Kein Freudenkelch ohne Wermutstropfen. Die Bergische Synagoge in Wuppertal feierte Geburtstag. Doch der Glückwunsch blieb allen Rednern ein wenig im Halse stecken. Die Freude war zwar groß, aber nicht ungetrübt. Dabei gilt es doch, ein Wunder zu feiern – wer hätte je gedacht, dass nach dem Massenmord der deutschen Nazis an sechs Millionen Juden jemals wieder ein jüdisches Gotteshaus in Deutschland gebaut werden würde? Vor ein paar Tagen, am 8. Dezember, hat sich dieses Wunder gejährt.
Wie bedeutend das weltweit beachtete Ereignis im Jahr 2002 war, zeigte schon die Gästeliste: Der damalige israelische Staatspräsident Mosche Katzav war zu Gast, ebenso Bundespräsident Johannes Rau. Nie zuvor und nie danach ist eine Synagoge von zwei amtierenden Staatspräsidenten eingeweiht worden. 15 Jahre ist das her.
Das wollte am vergangenen Sonntag gefeiert werden – mit einer großen Schar von Gästen, darunter dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, Oberbürgermeister, Landes- und Kommunalpolitiker, Vertreter von Kirchen, Verbänden und Vereinen. Wenn die Jüdische Kultusgemeinde einlädt, ist das offizielle Bergische Land auf den Beinen. »Wunder sind die Bestätigung des Möglichen«, sagte Josef Schuster in seiner Rede. Aber er sprach ein paar Sätze später auch weniger schöne Tatsachen an.
In den 90er-Jahren hat Wuppertal den letzten großen Schritt gemacht, seinen Frieden zu finden mit den Juden in der Stadt, mit jenen, die nach dem Holocaust geblieben waren, und jenen, die vorwiegend aus Osteuropa in die Stadt kamen. Die Bergische Synagoge soll ein Zeichen für Versöhnung sein, ein Symbol für das Verzeihen, nicht das Vergessen. Dafür hat die damalige Oberbürgermeisterin Ursula Kraus (SPD) gekämpft, dafür gründete sich der Freundeskreis Neue Synagoge. Die neun Millionen D-Mark trugen das Land Nordrhein-Westfalen, die Kultusgemeinde, die Kirchen und die Stadt Wuppertal auch mit Hilfe von Spendern zusammen.
Mahner Es ist gewiss kein Zufall, dass genau 60 Jahre nach der Pogromnacht, in der auch an der Wupper Scheiben zerbarsten und die Synagoge niederbrannte, am 10. November 1998 der erste Spatenstich für das Gemeindezentrum erfolgte. Vier Jahre später feierten Katzav, Rau und zahlreiche geladene Gäste das Bekenntnis der Wuppertaler Juden zu ihrer Stadt, das zugleich ein Bekenntnis Wuppertals zu seiner Jüdischen Gemeinde ist – Juden sind willkommen in der Stadt, die sich Toleranz und Vielfalt auf die Fahnen schreibt.
Im Tal der Wupper ist die Zahl der Glaubensgemeinschaften so groß wie andernorts die Zahl der Straßenlaternen. Evangelische Gemeinden, Freikirchler, Katholiken und auch Muslime haben hier ihr Zuhause und sind geübt im friedlichen Zusammenleben. Vielfalt, Toleranz, Miteinander – daran erinnerten die Redner in der Synagoge. Doch es gab auch Mahnungen.
Leonid Goldberg ist amtierender Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde Wuppertal. Er gilt als wachsamer Mahner, hat ein feines Gespür für Stimmungen gegen Juden und gegen Israel. Dass seine Sensoren am 29. Juli vor drei Jahren ausschlugen wie wild, verschweigt er nie. Auch an einem Festtag nicht. Goldberg hat den Anschlag noch nicht verwunden, mit dem seine Synagoge europaweit traurige Berühmtheit erlang. Palästinenser hatten das Gotteshaus an jenem Tag mit Brandsätzen angegriffen.
Äußerlich richteten sie nur geringen Sachschaden an. Aber der Schock bei den Gemeindemitgliedern sitzt immer noch tief. »Ich war und bin fassungslos«, sagte auch Josef Schuster. »Was anderes als Antisemitismus kann es sein, eine Synagoge anzuzünden?« Dass ein Gericht die Täter nicht wegen Antisemitismus verurteilte, bleibe unbegreiflich. Der Richter wertete den Brandanschlag stattdessen als »politisch motiviert im Kampf gegen die Politik des Staates Israel«. Die Täter kamen mit Bewährungsstrafen davon.
regelwerk Die Tat und das Urteil haben Juden und Nichtjuden im Bergischen Land anscheinend enger zusammengeschweißt. Dennoch sind Goldberg und die Gemeindemitglieder immer wachsam. Es vergeht keine Veranstaltung, auf der Goldberg nicht darauf hinweist, dass die steigende Zahl der Muslime in Deutschland eine Bedrohung sein könne. »Mit den Flüchtlingen kommt auch Antijudaismus in unser Land. Es kommen auch Menschen, die zum Hass auf Israel erzogen wurden«, griff Ilka Federschmidt, Superintendentin des Kirchenkreises Wuppertal, Goldbergs Sorgen in ihrer Rede auf. »Das sind nicht sehr viele, aber sie sind unübersehbar.«
Umso mehr warb Wuppertals Oberbürgermeister Andreas Mucke (SPD) für das Grundgesetz als Regelwerk des Zusammenlebens. »Die Würde des Menschen ist unantastbar«, betonte er. Rassismus und Antisemitismus dürften keinen Platz mehr in Deutschland haben. Bei aller Leidenschaft klang es doch auch wie das Pfeifen im Walde. Denn die Realität ist eine andere. Mucke weiß das.
Dass die Synagoge am Eingang einem Hochsicherheitstrakt gleicht, hat jedoch nicht in erster Linie mit israelfeindlichen Flüchtlingen zu tun. Sie ist schließlich schon vor 15 Jahren genau so errichtet worden. Panzerglas, Pförtner, keine Türklinke, aber eine Überwachungskamera – vorbehaltlos war und ist dem Frieden offenbar auch im toleranten Wuppertal nicht zu trauen, wo Menschen aus immerhin 160 Nationen überwiegend problemlos miteinander leben. Das hat nicht nur der Anschlag gezeigt – auch der anscheinend salonfähige Antisemitismus ist aus der Gesellschaft noch längst nicht verschwunden.