Wer die neue Ausstellung im Museum Judengasse, der Dependance des Jüdischen Museum in Frankfurt, besucht, muss unweigerlich an Michael Degens Buch Nicht alle waren Mörder denken. Darin beschreibt der jüdische Schauspieler, wie er und seine Mutter die Nazi-Zeit im Untergrund überlebten – dank der selbstlosen Hilfe Fremder. Diesen bis heute häufig namenlos gebliebenen Rettern und Helfern ist die – gemeinsam mit dem Fritz Bauer Institut erarbeitete – Ausstellung »Gegen den Strom. Solidarität und Hilfe für verfolgte Juden in Frankfurt und Hessen« gewidmet.
Gesten Sie erzählt von kleinen, anekdotenhaften Gesten wie beispielsweise von der Frau, die einer jüdischen Verkäuferin un- verhofft ein Ei schenkt, oder von dem Ehepaar, das zwei jüdische Jungs regelmäßig zum Essen einlädt. Und sie berichtet von den großen Taten, wie der des britischen Generalkonsuls Robert T. Smallbones, der nach dem Novemberpogrom 1938 Hunderten von Juden in seinem Konsulat Asyl bietet und dafür sorgt, dass bis Oktober 1939 rund 48.000 deutsche Juden mit Transitvisa in Großbritannien einreisen dürfen.
Oder der des Frankfurter Polizeimeisters Otto Kasper, der unter hohem persönlichen Risiko Einwohnermeldekarten manipuliert – unter anderem die von Valentin Senger, was dieser in seinem Buch Kaiserhofstraße 12 beschrieben hat.
Jedem Retter und »seinem« Geretteten ist in der Ausstellung eine eigene Themeninsel gewidmet, die mit »Liebe«, »Lebensmittelversorgung« oder »Fälschungen« betitelt ist. Damit der Besucher die einzelnen guten Taten in ihren chronologischen und historischen Kontext einordnen kann, sind an den Wänden Zeitstrahlen angebracht, auf denen die Entwicklung der Judenverfolgung abzulesen ist.
»Gegen den Strom. Solidarität und Hilfe für verfolgte Juden in Frankfurt und Hessen« ist als Wanderausstellung konzipiert. Zunächst wird sie bis zum 14. Oktober im Museum Judengasse gezeigt. Für Schüler ab der 9. Klasse hat die Pädagogische Abteilung des Fritz Bauer Instituts ein Begleitprogramm mit zweistündigem Workshop entwickelt, zu dem sich Schulen unter der Rufnummer 069/21 27 42 38 oder per E-Mail monica.kingreen@stadtfrankfurt.de informieren und anmelden können. Zudem gibt es ein Rahmenprogramm, das unter www.juedischesmuseum.de zu finden ist.
Details Museumsdirektor Raphael Gross lobte während der Ausstellungseröffnung die drei Ausstellungsmacherinnen Petra Bonavita, Monica Kingreen und die Kuratorin Heike Drummer. Bonavita und Kingreen haben jahrelang geforscht und die Fälle mit Liebe zum Detail und historiografischer Akribie nachrecherchiert. Außerdem sei die Quellenlage bei Helfern und Rettern immer sehr schwierig, schließlich hätten sie »alles getan, um ihr Handeln nicht sichtbar werden zu lassen«.
Beeindruckt von der Ausstellung zeigte sich auch Nicole Jussek-Sutton, die zur Eröffnung eigens aus Irland angereist war. Von der Rettung ihrer Mutter, Maya Rhotert, berichtet die Themeninsel »Rettungs-Widerstand. Das Bockenheimer Netzwerk«. »Ich freue mich, dass damit die Menschen geehrt werden, die meiner Mutter so sehr geholfen haben«, sagt Jussek-Sutton.
Fluchthilfe Das Titelbild des Ausstellungskatalogs zeigt ein Porträtfoto von Arthur Schaub, der seine Stieftochter Maya Rhotert schwimmend über den Rhein in die Schweiz hatte retten wollen. Schaub hatte Rhotert das Bild als verschlüsselten Hinweis auf den Fluchtplan zukommen lassen – er trägt auf dem Foto Badehose und -kappe. Umgesetzt wurde das waghalsige Vorhaben jedoch nicht: Maya Rhotert erlebte ihre Befreiung durch die Amerikaner versteckt im einsam gelegenen »Gotischen Haus« bei Bad Homburg.
Die Ausstellung ist übersichtlich und unbedingt sehenswert.
Die Ausstellung ist bis zum 14. Oktober im Museum Judengasse, Kurt-Schumacher-Straße 10, dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr geöffnet.