»Keine Zeit für Memoiren«, hatte Meinhard Tenné dieses Ansinnen noch zu seinem 85. Geburtstag abgewehrt. Er schaue lieber nach vorne, es gebe noch so vieles zu tun. Nun hat er sich endlich überzeugen lassen, dass ein Leben wie das seine – exemplarisch für ein jüdisches Schicksal im 20. Jahrhundert – wert ist, festgehalten zu werden.
Kurz vor seinem 91. Geburtstag, den er am 26. Mai feiert, präsentierte der Ehrenvorsitzende der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) in einer sehr persönlichen und bewegenden Matinee im Stuttgarter Lehrhaus seine Autobiografie Aus meinem Leben. Für Barbara Traub, seine Nachfolgerin an der Spitze der IRGW, ist das Buch »ein Vermächtnis an die nachfolgende Generation«.
Aufgeschrieben hat dieses Leben Reiner Strunk, evangelischer Theologe und enger Freund, dem Tenné freimütig Auskunft gab und Einblicke wie bisher wohl nur engsten Angehörigen gestattete. Selbst Barbara Traub bescheinigte ihm, dass sie ganz neue Seiten an ihm entdeckt habe.
Scheunenviertel Geboren wurde Tenné als Meinhard Teschner 1923 an einem Schabbat in der Lothringer Straße im Scheunenviertel in Berlin. Das einzige Foto im Buch zeigt eine glückliche Familie: Vater Heinrich, Mutter Fanny mit dem Baby Netty auf dem Arm, den dreijährigen Meinhard und Onkel Max im Jahr 1926 vor dem koscheren Restaurant des Großvaters.
Zwölf Jahre später, nach der Pogromnacht, nutzten Vater und Sohn vorhandene Visa für die Flucht in die Schweiz. Mutter und Schwester nachkommen zu lassen, gelang nicht mehr, sie wurden 1942 ins KZ Westerbork deportiert und ermordet. Schmerz und Trauer darüber begleiten Tenné seither sein Leben lang.
Vorstandssprecher Tenné wanderte 1949 nach Israel aus. Das Land der Väter sollte seine Heimat werden. Nicht die Schweiz und schon gar nicht Deutschland.
Doch genau hierhin führte ihn der Lebensweg zurück, als er nach zehn Jahren beim Militär zum Tourismusexperten avancierte und von seinem damaligen Chef Teddy Kollek 1960 zuerst die Order für Zürich und 1966 für Deutschland erhielt, um in Frankfurt das Staatliche Israelische Tourismusbüro aufzubauen. Seit 1970 ist Stuttgart Tennés Zuhause, wo er zehn Jahre Vorstandssprecher der IRGW war und laut Traub »vieles bewegt und das Judentum in Württemberg verankert hat«.
Das Stuttgarter Lehrhaus, die Einrichtung zur Förderung des religiösen Trialogs zwischen Juden, Christen und Muslimen, ist die letzte große Aufgabe, der sich Tenné als Mitbegründer zusammen mit dem Ehepaar Blickle verschrieben hat. Der ihm dafür verliehene Dialogpreis vervollständigt eine lange Liste von Auszeichnungen.
Denn Tenné erfüllte den Sinn seines hebräischen Namens, den er als offizieller Vertreter Israels im Ausland annahm: ein Korb, in den man Früchte legt, die man zum Altar bringt. »Du hast den Korb reich gefüllt«, rühmte Karl-Hermann Blickle vor zahlreichen Gästen Leben und Wirken seines Freundes.
Meinhard Tenné: »Aus meinem Leben«, aufgeschrieben von Reiner Strunk. Schriftenreihe des Stuttgarter Lehrhauses, Stuttgart 2014, 75 S., 19,90 €