Der CDU-Politiker Carsten Linnemann hat mit seinen Aussagen zu Deutschkenntnissen von Grundschülern eine breite Diskussion ausgelöst. »Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen«, meinte der Bundestagsabgeordnete jüngst. Welche Erfahrungen machen jüdische Grundschulen? Wir haben nachgefragt.
Deutliche Worte findet Heike Michalak von der Jüdischen Traditionsschule von Chabad Lubawitsch in Berlin. »Da hat sich jemand geäußert, der keine Ahnung hat«, sagt die Schulleiterin. Sie setzt auf ein inkludierendes Konzept. »Alle Menschen, ob behindert oder mit schlechten Deutschkenntnissen, haben das Recht, zur Schule zu gehen. ›Du kannst die Sprache nicht, also bist du raus‹ – was ist das für ein Menschenbild?« Wenn Kinder länger in der Vorschule verweilen, welche Förderung würden sie dort erfahren? Es gehe vielmehr um Ressourcen und Konzepte.
ERSTKLÄSSLER An der Jüdischen Traditionsschule wird auf einen Sprachförderlehrer gesetzt, der gezielt mit den Kindern arbeitet. »Die besten Lehrer sind aber unsere Kinder«, meint Michalak. Wenn die Familien nicht bildungsfern sind, sei es kein Problem für den Nachwuchs, die Sprache zu lernen. Spätestens in der dritten Klasse merke man keinem Schüler mehr an, dass er eine andere Muttersprache hat.
15 Erstklässler sind am vergangenen Freitag eingeschult worden – darunter ein Kind mit schwächeren Sprachkenntnissen. »Aber intellektuell ist das Kind sehr gut, weshalb es eine gute Prognose hat, schnell zu lernen.«
In Berlin wurden die Vorschulen schon vor Jahren abgeschafft.
In der neunten Klasse ist ein Junge aus dem Ausland aufgenommen worden, der nun in der Schule Förderung erhält. Zwei Jahre lang wird er in den Fächern, bei denen die Sprache die Grundlage ist, nicht bewertet. »Aber er bekommt Noten in Englisch, Iwrit, Sport und Kunst.« So sieht die rechtliche Grundlage in Berlin aus – wo im Übrigen schon vor Jahren die Vorschulen abgeschafft worden sind. Wenn Eltern es sich leisten können, sollten sie die Unterstützung selbst in die Hand nehmen, meint Michalak. Bei finanziell schwächeren Familien könne diese über das Bundesteilhabegesetz geregelt werden.
DAZ »Wir nehmen jedes Kind auf«, sagt Inken Loesch, die dem Leitungsteam der Heinz-Galinski-Schule, der Grundschule der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, angehört. Aber die Pädagogen geben der Familie mitunter mit auf den Weg, dass das Kind noch besser Deutsch lernen müsse. Denn mit schlechten Sprachkenntnissen hat der fünf- bis sechsjährige Schüler es viel schwerer, den Lernstoff zu bewältigen. »In der Schule geht es schließlich um Inhalte.«
Eltern würden es teilweise auch unterschätzen, wie schwierig es ist, eine neue Sprache richtig zu lernen. Auch deshalb hat die Heinz-Galinski-Schule ein eigenes Konzept entwickelt: »Wir schauen uns etwa neun Monate vor der Einschulung jedes Kind genau an.« Gegebenenfalls weisen die Lehrer darauf hin, dass der zukünftige Erstklässler noch Unterstützung braucht.
»Da gibt es dann die Möglichkeit, das Kind auch bei einem Spracheninstitut anzumelden, Zeit ist ja noch vorhanden.« Wenn es dafür zu spät sein sollte, müssen die künftigen Grundschüler neben dem morgendlichen Unterricht noch zusätzliche private Unterstützung erhalten, damit sie auf einen guten Stand kommen.
Im letzten Kitajahr ist eine Erzieherin nur für den Spracherwerb zuständig.
Es komme auch vor, dass eine Familie aus dem Ausland nach Berlin zieht. »Jüngst schulten wir einen Drittklässler ein, der aus Israel kam«, sagt Inken Loesch. Dieser Schüler erhielt drei bis vier Stunden DAZ-Unterricht (Deutsch als Zweitsprache) pro Woche neben dem regulären Stundenplan. »Aber viel mehr können wir nicht leisten.«
Sie würde sich wünschen, dass auch der Berliner Senat Stellen für die Feststellung der Deutschkenntnisse schafft und sich um die Schulung im letzten Kitajahr zur Verbesserung der deutschen Sprache kümmert. »Bisher bekommen wir nur die Bescheide von der amtsärztlichen Untersuchung, auf denen festgehalten wird, dass das Kind Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache hat.« Die Arbeit liegt dann bei den Lehrern.
Manche Eltern denken, dass ihr Nachwuchs allein vom Spielen auf dem Schulhof oder beim Treffen mit Freunden die Sprache lernt. »Sie überschätzen ihre Kinder. Die neuen Erstklässler haben mit den Neuerungen des Schulalltags große Veränderungen gegenüber der Kita zu verkraften.« Da sollte die deutsche Sprache kein weiteres Hindernis darstellen.
In der Kita innerhalb der Heinz-Galinski-Schule werden drei Sprachen angeboten: neben Deutsch auch Englisch und Hebräisch. Aber Deutsch ist auch in der Kita die »Amtssprache«. Im letzten Jahr vor der Einschulung werde viel für einen guten Schulstart getan; so ist eine Erzieherin speziell für den Spracherwerb im Einsatz.
SCHONFRIST Ähnlich agiert die Sinai-Grundschule der IKG München. Auch dort wird ein spezieller Deutsch-Förderunterricht angeboten, der parallel zu bestimmten anderen Unterrichtseinheiten stattfindet. Schüler, die zur Einschulung noch nicht richtig Deutsch sprechen, werden dabei laut Gemeinde je nach Kenntnisstand klassenübergreifend zusammengefasst.
»Kinder, die kaum oder gar nicht Deutsch sprechen, werden bei uns aus dem Unterricht herausgenommen und bekommen täglich zwei bis drei Stunden Sprachunterricht«, sagt auch Daphna Schächter von der Yitzhak-Rabin-Grundschule in Düsseldorf. »Wir sind aber auch glücklich, dass wir das Fachpersonal dazu haben.« Zwei Sprachförderlehrer sind hierfür im Einsatz, nie werden mehr als vier Schüler in einer Gruppe unterrichtet. Wenn das Kind immer besser wird, nimmt es immer mehr am regulären Unterricht teil.
Aber auch beim Sport oder beim Musikunterricht ist es im Klassenverband dabei. »Sprache entwickelt sich auch durch das Mitmachen.« Zwei Jahre lang gebe es in Nordrhein-Westfalen eine Schonfrist, was die Benotung angeht. »Jedes Kind wird aufgenommen, und es wird da gefördert, wo es notwendig ist, dazu sind wir da«, betont Schächter. Nicht mehr als 23 Schüler pro Klasse und zusätzlich zum Lehrer noch eine Erzieherin, lautet das Konzept – so kann explizit mit den Kleinen gearbeitet werden.
Zwei Kinder konnten am Anfang überhaupt kein Deutsch – nach zwei Jahren schrieben sie schöne Geschichten.
Erstmals wird in diesem Schuljahr dreizügig gefahren, da 63 Anmeldungen für die erste Klasse vorliegen. Die Direktorin ist Klassenlehrerin einer vierten Stufe. »Zwei Kinder konnten am Anfang überhaupt kein Deutsch – nach zwei Jahren schrieben sie schöne Geschichten, sie haben es wunderbar gelernt.« Ein Jahr Vorschule könne da nicht die Lösung des Sprachproblems sein. Denn Sprachentwicklung sei ein Prozess über Jahre.
STUFE Ein ganz anderes Konzept hat die I.E.-Lichtigfeld-Schule in Frankfurt entwickelt. Sie dehnt die erste Klasse auf zwei Jahre aus, sodass alle Schüler die sogenannte Eingangsstufe eins und zwei mitmachen. »So können die Lerninhalte auf zwei Jahre verteilt werden«, sagt Schulleiterin Noga Hartmann. Wer bis Ende Juli fünf Jahre alt geworden ist, kann angemeldet werden.
Nachfragen gibt es diesmal etwa 70, sodass der Bereich nun vierzügig sein wird. Pro Klasse werden nicht mehr als 22 Schüler die Schulbank drücken. »Bei uns treffen die Kinder unterschiedlichster Herkunft, Kulturen und Sprachen aufeinander.« Alle Pädagogen wissen um das junge Alter der Schüler und arbeiten dementsprechend.
»Es geht spielerisch und sehr anschaulich zu. Wenn es um die Arbeit der Polizei geht, kommt ein Polizist. Zum Zahnarzt wird ein Ausflug unternommen.« Ebenso gebe es eine individuelle Förderung in Kleingruppen – eben auch in Deutsch. Der Vorteil dieses Modells: Die Eltern nehmen es ernster als die Kita. Die Kinder kommen beispielsweise rechtzeitig zum Unterrichtsbeginn.
Wenn sie nach zwei Jahren Eingangsstufe in die zweite Klasse kommen, dann sitzen da richtige Schüler vor den Lehrern, meint die Schulleiterin. »Grundsätzlich können sie dann auch Deutsch«, so Noga Hartmann. Am Ende der Eingangsstufe zwei könnten alle Kinder bereits lesen und schreiben.