Frau Marcenaro, die Jüdische Musik- und Theaterwoche vom 13. bis 27. Oktober geht erstmals unter Ihrer Regie über die Bühne. Was reizt Sie an dieser Aufgabe?
Seit 17 Jahren bin ich die erste Jüdin, die das Festival leitet. Das Jüdische liegt mir sehr am Herzen, und Kulturveranstaltungen zu organisieren ist das, was ich am liebsten mache. Die Kombination aus beidem ist mein Traumjob!
Welche neuen Akzente wollen Sie setzen?
Ich würde gerne Aspekte des Judentums zeigen, die nicht so bekannt sind. Außerdem habe ich vor, noch mehr israelische Produktionen mit ihrem eigenen festen Platz ins Programm zu nehmen, unabhängig vom jährlich wechselnden Schwerpunktthema des Festivals. Ich habe das Bedürfnis, den Unterschied zwischen israelisch und jüdisch mehr zu betonen.
Warum?
Für mich als Jüdin ist es ein bisschen schade, dass viele Leute Judentum mit Israel gleichsetzen. Und ich denke, für die Israelis ist das genauso nervig. Es gibt eine so vielfältige Kultur in Israel, die man nicht auf das Jüdische reduzieren kann. Bei uns zeigt zum Beispiel das Acco Theatre Israel das Stück Um Muhamad. Erzählt wird die Geschichte einer Schoa-Überlebenden und einer muslimischen Israelin, die 1948 vertrieben wurde. Hier geht es um zwei Frauen, die an einem Punkt in ihrem Leben alles verloren haben. Eine weitere israelische Produktion in unserem Programm ist Marathon. Das Stück bezieht sich auf die heutige israelische Gesellschaft.
Bleibt die jüdische Kultur in Europa weiterhin ein Schwerpunkt des Festivals?
Der Fokus liegt auf Europa, weil wir das Gefühl haben, dass sich hier gerade ganz viel bewegt, auch über die Erinnerungskultur hinaus, die weiterhin sehr wichtig ist.
Gilt das auch für die beiden Schwerpunktländer des diesjährigen Festivals – Polen und Tschechien?
Gerade in Polen passiert sehr viel. Es gibt aktuell eine sehr starke Diskussion über die Rolle Polens im Zweiten Weltkrieg. Die Polen waren nicht nur Opfer, manche waren auch Täter. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, die in Deutschland nach dem Krieg stattfand, ist jetzt in Polen zu beobachten. Viele Kunstproduktionen beschäftigen sich mit dem Thema. Ende 2012 lief in Polen der Film Poklosie (Nachlese), den auch wir im Programm haben. Er handelt von einem Massaker an jüdischen Dorfbewohnern und hat in Polen heftige Debatten ausgelöst. Besonders freue ich mich, dass wir in diesem Jahr die polnische Autorin Bozena Keff mit ihrem Stück über Mutter und Vaterland zu Gast haben. Die Inszenierung von Jan Klata, dem Shootingstar unter den polnischen Regisseuren, zeigen wir als Deutschlandpremiere in Zusammenarbeit mit dem Staatsschauspiel Dresden.
Die Jüdische Musik- und Theaterwoche kooperiert dieses Jahr zum ersten Mal mit dem Staatsschauspiel und mit dem Hygienemuseum. Ist die Veranstaltungsreihe also im Zentrum des Dresdner Kulturlebens angekommen?
Man kennt uns, und die Rückmeldungen der Kultureinrichtungen in der Stadt sind sehr positiv. Das Hygienemuseum ist sogar von sich aus auf uns zugekommen, weil dort im Oktober eine Ausstellung zum Thema Tanz startet. Dazu passt unser »Jüdischer Ball« mit Live-Band und Tanzmeister perfekt. Die Kooperation mit dem Staatsschauspiel ist eine große Freude. So erreichen wir auch Leute, die sonst wahrscheinlich nicht zu uns finden würden, sogar über Dresden und Umgebung hinaus. Gleichzeitig profitiert auch das Staatsschauspiel, weil wir unsererseits ein aufgeschlossenes Publikum mitbringen, das sich gerne auf Neues einlässt. Trotzdem bleibt auch das Societätstheater ein sehr wichtiger Partner für uns. Aber das Theaterstück von Jan Klata hätte den Rahmen des Theaters gesprengt.
Sie sind nicht nur Festivalleiterin, sondern auch Mitglied und Kulturmanagerin der Jüdischen Gemeinde Dresden. Ergeben sich daraus Synergien?
Natürlich versuche ich, das Wohl von beiden zu verbinden. Gleichzeitig will ich aber diese verschiedenen Rollen auch voneinander trennen. Wenn die Gemeinde Veranstaltungen im Rahmen der Jüdischen Musik- und Theaterwoche organisiert, ist sie auch dafür verantwortlich. In diesem Jahr bietet sie zum Beispiel einen neuen Programmpunkt an: die Nacht der Synagoge. Die Idee stammt von unserem Rabbiner Alexander Nachama. Gemeinde und Gäste werden zusammen den Schabbatausgang feiern, anschließend gibt es Veranstaltungen in der Synagoge. Ich bin selbst sehr gespannt!
Hat die Jüdische Gemeinde im Kulturleben Dresdens inzwischen einen festen Platz?
Die Jüdische Musik- und Theaterwoche und andere Veranstaltungen sind für unsere Gemeinde eine gute Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit vorzustellen. Das Problem ist: Wir haben kein Budget für regelmäßige Kulturangebote, und ich wüsste im Moment auch nicht, woher das kommen sollte. Für glamouröse Veranstaltungen, die Sponsoren anlocken würden, fehlt uns das Geld. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als von Veranstaltung zu Veranstaltung zu denken – und Betteln auf hohem Niveau!
Welchen Stellenwert hat die Jüdische Musik- und Theaterwoche denn unter den Künstlern?
Ich glaube, wir sind relativ bekannt, sogar in der Off-Theater-Szene in Israel. Wir bekommen mehr Bewerbungen von Künstlern, als wir überhaupt sichten können. Das ist sehr bedauerlich. Am liebsten würden wir alle nehmen, denn das Niveau der Künstler ist meist sehr hoch, auch wenn sie noch keine bekannten Namen tragen.
Wenn Sie die freie Wahl hätten: Welche Produktion würden Sie unbedingt nach Dresden holen wollen?
Mir geht es nicht so sehr darum, dass ein Künstler berühmt ist, wichtig finde ich vor allem, dass der Programmpunkt etwas Neues bietet. Eine Produktion, die ich wirklich gerne einmal zeigen würde, ist das musikalische Highlight A Night in the Old Marketplace des Grammy-Preisträgers Frank London. Aber das ist leider zu teuer für uns.
Werden Sie versuchen, für das Festival neue Geldgeber zu gewinnen?
Ja, ich bin gerade dabei, die Förderungen fürs nächste Jahr zu beantragen. Dank der Bemühungen meines Vorgängers erhalten wir Unterstützung unter anderem von der Stadt Dresden und von der Kulturstiftung des Freistaats Sachsen. Ich werde auch an einige neue Türen klopfen. Unsere finanziellen Bedingungen sind dürftig, wie so oft im kulturellen Bereich. Ich hoffe, wir können unseren Etat steigern, sodass die Mitarbeiter endlich vernünftig bezahlt werden. Aktuell haben wir ein Team von vier bezahlten Mitarbeitern und eine Schar Praktikantinnen. Alle sind mit großem Idealismus bei der Sache, und wenn wir am Ende des Jahres die Arbeitsstunden zusammenrechnen, erschrecken wir uns immer extrem, wie viel wir für wenig Geld gearbeitet haben.
Das Gespräch führte Karin Vogelsberg.
www.juedische-woche-dresden.de