Auf dem Tisch liegen schwarze Mappen aufeinandergestapelt. »Ich habe euch die Lieder einsortiert, dann könnt ihr einfach von vorne nach hinten die Stücke singen«, sagt Regina Yantian und überreicht Aliya einen der dicken Hefter. Die 14-Jährige ist gerade die Treppe hochgelaufen, um rechtzeitig zur Probe des Jugendchors der Synagoge zu kommen. Hinter ihr folgt ihr zehnjähriger Bruder Caelen, ebenfalls ein begeisterter Sänger.
Die 20 Nachwuchsmusiker haben derzeit so viele Werke einzustudieren, dass sie in den Sommerferien jeden Dienstag geprobt haben. Grund dafür ist das 150. Jubiläum der Neuen Synagoge Oranienburger Straße. Am 11. September werden sie bei der Feier vier Auftritte haben.
Ensemble Mittlerweile trudeln auch die anderen ein, die zwölfjährige Michelle, die 13-jährige Marie-Claire. Die zehnjährige Yamit wird von ihrer Mutter und kleineren Geschwistern gebracht. »Ich finde, dass das Mitsingen im Kinderchor ein guter Weg in die Synagoge ist«, sagt ihre Mutter Katrin Oraizer. Sie hatte sich gewünscht, dass ihre Töchter in einem Ensemble singen, aber ein Kirchenchor wäre für sie nicht infrage gekommen. Als sie die Ausschreibung für einen Kinderchor sah, war sie deshalb »happy« und meldete neben Yamit auch ihre Töchter Orel und Shirly an, die derzeit allerdings auf einer Machane-Reise sind. Inzwischen haben sich so viele Nachwuchssänger angemeldet, dass die Gruppen in einen Kinderchor und einen Jugendchor aufgeteilt wurden.
»Lasst uns mal anfangen, kommt, wir gehen zur Orgel«, ermuntert Regina Yantian, Organistin, Dirigentin mehrere Chöre und künstlerische Leiterin des Louis-Lewandowski-Festivals, die Kinder. Sie setzt sich unter dem blauen Sternenhimmel der Synagoge an die Orgel, während die Sänger auf der gegenüberliegenden Bank Platz nehmen. Dann schlagen alle die schwarze Mappe auf und singen Ma Towa des Komponisten Lewandowski, der den Ritus der Synagoge Oranienburger Straße geprägt hat.
Louis Lewandowski Der Jugendchor hat einen hellen, strahlenden Klang. Yantian begleitet ihn an der Orgel. Das Lied kennen sie gut, sie kommen fehlerfrei durch. »Aussprache und Intonation sind gut«, lobt Yantian. Vor etwa zwei Jahren sprach Aliya Regina Yantian an, ob sie einen Kinderchor gründen könne. Die Organistin dachte kurz nach und entschloss sich, es auszuprobieren. Mittlerweile hat sich der Chor einen Namen gemacht und ist bereits beim Lewandowski-Festival, beim Chanukkabasar, bei der Jubiläumsfeier der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und natürlich auch bei Familiengottesdiensten in der Synagoge aufgetreten.
Regina Yantian schlägt den Akkord des nächsten Stückes, »Vay’hi Binsoa«, an. »Das wurde bei der Synagogen-Einweihung 1866 gesungen«, erklärt sie. Es ist ein Wechselgesang mit dem Kantor. »Die Forte-Stellen müssen ein bisschen lauter sein, und am Schluss müsst ihr langsamer werden, damit alle hören, dass es zu Ende geht.«
Viermal werden die Kinder bei der Feier auf der Bühne stehen, um elf, 14 und 18.30 Uhr zusammen mit anderen Chören. Um 15.30 Uhr geben sie gemeinsam mit dem Jugendchor der Londoner Belsize Square Synagogue ein Konzert, denn der pflegt auch die Lewandowski-Tradition, weshalb Regina Yantian ihn einlud. Nach dem Konzert wollen sie den Jugendlichen aus London zusammen Berlin zeigen, werden aber um 18.30 Uhr wieder singen.
Havu L’Adonai Im Proberaum geht es erst einmal weiter mit der schwarzen Mappe. Nun erklingt »Havu L’Adonai« von Samuel Alman. »Ist jedem die Aussprache klar?«, fragt die Organistin. Ein paar Wörter werden sicherheitshalber noch durchgegangen. Dann klappt es.
Michelle ist erst seit ein paar Monaten dabei. »Ich singe total gerne, meistens allerdings in der Badewanne.« Zwischenzeitlich hatte sie sogar mal Gesangsunterricht. Für das neue Stück »Halleluja« wird zuerst die Aussprache einstudiert, dann kommt die Melodie dazu. »Das werden wir dann mit allen Chören singen«, sagen die Mädchen kichernd – sie freuen sich schon auf ihre Auftritte.