Frankfurt/Main

Heirat nicht ausgeschlossen

Sie sind jung, sie sind smart, sie sind gebildet und sie sind jüdisch. Doch die meisten Gemeinden haben der sogenannten »mittleren Generation« nicht viel zu bieten: »Zwischen Jugendzentrum und Seniorenklub klafft eine riesige Lücke«, meint Polina Lisserman. »Es gibt kaum identitätsstiftende Programme für jüdische Studenten und junge Erwachsene.«

Arthur, ein Freund von ihr, der einige Jahre in Frankfurt lebte, kannte aus New York drei Vereinigungen junger jüdischer Leute und brachte die Jura-Studentin damals auf die Idee, selbst etwas Ähnliches zu gründen. So entstand 2005 »Jewish Experience« in Frankfurt, ein eingetragener Verein, der sich als Forum versteht, in dem sich junge Menschen im Alter zwischen 17 und 40 Jahren treffen, Freundschaften schließen und berufliche Kontakte knüpfen können.

Hier sollen sie außerdem Antworten auf ihre Fragen rund ums Judentum finden, so kann sich ihre jüdische Identität verfestigen. »Deshalb bieten wir Schiurim zu vielen Themen an: ›Recht im Judentum‹ zum Beispiel, ›Psychologie und Judentum‹ oder ›Ökonomie aus jüdischer Sicht‹, erzählt Polina Lisserman. Ein attraktives Angebot, das immer stärker angenommen wird. »Mittlerweile haben wir die kritische Masse erreicht«, meint Arthur, »und langsam beginnt das Ganze, sich selbst zu tragen.«

Ansturm Am vergangenen Wochenende drohte die Masse tatsächlich kritisch zu werden, so überfüllt waren die Räume von »Amichai«, dem Jugendzentrum im Frankfurter Gemeindehaus. 123 junge Leute hatten sich für das dreitägige Seminar »Why marry Jewish?« angemeldet. »Das ist die größte Veranstaltung, die je geklappt hat«, schwärmt Daniela Kalmar aus Köln.

Sie ist der Profi unter den vielen ehrenamtlichen Helfern, denn die 35 Jahre alte Wienerin arbeitet in der Kölner Synagogen-Gemeinde als Eventmanagerin und hat diese Veranstaltung zusammen mit Polina Lissermann, ihren Ehemann Meir und mit Unterstützung von Gemeinden, Landesverbänden und dem American Jewish Joint Distribution Committee (JDC) organisiert.

Die Idee dabei war, junge Juden aus Nordrhein-Westfalen, aus Frankfurt und Hessen zusammenzubringen. Aber es gab auch etliche Anmeldungen aus Wien, Brüssel, Frankreich, Israel und den USA. Neben gemeinsamer Schabbatfeier, mehreren Vorträgen und Diskussionen, jeder Menge Essen und einer Exkursion durch das Westend stand sogar auch der Besuch des Makkabi-Gala-Balls am Samstagabend auf dem Programm.

Singledasein »Aber das Wichtigste ist das Heiraten!« Der Satz fällt mehrfach an diesem Wochenende. Natürlich sollen diese Zusammenkünfte auch Gelegenheit bieten, dass sich Paare finden und sich zwei ineinander verlieben. Daniela Kalmar selbst hat ihren Ehemann bei einem Workshop kennengelernt und weiß von etlichen jungen Juden, dass es bei ihnen ähnlich war. »Wir sind länger Singles als frühere Generationen, wir heiraten später, da wollen wir einfach Leute in unserem Alter treffen können«, erklärt Polina Lisserman.

Ihren Mann allerdings habe sie erst mit Jewish Experience bekannt gemacht: »Er hat hier praktisch hineingeheiratet«, meint sie lächelnd. Mittlerweile engagiert er sich genauso für den Verein wie sie selbst. »Die Lissermans sind die Seele des Ganzen«, sagen ihre Freunde.

Unter sich Daniela Kalmar hat schon Seminare zu Körpersprache und Rhetorik, Stilberatung und Aura-Analyse veranstaltet. Dieses Mal aber scheint tatsächlich Heiraten die Hauptsache zu sein, wie bereits der Titel ankündigt: »Why marry Jewish?«. So heißt auch eines der Bücher, das der Gastredner und Star der Veranstaltung, der kanadische Psychologe, Familiencoach und begnadete Redner Doron Kornbluth, geschrieben hat. Nur in vier bis acht Prozent aller Fälle gelinge es einem Paar, bei dem nur ein Partner jüdisch sei, den Kindern eine bleibende und prägende jüdische Identität zu vermitteln, lautet eine seiner Kernbotschaften.

Wem aber der Gedanke der Tradierung an die nächste Generation wichtig ist, der müsse seinen Kindern vorleben, dass es »etwas Schönes und Angenehmes, ja, ein Vergnügen sei, jüdisch zu sein«. Wer hingegen den Eindruck vermittle, er trage daran wie an einer Last und plage sich damit, alle 613 Gebote zu befolgen, dem liefen die Kinder davon. »Judentum ist keine Liste von Pflichten und Verboten. Judentum ist ein Weg.«

Bewahrung Kornbluth versteht es, sein Plädoyer für die Bewahrung jüdischer Werte in einer zeitgemäßen Sprache zu formulieren und mit Erkenntnissen aus zahlreichen psychologischen Studien zu untermauern. Gerade in einer globalisierten Welt, in der sich viele Bindungen und Traditionen auflösen, sei eine identitätsstiftende jüdische Erziehung immens wichtig, lautet seine Überzeugung.

Genau so beschreibt es der 26 Jahre alte German aus Köln: »Jüdisch sein ist Teil meiner Persönlichkeit. Als Unternehmensberater bin ich ständig auf Reisen. Aber am Freitagabend gehe ich immer in die Synagoge. Da treffe ich meine Leute, ohne dass ich mich um etwas kümmern muss. Für andere Verabredungen habe ich sowieso keine Zeit. Mein jüdisches Umfeld – das ist meine Heimat.«

Frankfurt/Main

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