Sein Arbeitstag beginnt mit einem Glas Tomatensaft. Vor acht Jahren hatte Michael Szentei-Heise einen medizinischen Vortrag gehört, seitdem ist er überzeugt von der gesunden Wirkung dieses Getränks als Freie-Radikalen-Fänger. Ein Farbtupfer neben Unterlagen, Ordnern und Briefen, die auf seinem Schreibtisch für Außenstehende wie ein unüberschaubares Durcheinander anmuten, für ihn selbst aber zum notwendigem kreativen Chaos gehören.
Ein Verwaltungsdirektor muss viel bearbeiten und organisieren, ist für zahlreiche Menschen Ansprechpartner – das macht auch das unablässige Piepen der eingehenden Mails deutlich. Michael Szentei-Heise feierte in seiner Funktion als Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf vor wenigen Wochen sein 30-jähriges Dienstjubiläum.
Eigentlich wollte er Rechtsanwalt werden. Die Gründung einer Gemeinschaftskanzlei direkt nach dem Studium stand kurz bevor, als die Anfrage des damaligen Vorstandsmitglieds Herbert Rubinstein kam. Heute lobt er Michael Szentei-Heise als »Bürgermeister des jüdischen Düsseldorf« und »Brückenbauer«. Vor 30 Jahren musste Rubinstein Überzeugungsarbeit leisten, denn die Lebensplanung des frisch gebackenen Juristen sah anders aus.
»Ich hatte diese Position nie mit mir in Zusammenhang gebracht«, erinnert sich der heute 62-Jährige. Seine Freunde rieten ihm zu. Dinge organisieren, Projekte auf den Weg bringen, mit Politik und Verwaltung verhandeln und dabei immer mit Menschen in Kontakt, im konstruktiven Austausch stehen – das sind Stärken, die seine Freunde damals bei ihm sahen und die sich in den Jahren seines Berufslebens bewährt haben.
Veränderungen Die Integration der Zuwanderer, der Bau der jüdischen Grundschule und die Gründung des Albert-Einstein-Gymnasiums im Sommer 2016, dies sind für Michael Szentei-Heise feste Größen auf seinem Berufsweg. Schon bald nach Beginn seiner Tätigkeit wandelte sich der Aufbau der Düsseldorfer Gemeinde durch den Zuzug von jüdischen Flüchtlingen aus den Ländern der GUS. Die Gemeinde wuchs von einst knapp 1500 auf mehr als 7000 Mitglieder. Szentei-Heise hat diesen Prozess begleitet – umtriebig, gut vernetzt, problemlösungsorientiert und mit juristischem Fachwissen.
Den Umbruch, den ein Orts- und Kulturwechsel mit sich bringt, kennt er aus eigener Erfahrung. 1965 kam er als Elfjähriger mit seiner Mutter aus dem sozialistischen Ungarn, zunächst nach München, dann nach Düsseldorf. Ihr war die lange im Geheimen vorbereitete Flucht gelungen. Der Sohn wurde erst während der Bahnfahrt vor vollendete Tatsachen gestellt. Doch nach den Tränen überwog schnell die Neugier auf Veränderung. »Diese Neugier hat eigentlich mein ganzes Leben bestimmt, neue Dinge als Herausforderung sehen, nicht als Belastung«, sagt Szentei-Heise.
Ein neues Leben begann. Die Vergangenheit, über die seine Mutter fast nicht sprach, kam mit. Michael Szentei-Heise ist das Kind einer Auschwitz-Überlebenden. Mit 64 Jahren starb Edith Szentei, die an Multipler Sklerose und Krebs erkrankt war. Ihr Leben lang hatte die alleinerziehende Mutter und studierte Chemikerin viel gearbeitet. »Im Ruhestand wollte sie endlich reisen, aber durch ihre Erkrankungen kam es dann nicht mehr dazu«, erzählt der Sohn. Für Michael Szentei-Heise ein wichtiger Grund, seine Freude am Reisen nicht auf später zu verschieben.
Ordensschule Von der Einschulung bis zum Abitur absolvierte Michael Szentei (den zweiten Namen brachte seine spätere Ehefrau mit) acht Schulwechsel. Darunter ein Internatsleben bei Ordenspriestern, als er in dem niederrheinischen Städtchen Rheinberg das städtische Amplonius-Gymnasium besuchte. Die Schule sollen angeblich auch Jürgen W. Möllemann, Claudia Schiffer und Isabell Werth besucht haben. »In anderen Jahrgängen«, schmunzelt Szentei-Heise. Vielleicht hat ihn auch sein umtriebiges Schulleben in seiner Offenheit anderen Menschen und Situationen gegenüber gestärkt. Auch während seines Jurastudiums liebte er den Wechsel – von Erlangen ging er nach Jerusalem, dann nach Köln.
»Egal was ist, wenn man ihn braucht, ist er sehr hilfsbereit und hat ein wahnsinniges Netzwerk«, beschreibt Bert Römgens, Leiter des Nelly-Sachs-Elternheims, den engagierten Verwaltungschef der Gemeinde. »Er ist eine personifizierte jüdische Gemeinde und total integriert.«
Zug der Erinnerung Dabei nimmt Michael Szentei-Heise kein Blatt vor den Mund. Wenn es aus seiner Sicht um Unrecht geht, fallen seine Worte scharf aus. Das brachte ihm schon eine Strafanzeige des damaligen Bahnchefs Hartmut Mehdorn sowie Morddrohungen ein. Spektakulär war Szentei-Heises Rede 2008 zum »Zug der Erinnerung«, der an die Transporte von jüdischen Kindern in Konzentrationslager erinnern wollte. Die Bundesbahn hatte Gebühren für die Gleisnutzung sowie die Standzeiten in Bahnhöfen in Deutschland erhoben. Für Szentei-Heise ein Unding angesichts der Mittäterschaft der damaligen Reichsbahn, was er öffentlich heftig kritisierte und was ihn auf die Titelblätter überregionaler Zeitungen brachte.
»Er ist ein Mann mit Ecken und Kanten, aber mit einem großen jüdischen Herzen«, beschreibt ihn Herbert Rubinstein, der jahrelang als Vorstandsvorsitzender und später als Geschäftsführer des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein mit Szentei-Heise zu tun hatte und ihm freundschaftlich verbunden ist. »Er ist da, wenn wir ihn benötigen, dank seiner vielen Verbindungen sind manche Dienstwege erfreulich kurz und führen schnell zum Ziel.« Man sollte nur vermeiden, es sich mit ihm zu verscherzen, dann finde er nur sehr ungern den Weg zurück, behalte Verletzungen gut im Gedächtnis.
Diplomatie Szentei-Heise steht zu seinen Kanten, als undiplomatisch will er sich jedoch nicht bezeichnen lassen. »Wenn mir etwas zuwider ist, dann sage ich das deutlich, aber ich kann auch sehr diplomatisch sein.« An seiner Arbeit als Verwaltungsdirektor liebt er das Repräsentieren und Verhandeln. Beides wird ihn auch in den kommenden Jahren begleiten, insbesondere beim Neubau des jüdischen Gymnasiums und der geplanten Erweiterung der Grundschule.
Seit der Silvesternacht ist Michael Szentei-Heise Großvater. Seine in den Niederlanden lebende Tochter bekam ihr erstes Kind. Eine Veränderung, die den engagierten Verwaltungsdirektor sehr freut und ihm vielleicht auch den Übergang in den Ruhestand in wenigen Jahren etwas erleichtern wird. Pläne hat er auch hierfür schon. Mehr Reisen und das Juristische neu beleben. »Dass ich gar nichts tue, das kann ich mir nicht vorstellen.«