Wiesbaden

Grundwissen Judentum

Auf manche Fragen wissen selbst Jacob Gutmark und Steve Landau nicht sofort eine Antwort. »Heißt es nun der Schofar? Oder das Schofar?«, möchte eine der Besucherinnen in der Wiesbadener Synagoge wissen. Landau, Geschäftsführer der inzwischen 786 Mitglieder zählenden Gemeinde und Gutmark, Gemeindevorstand, wechseln ratlose Blicke. Der Vorhang vor dem Toraschrein hat sie in diese Verlegenheit gebracht, auf dem das Widderhorn zu sehen ist. Eigentlich wollte die Besucherin nur wissen, an welchen Feiertagen es zum Einsatz kommt. »Naja, es ist das Horn«, versucht Gutmark eine Antwort herzuleiten, »also wird es wohl das Schofar sein.«

Das ist nicht ganz richtig. Doch das fällt keinem der etwa 50 Besucher, die sich an diesem Montagnachmittag anlässlich des Tags der offenen Tür in der Synagoge drängeln, auf. Und es ist auch das einzige Mal, dass Gutmark und Landau eine Frage nicht aus dem Stegreif beantworten können.

nachfrage Zwei etwa gleich große Gruppen haben sich für den Nachmittag angekündigt. Diese erste besteht vornehmlich aus älteren Einwohnern der hessischen Landeshauptstadt, darunter viele, die sich noch daran erinnern, wie die neue Synagoge 1966 eröffnet wurde. Doch ihr Wissen über das Judentum hält sich in Grenzen. Welche Sprache wird im Gottesdienst gesprochen? Warum müssen nur Männer in der Synagoge ihren Kopf bedecken? Gibt es Musik? »Wir sind ja eigentlich schon vor den Germanen hier gewesen«, wird Landau nach der Führung durch das Gemeindezentrum sagen, »trotzdem weiß man recht wenig von uns.«

Nicht zuletzt deshalb lädt die Wiesbadener Gemeinde zum Tag der offenen Tür – der Teil eines größeren Programms ist, das von Anfang September bis Mitte November dauert und den Titel »Tarbut – Zeit für jüdische Kultur« trägt. Der 60. Jahrestag der Staatsgründung Israels gab vor zwei Jahren den Anlass für die erste Veranstaltungsreihe unter diesem Namen. Die für alle Beteiligten überraschend starke Resonanz auf das Programm, das unter anderem aus Lesungen, Konzerten und thematischen Führungen bestand, sorgte dafür, dass man sich seitens der Gemeinde und der Stadtverwaltung dazu entschloss, »Tarbut« als festen Termin in den Wiesbadener Veranstaltungskalender aufzunehmen. Seit dem 6. September läuft die dritte Ausgabe, unterstützt auch vom Zentralrat der Juden in Deutschland.

Neubeginn Im Gebetsraum lässt Steve Landau die Geschichte der Wiesbadener Gemeinde Revue passieren, von den Anfängen, über die Gründung der Gemeinde 1882 und ihre beinahe vollständige Ausrottung in der Schoa, den Wiederaufbau nach dem Krieg und schließlich den Zuzug aus den ehemaligen Sowjetrepubliken. Die Zuhörer lauschen gebannt, viele scheinen, zum ersten Mal von den Entwicklungen in den beiden Jahrzehnten seit dem Fall des eisernen Vorhangs zu hören. »Uns geht es darum, besser an die Öffentlichkeit zu treten«, sagt Jacob Gutmark, »dahinter stecken durchaus existenzielle Überlegungen.«

Der Abbau von immer noch vorhandenen Vorurteilen ist das erklärte Ziel des Kulturprogramms. »Fremdenfeindlichkeit kommt schließlich von Fremdsein«, ergänzt Steve Landau. Im Alltag fällt es der Wiesbadener Gemeinde nicht immer leicht, ins öffentliche Bewusstsein vorzudringen.

Im Gegensatz zu anderen Städten verfügt man über keinen repräsentativen Synagogenbau als Aushängeschild. Das Gemeindezentrum an der Friedrichstraße in unmittelbarer Nähe zu Rathaus und Landtag, liegt versteckt im Hinterhof eines mehrstöckigen Wohn- und Geschäftsgebäudes. »Trotzdem begrüßen wir im Jahr bis zu 60 Besuchergruppen, Schüler, Konfirmanden«, betont Landau. »Tarbut« biete darüber hinaus die Möglichkeit, »die Vielfalt jüdischer Kultur« darzustellen.

Dafür gehen Organisatoren und Gemeindemitglieder in die Vollen. Beim Wiesbadener Stadtfest zählte der Stand der jüdischen Gemeinde zu den meistfrequentierten. Auf der Hauptbühne zeigte die Laientanzgruppe »Simcha« traditionelle und moderne jüdische Tänze. Bis zum Ende des Programms in knapp zwei Monaten stehen noch eine ganze Reihe von Veranstaltungen an: Lesungen, Klesmer-Konzerte, Filmvorführungen. Jeder einzelne Programmpunkt eine Gelegenheit, um sich kennenzulernen.

programm Zum Abschluss ziehen die Besucher noch einmal in den Innenhof um, wo die Gemeinde zu den Feiertagen eine Sukka aufgebaut hat. Gutmark und Landau kommen kaum dazu, sich von den Häppchen zu bedienen. Nachfragen prasseln auf sie ein. Wie alt man sein müsse, um aus der Tora vorlesen zu dürfen? Ob in der Gemeinde noch Jiddisch gesprochen werde? Wie Orthodoxe und Liberale miteinander auskämen? So kommt man ins Gespräch – bei koscherem Wein und gefilltem Fisch.

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