Zur Grundausstattung jüdischen Gemeindelebens in Deutschland gehört ein optimistischer Blick in die Zukunft – auch wenn der nicht frei von berechtigten Sorgen ist. Dafür liefert die Gemeinde in Mannheim ein gutes Beispiel. Vor 30 Jahren, am 13. September 1987, wurde das Gemeindezentrum eröffnet. Zu groß! Zu teuer! Das waren damals die Bedenken gegen das Bauprojekt, das ein ganzes Karree in der Quadrate-Stadt einnimmt.
Heute zeigt sich der Vorsitzende der Gemeinde, Majid Khoshlessan, froh, dass seine Vorgänger im Vorstand damals groß gedacht und erhebliche Risiken auf sich genommen haben – auch wenn heute noch Darlehen für den mehrere Millionen teuren Bau abbezahlt werden müssen. »Es wurde damals die richtige Entscheidung getroffen«, sagt Khoshlessan, der seit 1983 Mitglied der Mannheimer Gemeinde ist.
Zuwanderung Durch den Zustrom jüdischer Familien aus der ehemaligen UdSSR ist die Gemeinde gewachsen und hat eine Fülle von sozialen Aufgaben bekommen, die ohne das großzügig konzipierte Gemeindezentrum nicht zu meistern gewesen wären. Neue Mitglieder müssen bei Behördengängen und größeren Einkäufen betreut werden. Deutsch- und Hebräischkurse sind im Angebot, ebenso wie Computerschulungen. Ein wöchentlicher Seniorennachmittag bietet Austausch und Entspannung.
Die traditionsreiche Gemeinde, deren Anfänge bis auf das Jahr 1650 zurückgehen, hat aktuell rund 500 Mitglieder und kümmert sich obendrein um 120 nichtjüdische Familienangehörige. Dabei erweisen sich die 90 Sozialwohnungen, die ebenfalls im Komplex des Gemeindezentrums untergebracht sind, als äußerst hilfreich. Noch immer kommen Neuzuwanderer aus dem Osten. Erwartet werden momentan wieder zwei Familien mit insgesamt acht Mitgliedern.
Herzstück des multifunktionalen Bauwerks ist natürlich die Synagoge. Sie wird nicht nur von Lokalpatrioten als eine der schönsten, wenn nicht als die schönste Synagoge angesehen, die nach der Schoa in Deutschland gebaut worden ist. Sie bietet auf zwei Ebenen Platz für 330 Personen.
Seit Mannheim mit Amnon Seelig einen neuen Kantor hat, haben die Gottesdienstbesuche am Freitag, am Schabbat und an den großen Feiertagen merklich zugenommen. In einer rabbinerlosen Gemeinde hat der Kantor vielfältige Aufgaben weit über den musikalischen Bereich hinaus zu übernehmen. Ein Gemeindechor befindet sich im Aufbau.
Aufgaben Integration ins kulturelle und soziale Leben Mannheims ist eine Daueraufgabe des Gemeindevorstands. Nicht zuletzt ist es das großzügige Raumkonzept des Gemeindezentrums, das vielfältige Begegnungen zulässt. Die Gemeinde kann zu Veranstaltungen über den Kreis der Mitglieder hinaus Bürger ansprechen. Ein großer Saal bietet über 300 Gästen Platz. Ein zweiter Saal ist teilbar und kann insgesamt 120 Personen aufnehmen. Eine koschere Küche erlaubt eine großzügige Bewirtung.
Die Räumlichkeiten werden für Veranstaltungen auch vermietet. Hier gibt es Konzerte und Lesungen, aber auch Seminare und Tagungen können hier logistisch professionell bewältigt werden.
Gleichzeitig mit der Jubiläumsfeier zum 30-jährigen Bestehen werden am 10. September auch die Zweiten Jüdischen Kulturtage in Mannheim eröffnet. »Im Zeitraum einer Woche werden wir einer breiten Öffentlichkeit die Vielfalt jüdischer Kultur nahebringen. Das reiche Programm dokumentiert lebendiges Judentum mit vielen Facetten«, erzählt Vorsitzender Khoshlessan. Es beinhaltet jüdischen Humor ebenso wie europäische und orientalische jüdische Musik, aber auch Literatur und einen Einblick in das jüdische Rechtswesen. Es wird eine Führung durch das historische jüdische Mannheim geben. Im 19. Jahrhundert haben jüdische Kaufleute und Industrielle, aber auch Intellektuelle die Stadt wesentlich mitgeprägt.
Jugendarbeit Nicht ohne Stolz blickt man in Baden auf die als vorbildlich herausgestellte Jugendarbeit unter der Leitung von Susanne Benizri in Mannheim. Für drei Altersstufen werden jeden Freitag interessante Angebote für Kinder und Jugendliche gemacht: Basteln, Musik, Sport. Auch die Festigung jüdischer Identität ist ein wichtiger Faktor beim Kinder- und Jugendprogramm. Dass Hervorragendes geleistet wird, beweist die Tatsache, dass das Team des Jugendzentrums Or Chadasch bei der Jewrovision 2015 und 2016 zweimal hintereinander den ersten Preis zuerkannt bekommen hat. Beim jüdischen Song-Contest in diesem Jahr errangen die Mannheimer Sänger und Tänzer einen zweiten Platz.
Eine Besonderheit des Mannheimer Gemeindezentrums ist, dass es in der Innenstadt in einem Viertel liegt, das einen starken Anteil muslimischer Bewohner aufweist. Lange wurde die friedliche Nachbarschaft gepriesen. Muslime mieteten bei der jüdischen Gemeinde Säle für Feierlichkeiten, speziell für große Hochzeiten. Das ist vorbei, nicht nur weil die Muslime eigene Räumlichkeiten besitzen.
Majid Khoshlessan spricht von einer Trübung des Verhältnisses zu den Muslimen, speziell zu denen, die, wie die große Sultan-Selim-Moschee in Mannheim, unter der Oberhoheit der DITIB stehen. »Wir können den von der DITIB propagierten Antisemitismus und speziell die aggressive antiisraelische Haltung, der israelische Staat sei ein verbrecherisches zionistisches Gebilde, nicht hinnehmen«, sagt Khoshlessan. Die Mitgliederversammlung der Jüdischen Gemeinde habe deshalb zwei Beschlüsse gefasst. Zum einen werde man DITIB-Einladungen nicht mehr wahrnehmen. Andererseits werden gegenüber den DITIB-Repräsentanten keine Einladungen mehr ausgesprochen. »Auf persönlicher Ebene kommen wir nach wie vor gut aus. Das Problem ist der von der DITIB-Zentrale vorgegebene antisemitische Kurs«, erklärt Khoshlessan.
Islamismus Islamistische Bedrohung spielte vor 30 Jahren beim Bau des Gemeindezentrums noch keine Rolle. Trotzdem hat der Gebäudekomplex zur Straßenseite hin besonders gesicherte Fenster mit schussfestem Glas bekommen. Die Tiefgarage unter der Synagoge wurde mit einem verstärkten Betonboten ausgestattet, der Angriffen mit Explosionsstoffen standhalten soll. Damals hatte man den Terror der »Roten Armee Fraktion« im Fokus. Heute gilt das Schutzbedürfnis den Gefahren, die von islamistischen Attentätern ausgehen könnten.
Der Gemeindevorsitzende kommentiert: »Der traditionelle Antisemitismus war in Mannheim bisher kein Problem. Angst haben unsere Gemeindemitglieder aber vor der antisemitischen Einstellung, die Flüchtlinge aus arabischen Ländern zwangsläufig mitbringen. In dieser Geisteshaltung sind allzu viele junge arabische Männer aufgewachsen. Andererseits wissen wir uns von unserer Polizei gut beschützt.«