Ein Strich auf der Tafel, von oben nach unten, dann geht es um die Ecke und gleich wieder nach oben. Das Zeichen sieht aus wie die Silhouette einer eckig geratenen Badewanne. Jetzt kommt noch ein Strich in die Mitte. »Welcher Buchstabe ist das?« fragt Hebräischlehrerin Miriam Rosengarten.
Es ist erst die zweite Stunde im Anfängerunterricht der Jüdischen Volkshochschule (JVHS). Die erwachsenen Hebräischschüler wissen schon: Das ist ein Schin. Auch den Buchstaben Mem haben sie bereits gelernt. Mit den entsprechenden Vokalzeichen kann man daraus das Wort »Schamasch« bilden. »Schamasch heißt Diener«, sagt Miriam Rosengarten. Ein Schamasch sei auch ein Synagogendiener, der Gebetbücher verteilt. »Wenn wir alle Buchstaben kennen, gebe ich euch meine E-Mail-Adresse«, sagt die Lehrerin. »Ihr könnt mir mailen, aber auf Hebräisch.«
Festakt Am Montag feiert die Jüdische Volkshochschule mit einem Festakt in der Fasanenstraße ihr 50-jähriges Jubiläum. Bereits direkt nach ihrer Gründung bot sie Sprachkurse an. Daneben informierte sie damals wie heute über jüdische Religion: »Einführung in das Wesen des Judentums«, hieß eine der ersten Veranstaltungen. Von Anfang an wurden Nichtjuden in der Volkshochschule mit offenen Armen empfangen.
Das ist nicht selbstverständlich, denn aus westdeutschen Synagogen ist eher zu hören, dass sich die Gemeinden Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre nach außen abschlossen. Die meisten Mitglieder waren traumatisierte Überlebende. An die Öffentlichkeit zu treten oder Nichtjuden ins Gemeindehaus einzuladen, wäre ihnen meist nicht eingefallen.
Doch in Berlin war das wiedererbaute Berliner Gemeindehaus in der Fasanenstraße von Anfang an offen für Nichtjuden. Den Anstoß zur Wiedergründung gab der Vorsitzende Heinz Galinski. »Er verfolgte das Konzept eines offenen Gemeindehauses«, sagt Sigalit Meidler-Waks, die heutige Leiterin der Einrichtung. Auch die Gründung der Volkshochschule sei ein Ausdruck dieser Offenheit gewesen. Sie wurde 1962 zur »Woche der Brüderlichkeit« der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit eröffnet.
Rambam Der Termin war sogar der New York Times einen Artikel wert. Dort hieß es: »Rabbiner Cuno Lehmann erklärte seinen Zuhörern, einer der wichtigsten jüdischen Grundsätze bestehe darin, Gutes zu tun, ohne es auf eine Belohnung anzulegen. Dies habe der berühmte jüdische Lehrer Moses Maimonides im Frühmittelalter in seinen 13 Glaubensartikeln niedergeschrieben. Viele Zuhörer hatten vorher wenig oder gar kein Wissen über jüdisches Denken.
Rabbi Lehmanns Vortrag war der vierte in der achtteiligen Reihe. Jede Woche wird die Menge der Zuhörer größer.« Auch Lehrerfortbildungen bot die JVHS an, denn es galt, die Themen Judentum und Nationalsozialismus stärker als zuvor in die Klassenzimmer regulärer Schulen zu bringen.
Damals wie heute kann man sich in der Jüdischen Volkshochschule über jüdische Religion und Kultur informieren, die Sprachen Jiddisch, Neu- und Althebräisch lernen. Auch Deutschkurse sind fester Bestandteil des Programms: für die jüdischen Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, aber auch für Israelis in Berlin.
Liebeslied Kurse aus dem aktuellen Programm heißen: »Der lange Weg zum Monotheismus« oder auch »Jüdische Tradition«. Außerdem kann man Tanzkurse besuchen, sich über neue Bücher, israelische Politik oder den Nahostkonflikt informieren sowie anhand von Liebesliedern Hebräisch lernen. »Kibbuz und Bauhaus« lautet der Titel einer Exkursion, »Antisemitismus in der EU« sowie »Modernhebräische Dichterinnen und Dichter« sind Themen von Vorträgen. Knapp 2.000 Besucher kommen im Jahr in die Volkshochschule.
Zu ihnen gehört Renate Schrader. Die Rentnerin hat gleich drei Sprachkurse belegt: einen in Althebräisch und zwei in Neuhebräisch. »Wenn man eine Sprache lernen will, muss man sich an mehreren Tagen in der Woche damit beschäftigen«, sagt sie. »Zuerst habe ich nur einen Kurs mitgemacht. Aber ich habe gemerkt, dass das nicht reicht, um wirklich voranzukommen.« Biblische Texte etwa aus dem Buch Kohelet im Orginal lesen zu können, war für die Baptistin ein wichtiges Erlebnis.
Ursula Schabram lernt Hebräisch, weil ihre Tochter mit Lebensgefährtin und Kindern in Tel Aviv wohnt. Dort möchte Ursula Schabram Aufschriften und Schilder lesen, sich verständigen können. »Als ich den Kleinen vom Kindergarten abholte, redete die Erzieherin lautstark auf Hebräisch auf mich ein, und ich verstand kein Wort«, erzählt Schabram.
Vorträge »Da dachte ich: Jetzt muss ich anfangen, mich mit der Sprache zu beschäftigen.« Sarah Groß besucht neben dem Hebräischkurs viele Vorträge und erfährt immer wieder Neues. Neulich etwa über die Geschichte staatenloser Juden nach dem Krieg – der »Displaced Persons«.
Sie ist selbst Jüdin und findet es gut, dass die JVHS lebendiges Judentum vermittelt, das sei nach wie vor wichtig. Die meisten Menschen in Deutschland dächten bei Juden an Nationalsozialismus und Vernichtung oder auch an Schtetl, Klezmermusik und Schläfenlocken. »Viele können sich immer noch nicht vorstellen, dass Juden hier leben und aussehen wie sie selbst«, sagt Groß.
Der Iwrit-Anfängerkurs geht zu Ende, es ist bereits Abend. Viel können die Schüler noch nicht sagen, doch sie sind in der Lage, ihre Wissbegierde in Worte zu fassen. Sie wissen: »Ani lomed« bedeutet »Ich lerne«.
Am 12. März feiert die Jüdische Volkshochschule Berlin ihr 50-jähriges Gründungsjubiläum. Ab 18.00 Uhr im Jüdischen Gemeindehaus, Großer Saal, Fasanenstraße 79-80. Der Eintritt ist frei.
Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage: www.jvhs.de