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»Bruch/Stücke«

Geschichte aus der Schublade

Das Kaufhaus Schocken in Auerbach (Erzgebirge) gehörte zu der Warenhauskette der Gebrüder Salman und Simon Schocken, die sie in Süddeutschland, aber auch im Erzgebirge und Vogtland betrieben.

In einer Chronik zum Stadtjubiläum fand Ausstellungskurator Daniel Ristau den Bericht einer Zeitzeugin zu den Ereignissen von der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938. Sie sei damals ein junges Mädchen gewesen, erzählt die Frau. Ihr Großvater wollte wie immer bei Schockens einkaufen gehen. Doch alle Auslagen seien demoliert gewesen. Es habe ihn schwer getroffen, dass über die Waren rote Farbe ausgekippt gewesen sei. Grüner Seidenstoff steckte in einem Fass mit Fleischsalat, erzählte die Zeitzeugin.

Auch die Schocken-Kaufhäuser von Aue, Frankenberg, Lugau und Chemnitz wurden von SA-Leuten demoliert. Das 1930 von Erich Mendelsohn gebaute Kaufhaus in Chemnitz gehörte damals zu den modernsten in ganz Deutschland. Heute beherbergt es das Staatliche Museum für Archäologie. Im Foyer sind derzeit die Bruch/Stücke zu sehen. Zusammen getragene Zeitungsausschnitte, Fotografien und Berichte zeichnen die Novemberpogrome in Sachsen nach.

brüche
Für Ruth Röcher, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz, ist das Museum ein idealer Ort für solch ein Projekt. »Das Gebäude hat eine jüdische Geschichte mit Brüchen. Schocken war schon damals in Deutschland eine berühmte jüdische Familie. Auch später in Palästina und dann in Israel haben sie Großes geleistet, bis heute.« Und es sei gut, dass sich die Stadt jener erinnert, die viel zum Wohlstand in den Jahren vor der Nazizeit beigetragen hätten, sagt die gebürtige Israelin.
Die SA und SS nahmen in der Pogromnacht 172 Juden in Chemnitz fest.

Aber im Gemeindesaal würde sie die schlimmen Erinnerungen nicht täglich sehen wollen, dort, wo am Schabbat Kiddusch gefeiert wird. Eine Tafel beschreibt das Schicksal des Tietz-Direktors Hermann Fürstenheim. Nach Brandschatzung der Synagoge am Stephansplatz nahmen SA- und SS-Männer 172 Juden fest. Fürstenheim wurde in seiner Villa auf dem Kaßberg überfallen, in den Keller geschleppt und erschossen. Seine Frau konnte nach Berlin fliehen. Den Leichnam konfiszierten die Behörden. Die Urne bekam die Witwe später zugeschickt.

Chemnitz, wie Leipzig eine ehemalige Hochburg der Sozialdemokratie, hatte den Ruf, am 9. November 1938 die erste Synagoge in Sachsen angezündet und den ersten Juden getötet zu haben. In dem damaligen Regierungsbezirk häuften sich die Übergriffe, zu sehen auf einer Sachsenkarte.

NSDAP-Gauleiter Martin Mutschmann, ein gescheiterter Textilunternehmer aus Plauen, hatte schon 1931 in einer Rede prophezeit, dass einmal »Synagogen rauchen und der Tag der furchtbaren Abrechnung« kommen werde. Vielerorts feierten Anhänger der nationalsozialistischen Politik am 9. November den sogenannten Tag der Bewegung, genau 15 Jahre nach dem gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsch in München.

Grynszpan Das Attentat auf den Diplomaten Ernst vom Rath durch Herschel Grynszpan in Paris und dessen Tod am 9. November heizte die Judenhetze an. Doch bereits am 29. Oktober 1938 wurden in Plauen im Vogtland die ersten Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit in aller Öffentlichkeit abgeschoben, am Geburtstag von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels.

Am 10. November zerstörten SA-Männer die erst 1930 im Stil der neuen Sachlichkeit erbaute Synagoge des Architekten Fritz Landauer in der Engelstraße. Auch jüdische Geschäfte wie das Schirmgeschäft von Nikolaus P. Müller am Klostermarkt oder Teppich-Lewin in der Bahnhofstraße wurden demoliert und geplündert, 34 jüdische Männer ins KZ Buchenwald verschleppt.

All diese Beispiele zeigen, dass die Novemberpogrome nicht nur in den Zentren jüdischen Lebens in Leipzig und Dresden stattfanden, sondern auch in kleineren Städten wie Riesa, Markneukirchen, Löbau oder Großröhrsdorf. 90 Prozent der rund 23.000 sächsischen Juden lebten in Leipzig und Dresden.

Dokumentationslücken Während die Ereignisse beispielsweise in Dresden gut dokumentiert sind, fehlte bisher eine systematische Dokumentation in den kleineren Orten. Das sei nun mit den Bruch/Stücken gelungen, sagt Gunda Ulbricht, Leiterin der Bildungs- und Begegnungsstätte für jüdische Kultur und Geschichte Hatikva in Dresden. Und die Arbeit soll fortgesetzt werden.

»Wir glauben, dass die Forscher, die an kleineren Orten tätig sind, auch noch ganz viel beitragen können. Oft schlummern ihre Erkenntnisse in der Schublade oder in einem kleinen Heimatheft, und es wäre sehr schade, sie nicht der großen Öffentlichkeit zugutekommen zu lassen. Und das möchten wir auch erreichen mit der Ausstellung.«

Verhöhnung In mehr als 50 sächsischen Orten lassen sich Spuren der Novemberpogrome nachweisen. Während der Arbeit an der Ausstellung fand der Historiker Daniel Ristau ein Foto, das den »Zug der Juden« durch Wilthen in der Oberlausitz zeigt. Hakenkreuzfahnen wehen. Eine lachende Volksmenge schaut zu, wie Gertrud Joachimsthal und ihr kriegsversehrter Bruder Hugo Rosenthal am 10. November 1938 in einem kleinen Leiterwagen durch die Schulstraße gezogen werden.

Nach Bautzen gebracht, mussten sie weitere Demütigungen erdulden. Dort trieben Nazis die Juden mit Schildern wie »Saujude« sieben Stunden lang durch die Innenstadt. »Auf dem Kornmarkt hätten auch die älteren Männer und Frauen Kniebeugen machen müssen. Am Schluss der Tortur wurden die Gedemütigten vor das Gerbertor geführt, um sie in die Spree zu stürzen.« Was schließlich aber doch nicht geschah, so berichtet es eine Ortschronik von 2006 unter dem Titel In Bautzen zu Hause.

Die Folgen der Novemberpogrome sind in Sachsen bis heute zu spüren. Nur die Görlitzer Synagoge überstand die Ereignisse zumindest baulich unversehrt. Aber die jüdische Gemeinde bleibt ausgelöscht, wie auch die in Zittau, Annaberg oder Bautzen. Nur in wenigen Fällen ist überliefert, dass Juden geholfen wurde. Und nur ganz selten mussten sich Täter in Sachsen für ihre Grausamkeiten verantworten.

Die Ausstellung »Bruch/Stücke« ist in Dresden, Leipzig und Chemnitz zu sehen.

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