frau voll und ganz.