Es war ein Abend voller Gespräche und Festlichkeit, mit informativem Rückblick auf das vergangene Jahr und vor allem wieder zwei würdigen Preisträgern, denen die Josef-Neuberger-Medaille in diesem Jahr verliehen wurde. Die Jüdische Gemeinde Düsseldorf hatte zum traditionellen Jahresempfang eingeladen. Mehr als 300 Gäste aus Gemeinde und Stadt, aus Gesellschaft, Politik und von anderen Religionsgemeinschaften waren gekommen, um an dem Festakt zur Preisverleihung teilzunehmen.
Im Mittelpunkt standen Jan-Robert von Renesse, Richter am Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Essen, und der bundesweit aktive Verein »Heimatsucher«. Beide repräsentieren verschiedene Aspekte im Umgang mit Schoa-Überlebenden und Erinnerungskultur. »Auch in diesem Jahr haben wir zwei Preisträger, die kaum unterschiedlicher sein könnten und die doch eines eint, nämlich ihr positiver Umgang mit der historischen Last des Holocaust«, betonte der Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Oded Horowitz, in seiner Begrüßungsansprache.
Zweitzeugen Hier der Richter, der sich für einen gerechten Umgang mit Anträgen für Ghetto-Renten eingesetzt hat. Dort ein Verein, der sogenannte Zweitzeugen ausbildet und mit Erinnerungen von Zeitzeugen der Schoa wertvolle pädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen leistet. Beide eint das Zuhören.
Jan-Robert von Renesse fuhr in seiner Funktion als Sozialrichter mehrmals nach Israel, um dort mit Ghetto-Überlebenden zu sprechen, die Rentenanträge gestellt hatten. Von Renesse hörte den Menschen zu, nahm Informationen mit, zeigte Empathie für die Antragssteller. »Er sah in ihnen die Nazi-Opfer, die durch die Hölle gegangen waren und die jetzt nicht von den Rechtsnachfolgern ihrer Peiniger in unverständlichem Juristendeutsch abgewiesen werden dürfen«, fasst Laudator und Justizhistoriker Ingo Müller von Renesses Motivation zusammen.
Durch von Renesses Einsatz sei es gelungen, die Anerkennungsquote auf über 60 Prozent zu erhöhen, betonte Müller. Zu Beginn der erst 1997 begonnenen Ghetto-Renten-Rechtsprechung seien es nur vier Prozent gewesen, die positiv beschieden worden seien. In seiner Ansprache machte Müller zudem anhand von interessanten Fakten und Entwicklungen deutlich, wie ungerecht die Geschichte der sogenannten deutschen Wiedergutmachung angelegt gewesen sei. Sozialrichter Jan-Robert von Renesse habe mit dieser unseligen Tradition deutscher Wiedergutmachungsrechtsprechung gebrochen.
Der Preisträger dankte für die Anerkennung seiner Arbeit: »Zuhören gilt als erste Aufgabe eines Richters und ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit«, sagte von Renesse in seiner Dankesrede. Eine Selbstverständlichkeit, die allzu oft in Vergessenheit gerät und zur preiswürdigen Besonderheit wurde.
Erinnerungen Zuhören steht auch bei dem Verein »Heimatsucher – Schoa-Überlebende heute« am Beginn des Handelns. Vereinsmitglieder treffen Zeitzeugen, führen Gespräche und machen sich ihre Erinnerungen zu eigen, indem sie »Zweitzeugen« werden. In dieser Wortschöpfung steckt das komprimierte Konzept des Vereins. Überlebende stehen nicht mehr lange als Zeitzeugen zur Verfügung. Doch Erinnerung müsse lebendig bleiben, so Katharina Spirawski, geschäftsführende Vorsitzende und selbst Zweitzeugin der Auschwitz-Überlebenden Erna de Vries. »Wir tragen persönliche Erinnerungen weiter, denn diese berühren am meisten und wecken Emotionen.«
Die noch jungen Verantwortlichen des Vereins – er entstand aus einem Grafikdesign-Projekt im Rahmen des Studiums – sind sicher: »Die Schoa kann nicht allein durch Zahlen und Fakten begriffen werden. Nur aus Geschichtsbüchern erfahren, bleibt sie sonst ein abstraktes und anonymes Thema, weit weg vom eigenen Leben«, sagte Katharina Spirawski in ihrer Dankesrede.
Die Zweitzeugen der »Heimatsucher« gehen in Schulklassen ab der vierten Jahrgangsstufe. Mehr als 5000 Schülerinnen und Schüler wurden so schon erreicht. Und 27 Zeitzeugen konnten sie dafür bislang besuchen und interviewen. Ein wichtiger Beitrag, um Geschichte zu bewahren und Geschichte begreifbar zu machen, sagte Laudatorin Carina Gödecke, Vizepräsidentin des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Gödecke bewundert die Arbeit des Vereins, die »Verantwortung für eigenes gesellschaftliches Engagement wecken kann«, seit die »Heimatsucher« 2012 im nordrhein-westfälischen-Landtag eine ihrer ersten Ausstellungen hatten.
Community Es ist nicht die erste Auszeichnung für den rührigen Verein, aber eine ganz besondere, betont Katharina Spirawski. »Die Josef-Neuberger-Medaille ist für uns eine besondere Ehrung, weil sie direkt aus der deutschen jüdischen Community kommt.«
Neben den ehemaligen Preisträgern Wolfgang Clement und Burkhard Hirsch zählte der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, zu den Gästen. Für Abraham Lehrer sind die diesjährigen Preisträger »absolut verdient sowie Paradebeispiele für selbstständiges und uneigennütziges Engagement für die jüdische Gemeinschaft«.
Im Hintergrund des mehrstündigen Zusammenseins im Leo-Baeck-Saal liefen Fotoprojektionen aus dem Gemeindeleben. Von Festen, Projekten, Ausstellungen und der pädagogischen Arbeit gaben sie bunte Einblicke in die Vielfalt des Gemeindelebens. Ebenso wie es Vorstandsmitglied Oded Horowitz in seinem Jahresrückblick getan hatte – nicht ohne Ausblick in die Zukunft.
So soll der Kindergarten, bereits jetzt die größte Kindertagesstätte Düsseldorfs, erweitert werden und um weitere 40 Plätze auf 200 anwachsen. Des Weiteren laufen die Gespräche für ein neues Schulgebäude für das bislang in einem Interimsbau untergebrachte jüdische Albert-Einstein-Gymnasium auf Hochtouren. Davon wird beim nächsten Jahresempfang 2018 zu berichten sein.