Zum fünften Jahrestag des Attentats auf die Synagoge an diesem Mittwoch finden mehrere Veranstaltung in Halle statt. Der zentrale Gedenkakt beginnt um 17.00 Uhr in der Ulrichskirche. Zum Zeitpunkt des damals ersten Schusses, um 12.03 Uhr, läuten alle Kirchenglocken der Stadt. Ebenfalls bereits am Mittag findet in der Synagoge ein Gedenken mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier statt. Im Anschluss erhält die Jüdische Gemeinde feierlich eine neue Tora-Rolle, deren letzter Buchstabe dann geschrieben wird.
»Der Attentäter wollte das jüdische Leben in Halle zerstören. Das ist ihm nicht gelungen. Die neue Tora ist für uns jetzt auch ein Zeichen neuen Lebens«, sagt der Gemeindevorsitzende Max Privorozki auf Anfrage. Auf die Frage, inwieweit seine gut 500 Mitglieder umfassende Gemeinde überhaupt wieder zur Ruhe kommen kann, antwortet er achselzuckend: »Wir arbeiten weiter. Die gesamte Welt kommt ja nicht zur Ruhe.« Die Solidarität nach dem Attentat sei damals unglaublich groß gewesen. »Aber das ist nicht automatisch so. Jetzt im Zuge des Kriegs gegen Israel vermisse ich sie ein wenig. Da würde ich mir noch klarere Statements wünschen.«
Steinmeier: Ventil für Judenhass geöffnet
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte, der Anschlag vom 9. Oktober 2019 habe das Leben der Beteiligten für immer verändert: »Wer den Terror von Halle überlebt hat, trägt schwer an der Last dieses furchtbaren Tages. Für Sie alle gibt es unwiderruflich ein Davor und ein Danach.«
Seit dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel vor einem Jahr scheine sich geradezu ein Ventil für einen ungezügelten Judenhass geöffnet zu haben, sagte Steinmeier: »Zu oft wird das Internet zu einer Hasstankstelle, an der sich Menschen - oft sind es junge Männer - aufladen.«
Am Nachmittag hatte Steinmeier den Gedenkort »Tekiez« besucht, der vom Friedenskreis Halle e.V. betrieben wird. Er befindet sich an der Stelle des früheren »Kiez-Döner«, an dem der Attentäter den 20-jährigen Kevin S. ermordet hatte. Im Anschluss besichtigte der Bundespräsident die Synagoge, wo bereits um 12 Uhr, zum Zeitpunkt des Attentats vor fünf Jahren, ein stilles Gedenken stattgefunden hatte.
Am 9. Oktober 2019, dem jüdischen Feiertag Jom Kippur, hatte der Rechtsterrorist Stephan B. einen Anschlag auf die Synagoge in Halle verübt und dabei zwei unbeteiligte Passanten getötet. Zwei weitere Menschen verletzte er schwer. Sein Versuch, in die Synagoge einzudringen, scheiterte an der Tür. Das Oberlandesgericht Naumburg verurteilte B. im Dezember 2020 zu einer lebenslangen Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung.
Ministerpräsident Haselhoff mahnt zur Verantwortung
Zu- oder Wegsehen sind keine Optionen, wenn Hass geschieht, sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident. Reiner Haseloff (CDU) mahnte zur gemeinsamen Verantwortung im Kampf gegen Judenhass und Extremismus. »Gedenken bedeutet auch Verantwortung: Sei es in Schulen, in sozialen Medien oder im öffentlichen Diskurs, wir müssen überall klar dafür eintreten, dass Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus keinen Raum finden.«
Auch am zweiten Tatort, dem Döner-Imbiss, ist am Abend ein Gedenken geplant. Der ehemalige »KiezDöner« heißt inzwischen »Tekiez« und ist nurmehr ein Gedenkraum, an dem zweimal wöchentlich nachmittags die Türen geöffnet sind, um Kaffee zu trinken, gemeinsam zu kochen, sich auszutauschen, zu trauern und zu erinnern. Daneben gibt es Veranstaltungen wie Lesungen und Workshops. Die Initiative kam von den Betreibern Ismet und Rifat Tekin, die mitansehen mussten, wie in der Attentäter in ihrem Laden einen Mann erschoss.
Döner-Imbiss inzwischen Gedenkort
Im »Tekiez« hängen Flyer und Plakate, die zeigen sollen, dass der Anschlag von Halle Teil einer lange Reihe rechtsextremer Gewalttaten ist. »Für uns ist die Erinnerung sehr präsent, aber sie in der Öffentlichkeit wach zu halten, ist sehr schwierig. Das Interesse konzentriert sich doch sehr auf konkrete Anlässe wie eben jetzt«, berichtet Projektkoordinatorin Yamin Hamid auf Anfrage.
Auch erkennt die Stadt ihres Erachtens das »Tekiez« nicht wirklich als Gedenkort an. Zwar sei die Finanzierung bis Ende 2025 gesichert, die weitere Zukunft aber offen. »Nach wie vor ist dieser Ort für viele Überlebende wichtig, das berichten sie uns immer wieder. Schon das Wissen, dass es diesen Gedenkort überhaupt gibt, gibt ihnen Kraft, selbst wenn sie gar nicht hier in der Nähe wohnen«, erzählt Hamid.
Die Synagoge in Halle hatte zum Zeitpunkt des Anschlags keinen Polizeischutz. Das führte im Nachgang zu einer bundesweiten Überprüfung der Sicherheitsvorkehrungen für jüdische Gotteshäuser. Bund und Länder sagten zu, Synagogen besser zu schützen. Recherchen des »Mediendienstes Integration« ergaben, dass die meisten Bundesländer seitdem Gelder für zusätzliche Schutzmaßnahmen an jüdische Einrichtungen zahlen. Zuvor hatten viele jüdische Gemeinden Maßnahmen wie Poller, Einlassschleusen, Videoüberwachung und Sicherheitspersonal selbst finanzieren müssen. / mit kna/ epd