Es war ein ganz besonderer Nachmittag am vergangenen Sonntag in Kreuzberg. Der Regen hatte rechtzeitig aufgehört, die Sonne tauchte den Uferweg am Landwehrkanal in ein warmes Licht – pünktlich zur Jubiläumsfeier zum 100. Geburtstag der Synagoge und des jüdischen Gemeindelebens am Fraenkelufer.
Viele Beter, Nachbarn und geladene Gäste waren in die Räumlichkeiten des im September 1916 eingeweihten Gotteshauses gekommen. »Wenn wir 2016 das Jubiläum der Synagoge am Fraenkelufer feiern, geht es um viel mehr als das 100-jährige Bestehen eines Gebäudes. Es geht vor allem um die Menschen, die diesen Ort im Laufe des letzten Jahrhunderts mit Leben gefüllt haben«, betont Nina Peretz in ihrer Begrüßungsrede.
Peretz ist Vorsitzende des Vereins »Freunde der Synagoge Fraenkelufer«, der als Gremium viele Aktivitäten organisiert, die über den Gottesdienst hinausgehen. Die Jubiläumsfeierlichkeiten haben die Ehrenamtlichen seit über einem Jahr geplant. »Wir wollen diesen Ort nicht als Mahnmal oder als Museum erhalten, sondern als einen Ort, an dem auch zukünftig aktives Gemeindeleben stattfinden kann«, sagt die Vereinsvorsitzende.
Psalmgesang Das Festprogramm an diesem Nachmittag hatte neben musikalischen Darbietungen und kantoralem Psalmgesang ein besonderes Highlight: die Eröffnung der beiden Ausstellungen 100 Jahre Fraenkelufer – Ein Jahrhundert jüdisches Leben in Kreuzberg und Neubeginn – Robert Capa am Fraenkelufer. Erstere erzählt die Geschichte der Synagoge anhand ausgewählter biografischer Skizzen von Gemeindemitgliedern, letztere zeigt Fotos des amerikanischen Fotografen Robert Capa, der 1945 den ersten Gottesdienst am Fraenkelufer nach Ende des Zweiten Weltkriegs mit der Kamera festhielt.
Zum Festakt waren viele Mitglieder der Gemeinde mit ihren Kindern gekommen. Auch Politiker wie der Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Grüne) und die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann (Grüne), zählten zu den Gästen. Der Rabbiner und Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Andreas Nachama, ordnete die Kreuzberger Synagoge in den historischen Kontext ein. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Gideon Joffe, lobte das vorbildliche Engagement der Beter. »Jüdisches Leben in Kreuzberg ist keine Selbstverständlichkeit.
Die Synagoge am Fraenkelufer ist heute wie zu Zeiten ihrer Gründung ein Ort für Querdenker«, so Joffe. Der Berliner Gemeindevorsitzende erinnerte an die Gründungsgeschichte des Gotteshauses: Inmitten des Ersten Weltkriegs wurde die Synagoge im orthodoxen Ritus, entgegen dem damals vorherrschenden liberalen Mainstream, gegründet. »Treibende Kraft des Wiederaufbaus jüdischen Lebens in Berlin nach der Schoa war auch die Synagoge Fraenkelufer. Heute finden Juden aus Israel und aller Welt ein Zuhause am Fraenkelufer«, sagte Joffe.
Vielfalt In der Tat spiegelt die Kreuzberger Synagogengemeinde die kulturelle Vielfalt des sie umgebenden Bezirks wider. Es ist gerade auch diese Vielfalt, die viele Gemeindemitglieder so attraktiv finden. So wie der 31-jährige Josh. Er stammt aus Israel und wohnt seit einiger Zeit in Neukölln. »Ich finde es super, dass am Fraenkelufer sowohl orthodox als auch konservativ oder liberal betende Menschen willkommen sind. Die Gemeinde lässt sich einfach nicht in herkömmliche Schemata pressen«, sagt der Israeli, der regelmäßig am Gottesdienst teilnimmt und sich auch am zivilgesellschaftlichen Engagement der Gemeinde beteiligt.
So besucht er oft mit anderen Gemeindemitgliedern eine Flüchtlingsunterkunft in Wilmersdorf. Andere Synagogenbesucher schätzen vor allem die gute Gemeinschaft.
»In Israel war ich nie in einer Synagoge. Mit Religion habe ich wenig am Hut. Mit Freunden gehe ich gerne zum Schabbatdinner ans Fraenkelufer. Hier trifft man immer tolle Menschen«, meint der ebenfalls aus Israel stammende 33-jährige Gai.
Ganz gleich, aus welchem persönlichen Antrieb heraus jemand zur Synagoge ans Fraenkelufer kommt, in einem Punkt sind sich alle einig: Die nächsten 100 Jahre können kommen.