Masorti

»Grandiose Leistung«

Die Stuhlreihen im Großen Saal der evangelischen Jona-Gemeinde in der Roscherstraße in Berlin-Charlottenburg waren gut gefüllt. Väter waren gekommen, Mütter, Großeltern und natürlich – viele Kinder. Denn es war vor allem ihr Abend, als am vergangenen Donnerstag die neue Jewish International School – Masorti-Grundschule feierlich eröffnet wurde.

Zu dem Festakt in dem evangelischen Gemeindehaus, in dem die Grundschule der traditionell-konservativen Masorti-Strömung seit Oktober die oberen zwei Etagen bezogen hat, waren neben Rabbinerin Gesa Ederberg und Schulleiterin Michele Tichauer auch prominente Gäste gekommen. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke), der Bezirksbürgermeister von Charlottenburg-Wilmersdorf, Reinhard Naumann (SPD), und der Gesandte der israelischen Botschaft, Rogel Rachman, wollten es sich nicht nehmen lassen, dem neuen Schulprojekt persönlich ihre Glückwünsche auszusprechen.

Unterrichtet wird bilingual auf Deutsch und Hebräisch.

Sie alle sahen zum Einstieg in den Abend ein Theaterstück zur Geschichte des Chanukkafestes. Schülerinnen und Schüler der Jewish International School hatten das Stück selbst geschrieben und aufgeführt. Danach wurde das fünfte Licht der Chanukkia gezündet. Im Anschluss war Zeit für Grußworte, dann gab es leckere Sufganiot und kalte Getränke.

MARKENZEICHEN Bundestagsvizepräsidentin Pau sprach von einem »Wunder«, das die Schulneugründung in Berlin darstelle. »Dass wir in Berlin heute wieder eine so lebendige jüdische Gemeinschaft haben, die sich in unsere vielfältige Stadtgesellschaft einbringt, ist nicht selbstverständlich, sondern etwas ganz Besonderes«, sagte Pau. Die Gesellschaft mit der Kraft der jüdischen Tradition aktiv mitzugestalten, sei das Markenzeichen von Masorti, so Pau.

Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann sagte, die neue jüdische Schule werde die Vielfalt in seinem Bezirk weiter stärken. »Die Grundschule ist ein weiterer wichtiger Teil in der Bildungslandschaft von Charlottenburg-Wilmersdorf«, sagte Naumann.

Zum Start des laufenden Schuljahres wurde die Jewish International School – Masorti-Grundschule als eine offene Ganztagsschule in Trägerschaft von Masorti e.V. ins Leben gerufen. Im August wurde der Schulbetrieb mit zunächst 22 Kindern und einem Team aus fünf Pä­dagoginnen in zwei jahrgangsübergreifenden Stufen der ersten und zweiten sowie der dritten und vierten Stufe aufgenommen.

Im Zentrum des reformpädagogischen Ansatzes der Schule steht neben der Vermittlung der jüdischen Religion nach den Prinzipien von Masorti die individuelle Förderung jedes Kindes durch binnendifferenziertes Lernen. Unterrichtet wird bilingual auf Deutsch und Hebräisch. In Zukunft soll auch noch ein englischsprachiger Zweig hinzukommen. Die Gendergerechtigkeit im Schulalltag sowie in der jüdisch-religiösen Praxis gehört zu den Leitprinzipien der Schule. Das heißt beispielsweise: Sowohl Mädchen als auch Jungs dürfen die Kippa tragen, wenn sie dies wollen.

ENGAGEMENT »Wir brauchen eine Masorti-Grundschule. Wir brauchen einen Raum, in dem wir mit unseren Kindern so weiter leben und lernen können, wie wir es in den Masorti-Kitas erlebt haben«, sagte Rabbinerin Ederberg. Die Gründung der Schule sei Ausdruck des Selbstbewusstseins und der wachsenden jüdischen Gemeinschaft in Berlin.

Die Rabbinerin erinnerte daran, dass es maßgeblich dem Engagement der Eltern zu verdanken ist, dass die Schule bereits in diesem Jahr an den Start gehen konnte. »Im Mai 2017 haben wir zusammen mit Eltern und Pädagogen erstmals die Idee für die Grundschule entwickelt«, sagte Ederberg. »Dass wir nur ein Jahr später eröffnen konnten, ist eine grandiose Gemeinschaftsleistung.« Und noch ein anderer Punkt war der Rabbinerin wichtig: »Dass wir als eine jüdische Schule in ein evangelisches Gemeindehaus einziehen, ist ein fantastisches Zeichen für den interreligiösen Dialog.«

Aufgrund sinkender Mitgliederzahlen konnte die evangelische Jona-Gemeinde die Kosten für das Gemeindehaus in der Roscherstraße nicht mehr tragen. Schritt für Schritt wird die Gemeinde nun mit anderen Kirchengemeinden im Charlottenburger Ortsteil Halensee fusionieren. Im Rahmen dieses Prozesses sollen weitere Räumlichkeiten an die Grundschule abgetreten werden. Ziel ist es, dass die Gemeinde bis Mitte des kommenden Jahres das gesamte Haus an die Schulleitung übergibt.

GESCHENK Man sei der Jona-Gemeinde für die Übertragung des Hauses an die Grundschule sehr dankbar, sagte Schulleiterin Tichauer. »Ohne die Zusage der Gemeinde hätten wir die Schule nicht so schnell eröffnen können.« Jetzt hätten Schüler und Lehrer die Chance, sich langsam, aber sicher an den neuen Ort zu gewöhnen. »Wir sind eine Schule im Aufbau«, sagte Tichauer. Ab dem Schuljahr 2019/20 wolle man die Schülerzahl auf 44 verdoppeln. »Alle Familien, die sich für ihre Kinder eine zeitgemäße und vielfältige jüdische Identität wünschen, sind in unserer Schule herzlich willkommen«, so die Pädagogin.

Vor allem der Fokus auf eine geschlechtergerechte religiöse jüdische Praxis ist den Eltern wichtig.

Shira Guagnin arbeitet als Lehrerin für Hebräisch, Kunst und Sachkunde an der Masorti-Grundschule. Ihre beiden Söhne Roi (7) und Ilai (9) besuchen die erste und zweite beziehungsweise die dritte und vierte Klassenstufe. »Für unsere Familie ist die Gründung der Grundschule ein echtes Geschenk«, sagt die Jerusalemerin. Ihr Mann und sie hätten die Kinder zunächst an einer anderen Schule eingeschult, dort seien die Jungs aber nicht glücklich geworden.

»Das pädagogische und religiöse Konzept von Masorti gefällt uns sehr«, so die 38-Jährige. Vor allem der Fokus auf eine geschlechtergerechte religiöse jüdische Praxis sei ihr wichtig. »Wir haben an der Grundschule ein qualifiziertes pädagogisches Team und eine engagierte Elternschaft«, findet Guagnin. Die Lehrerin zeigte sich zuversichtlich, dass die Schule schnell wachsen werde. An guten Schulen gebe es in Berlin schließlich großen Bedarf.

Frankfurt

30 Jahre Egalitärer Minjan: Das Modell hat sich bewährt

Die liberale Synagogengemeinschaft lud zu einem Festakt ins Gemeindezentrum

von Eugen El  09.12.2024

Frankfurt/Main

»Mein Herz blutet«

In Israel herrsche »Balagan«, Chaos, sagt Chaim Sharvit. Er steht hier denen zur Seite, die zum ersten Jahrestag des 7. Oktober dunkle Gedanken haben. Ein Besuch in Deutschlands größtem jüdischen Altenheim in Frankfurt

von Leticia Witte  14.10.2024

Gedenkveranstaltung

Steinmeier: Wer überlebt hat, trägt schwer an der Last

Fünf Jahre nach dem rechtsextremen Anschlag besucht Bundespräsident Steinmeier die Tatorte.

 09.10.2024

Frankfurt

Graumann und Grünbaum zur Doppelspitze in der Frankfurter Gemeinde gewählt

Den Vorstand vervollständigen Rachel Heuberger, Daniel Korn und Boris Milgram

von Christine Schmitt  09.10.2024

Berlin

»Ein bewegender Moment«

Am Donnerstag fand in Berlin die feierliche Ordination von zwei Rabbinerinnen sowie sechs Kantorinnen und Kantoren statt. Doch auch der monatelange Streit um die liberale Rabbinatsausbildung in Deutschland lag in der Luft

von Ralf Balke  09.09.2024 Aktualisiert

Neue Potsdamer Synagoge

Am Freitag wird der erste Gottesdienst gefeiert

Nach der feierlichen Eröffnung im Juli soll nun das religiöse Leben in der Synagoge in Potsdam langsam in Gang kommen. Am Wochenende sind erste Gottesdienste geplant

 06.09.2024

IKG

»Ein großer Zusammenhalt«

Yeshaya Brysgal zieht nach einem Jahr als Jugendleiter eine positive Bilanz und plant für die Zukunft

von Leo Grudenberg  04.09.2024

Keren Hayesod

»Das wärmt mir das Herz«

Der Gesandte Rafi Heumann über seinen Abschied von Berlin, deutsche Spielplätze und treue Spender

von Christine Schmitt  04.09.2024

Porträt der Woche

Sinn ernten

Caro Laila Nissen half nach dem 7. Oktober Bauern in Kibbuzim nahe Gaza

von Lorenz Hartwig  01.09.2024