Zimperlich geht es im Jüdischen Kochbuch aus Hamburg nicht zu. Im Rezept »Gestopfter Gänsehals« von Viola Roggenkamp schildert die Schriftstellerin und Publizistin, wie sie als Kind ihrer Mutter beim Zubereiten des Gänsebratens zuschaute. »Zuerst schnitt sie dem Vogel den Bürzel ab, das ist die Fettdrüse am Hinterteil.
Dann nahm meine Mutter das Beil, holte aus und schlug der Gans den Kopf ab.« Mit liebevoller Selbstironie liest Roggenkamp bei der Präsentation des neuen Kochbuches mit Rezepten aus aller Welt ihre Erinnerungen.
Die drei »Oberköchinnen« aber sind Gabriela Fenyes, Barbara Guggenheim und Judith Landshut, die ihr Buch als Herausgeberinnen jetzt im Institut für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg vorstellten und damit auch ein Stück jüdische Kultur aus aller Welt in die Hansestadt zurückholten.
Spender Der Saal war international besetzt, denn die Rezeptspender kommen nicht nur aus Hamburg, sondern auch aus England und Israel, den USA und aus Uruguay. Das neue jüdische Kochbuch bietet Gerichte, die Geschichte schrieben, und blättert in einem Biografieteil auch Familienchroniken auf.
Aus England kam beispielsweise Susannah Brunert, die Enkelin von Eva Oppenheim. Ihre Mutter Ruth Walter verriet das Rezept für einen Madeira-Kuchen mit Sirup von ihrer Mutter Eva Oppenheim. Ruth Walters Großeltern waren Lehrer an der Hamburger Talmud-Tora-Schule und konnten 1939 gerade noch rechtzeitig nach England fliehen.
Der Biografieteil zeigt auch auf, wie Rezepte durch Vertreibungen und Pogrome durch die Welt wanderten, wie sie gehütet werden – sind sie doch ein Teil der Identität der Familien. »Wir wollten nicht nur die Rezepte, wir wollten wissen, wer die Familien sind, auf deren Tischen die Gerichte standen, was sie zu welchem Anlass gegessen haben«, sagt Gabriela Fenyes. »Die Biografien haben uns manchmal sehr berührt, denn vor der Schoa waren wir alle deutsche Juden, jetzt sind wir eine weltweite Gemeinschaft.«
Biografien Die drei Hamburgerinnen haben kein Kochbuch im klassischen Sinn geschaffen. Sie haben mit den Rezepten und knapp beschriebenen Biografien die jüdische Lebenswelt im frühen 20. Jahrhundert eingefangen. »Das Buch führt durch die Küchen der Hamburger Juden und ihrer Familien in aller Welt«, sagt Fenyes.
Die Idee zum Buch hatte Barbara Guggenheim, die für die Organisation von der Idee bis zum fertig gedruckten Buch verantwortlich war. Die Journalistin Gabriela Fenyes hat die Geschichten und Rezepte geschrieben und redigiert, Judith Landshut hat gekocht. Eine große Hilfe war die Adresskartei der Hamburger Senatskanzlei, die ehemalige Hamburger Juden einlädt. Vor zwei Jahren schickten die Rezeptsammlerinnen mit dem Jahrbrief des Referats Erinnerungskultur der Senatskanzlei einen Brief mit der Bitte um Rezepte mit. Und wurden mit E-Mails und Briefen aus aller Welt belohnt.
Rückkehr »Wir haben ganze Kochbücher erhalten, sogar mit Lebensläufen und mit wahrlich köstlichen Anekdoten über Reaktionen in den Familien, wenn ein bestimmtes Gericht serviert wurde«, erzählt Fenyes. Eine besondere Überraschung erlebte Barbara Guggenheim: »Es war ein sehr berührender Moment, als der Postbote eine Versandtüte mit einem handgeschriebenen Kochbuch brachte, das Hamburg 1936 in Zeiten der Verfolgung verlassen hatte. Über Großbritannien gelangte es nach Australien, und von da wurde es 2016 wieder nach Hamburg geschickt.«
Illustriert ist das Kochbuch mit vielen Faksimiles aus alten Kochbüchern, teils in Sütterlin-Schrift, mit Zeichnungen einer Seder Haggada von 1712 und Fotos. Ein Glossar ergänzt Das jüdische Kochbuch aus Hamburg und macht es nicht nur zu einem wichtigen Küchenhelfer, sondern vor allem zu einem Buch, in dem es sich köstlich stöbern und in Erinnerungen und kulinarischen Genüssen schwelgen lässt – von Avocadocreme über die berühmte Hamburger Rote Grütze und Tscholent bis hin zu Zwetschgenkuchen.
Gabriela Fenyes, Barbara Guggenheim, Judith Landshut (Hrsg.): »Das jüdische Kochbuch aus Hamburg – The Jewish Cookbook from Hamburg«. Dölling und Galit, Hamburg 2018, 288 S., 23 €