Die alte Hamburger Reformsynagoge ist ein kulturelles Erbstück, dem jetzt der »Abriss durch Verfall« droht. Im zweiten Hinterhof der Poolstraße mitten in der Hamburger Neustadt, hinter einem Metalltor und dem ersten Hinterhof, stehen Autos, quietschen Garagentore und befindet sich eine Werkstatt, die dort seit über 45 Jahren ihre Heimat hat. Dort im zweiten Hof lässt sich aber auch ein hoher Backsteinbau erahnen.
Wer durch den Torbogen tritt, blickt direkt in den ehemaligen Innenraum der Synagoge. Außer dem Torgebäude ist nur die imposante Rückwand stehen geblieben. Das jüdische Bethaus war im Zweiten Weltkrieg von Bomben getroffen worden. Heute ist das Gebäude in einem beklagenswerten Zustand. Die Ruine ist Wind und Wetter schutzlos ausgeliefert.
Erbe Dabei gehört sie zu einem wichtigen historischen Erbe der Stadt Hamburg. Im Dezember 1817 hatten 65 »jüdische Hausväter« hier den Tempelverein gegründet, um das Judentum zu reformieren. Dazu brauchten sie auch ein Bethaus, so fiel die Wahl auf den Hof in der Poolstraße, damals im Zentrum des Hamburger jüdischen Lebens gelegen.
Der Dichter Heinrich Heine reimte kurz vor Eröffnung des Tempels in der Neustadt: »Die Juden teilen sich wieder ein in zwei verschiedne Partein. Die Alten gehen in die Synagog, und in den Tempel die Neuen.« Hier fanden sich nun die Gründer des liberalen Judentums zum Gebet zusammen, von hier aus verbreitete sich die Reformbewegung in die ganze Welt. Etwa jeder achte Jude auf der Welt zählt sich zum liberalen Judentum. In Deutschland ist die Zahl allerdings deutlich geringer, auch in der Hansestadt repräsentiert die Liberale Gemeinde nur einen kleinen Teil der Juden.
Alarmzeichen In den kleinen Räumlichkeiten über der Toreinfahrt hatte sich nun also 102 Jahre nach der Gründung der Bewegung eine beachtliche Gruppe eingefunden, um Alarm zu schlagen und über den Zustand der Synagoge und die zukünftige Planung für das Gelände in der Poolstraße zu informieren. Der aktuelle Hintergrund: Der Eigentümer hat vor, den Hinterhof zu bebauen, die sogenannte Nachverdichtung würde, so der Plan, vierstöckige Apartmenthäuser vorsehen.
Die Ruine des Liberalen Tempels ist seit 2003 denkmalgeschützt.
Zwar müsste die Sichtachse auf die seit 2003 denkmalgeschützte Ruine frei bleiben, das Grundstück aber würde nachhaltig verändert, und es ist nicht abzusehen, welche Auswirkungen die Bauarbeiten auf das schon sehr beschädigte Gemäuer haben könnten.
Vielfalt Viele Menschen, wie Galina Jarkova, sehen in dem Bau ein wichtiges Symbol für die Vielfalt des jüdischen Lebens in Hamburg. Die Vorsitzende der Liberalen Gemeinde fand eindringliche Worte zum Zustand des Gebäudes: »Wir sind in großer Sorge, das Haus kann jede Minute zusammenbrechen.«
Ihrer Gemeinde gehe es nun in erster Linie darum, Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erregen, um diesen Ort zu erhalten. Ein Neubau komme nicht infrage, die Nutzung als Begegnungsstätte und Veranstaltungsort kann sie sich aber vorstellen. »Dies hier ist Stein gewordene Erinnerung«, betonte Jarkova.
In gleicher Weise äußerte sich auch Miriam Rürup, die Direktorin des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden (IGDJ). Als sie die Ruine das erste Mal sah, habe sie gedacht: »Von diesem Ort geht ein historischer Zauber aus.« Man kann ahnen, was sie damit meint, denn durch das Fenster hinter dem Podium blickt man direkt in den ehemaligen Innenraum, von dem Rürup ein altes Foto mitgebracht hat, um die ehemalige Pracht zu illustrieren. Darauf ist zu erkennen, wie das dreischiffige Bethaus einmal ausgesehen hat.
Architekt Mitfinanziert hatte es unter anderem Salomon Heine, Onkel des berühmten Dichters Heinrich Heine. In dem neogotischen Bau des Architekten Johann Klees-Wülbern fanden 380 Männer und 260 Frauen Platz. Revolutionär war unter anderem, dass sie zwar getrennt saßen, aber anders als in älteren Synagogen nun Blickkontakt hatten. Die Fassade wurde von zwei achteckigen Türmen flankiert. Nachdem die Liberale Gemeinde 1937 gezwungen war, das Grundstück an einen Privatbesitzer zu verkaufen, wurde es bombardiert und große Teile der Synagoge zerstört.
In Hamburg ist auch der Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge im Grindelviertel im Gespräch.
In Hamburg diskutiert man momentan eigentlich eher über die Machbarkeitsstudie und den möglichen Neubau der Synagoge am Bornplatz im Herzen des Grindelviertels. Alle Anwesenden betonten aber, dass sie die aktuelle Diskussion keineswegs als Konkurrenz empfinden, sondern vielmehr komplementär verstehen. Es seien nicht zwei Projekte, sondern es gebe viele Orte, wofür die Machbarkeitsstudie ihrer Meinung nach genutzt werden sollte, sagte Miriam Rürup.
»Viele Politiker sind zunächst überrascht und dann neugierig«, berichtete Rürup über ihre bisherigen Gesprächserfahrungen zum Thema Poolstraße. Die IGDJ-Direktorin erklärte sich auch dazu bereit, als Vermittlerin aus wissenschaftlicher Sicht alle weiteren Schritte zu begleiten. Unabhängig von der Entwicklung solle dabei aber auch an die historische Erforschung gedacht werden, schließlich sei es ein einmaliger Ort.
Erbe Auch der Historiker Wolfgang Kopitzsch betonte den Wert der Ruine für das kulturelle Erbe Hamburgs. Das liberale Judentum sei etwas sehr Typisches für die Geschichte der Stadt, unzählige Menschen hätten immer wieder auf das Bewahren dieses Erbes gepocht. »Es ist die Chance, nachzuvollziehen, wie die Menschen hier wirklich gelebt haben«, betont Kopitzsch. »Die Bedeutung kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.«
Der Denkmalverein Hamburg hat an den Grundstücksbesitzer nun eine sogenannte Sicherungsverfügung geschickt.
Plädoyer Laut Kopitzsch sei jetzt der Zeitpunkt, endlich die weltweite Signifikanz zu erkennen. Der Denkmalverein Hamburg hat an den Grundstücksbesitzer nun zumindest eine sogenannte Sicherungsverfügung geschickt, die den weiteren Verfall erst einmal verlangsamen würde. Jarkova beendete ihre Ansprache mit einem Plädoyer an die Stadt: »Wir brauchen euch, Hamburger und Unternehmer!«
Das vielfältige jüdische Leben in der Hansestadt wiederzubeleben, sei eben nicht nur Aufgabe der Gemeinden, sondern auch des Senats und aller Bewohner der Hansestadt. So viel des jüdischen Lebens sei verloren gegangen, nun gehe es darum, dem entgegenzuwirken, sagte Jarkova. »Die Würde muss man mit Taten zurückbekommen.«