Erinnern

»Für mich ist es leider zu spät«

Kulturanthropologin Monika Sznajderman Foto: Radek Polak

»Die Zukunft der Erinnerung« – wie wird sie aussehen, wenn man die Zeitzeugen des Holocaust, genauer gesagt die Überlebenden, nicht mehr befragen kann? Bei manchen von ihnen ging das schon zu Lebzeiten nicht, weil sie schwiegen, vielleicht um ihre Kinder zu schonen, vielleicht, weil sie für das erfahrene Leid keine Worte hatten.

Manchmal hilft da eine Fügung – wie bei der polnischen Verlegerin Monika Sznajderman. Ihr Vater hatte über seine Odyssee durch Konzentrationslager, seine Flucht und Rückkehr nach Warschau nie gesprochen. Bis Verwandte aus Amerika, von deren Existenz sie nichts wusste, Fotos mit handschriftlichen Notizen schickten. Sie hatte ihren Vater immer für den Letzten seiner jüdischen Familie gehalten.

Recherche Das war der Ausgangspunkt einer Recherche unter anderem im Stadtarchiv von Radom, woher Sznajdermans jüdische Vorfahren stammten, und im Washingtoner Holocaust-Museum. Die promovierte Kulturanthropologin beschloss, alles aufzuschreiben und im eigenen Verlag Czarne zu veröffentlichen, den sie seit 1996 mit ihrem Mann Andrzej Stasiuk betreibt, einem der renommiertesten unabhängigen Autoren Polens.

Sznajderman scheut
die Provokation nicht.

Wie bei der Vorstellung ihres Buches Die Pfefferfälscher im NS-Dokumentationszentrum, moderiert von der osteuropaaffinen Journalistin Judith Leister, deutlich wurde, scheut auch Sznajderman nicht die Provokation. Denn sie erzählt die Geschichte ihrer Vorfahren zweigleisig, also auch die der mütterlichen Linie. Die Lachets aber gehörten der polnischen, antisemitisch gesinnten Oberschicht an.

»Fake News« In einem Land, das per Gesetz verbietet, von einer Mitverantwortung Polens an der Judenverfolgung zu sprechen, in dieser Form Klartext zu schreiben, ist gewagt. Auch der Buchtitel weist in diese Richtung. Falszerze pieprzu. Historia rodzinna (Pfefferfälscher. Familiengeschichte) spielt an auf ein infames Gerücht, das einst in der Ghetto-Zeitung erscheinen musste. Als ob es unter den desaströsen Bedingungen nichts Wichtigeres als »Fake News« über zwielichtige Vertreiber von gefälschtem Pfeffer gegeben hätte.

Sind nicht in der gegenwärtigen polnischen Geschichtsklitterung die wahren Pfefferfälscher unterwegs? Ein ziemlich genialer Titel, eine akribische Recherche, eine stilistische Sicherheit, die das Erinnern und Gedenken in diesem konkreten Fall wahrhaftig zugänglich machen.

Sind nicht in der gegenwärtigen polnischen Geschichtsklitterung die wahren Pfefferfälscher unterwegs?

Auf die Frage, ob das Zusammentreffen zweier so verschiedener Familienstränge nicht zu Konflikten geführt habe, meint Monika Sznajderman, ihr Vater habe säkular gelebt und sei in ihrer polnischen Familie durchaus beliebt gewesen. Und sie setzt nach: »Jeder Pole hat, um seinen Antisemitismus zu entschuldigen, einen lieben Juden.«

Zeit Als Kind habe sie nur etwas gespürt. Das Problem blieb unter der Oberfläche. Seit geraumer Zeit gebe es in Polen »Anzeichen einer Wiedergeburt jüdischen Lebens«, sinniert die Autorin mit dem so jüdisch klingenden Nachnamen. »Für mich ist es leider zu spät.«

Monika Sznajderman: »Die Pfefferfälscher. Geschichte einer Familie«. Aus dem Polnischen und mit einem Nachwort von Martin Pollack. Suhrkamp/Insel, Berlin 2018, 279 S., 28 €

Frankfurt/Main

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