Eine gut gemeinte Initiative der Rostocker Grünen droht sich auf politischem Parkett zu einem Gedenkstätten-Streit auszuweiten. Die Fraktionen Bündnis 90/ Die Grünen, CDU, FDP und Die Linke haben auf der jüngsten Bürgerschaftssitzung vorgeschlagen, die Flurstücke der ehemaligen Synagoge und der dort stehenden Vorgebäude für die Stadt zu sichern, um in absehbarer Zukunft an dieser Stelle eine Gedenkstätte einzurichten. Der Antrag wurde zwar mehrheitlich angenommen, eine kontroverse Debatte deutete sich dennoch an.
Bauausschussvorsitzender Frank Giesen (CDU) bezweifelt die Realisierbarkeit des – wie er meint – edlen Ansinnens. Das Grundstück sei bebaut und in den Händen verschiedener Eigentümer. Hier ein begründetes Interesse der Stadt deutlich zu machen, sei illusorisch. Dieter Neßelmann, Giesens Fraktionskollege und Vorsitzender des Stiftungskuratoriums »Max-Samuel-Haus – Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur in Rostock«, sprach von voneinander abweichenden Auffassungen in der Fraktion zu diesem Thema.
Giesen betrachte die Fläche vornehmlich als Immobilie, für ihn selbst stehe der historische Hintergrund an erster Stelle. Aber auch aus dem Max-Samuel-Haus kommen offenbar kritische Töne. »Es gibt unterschiedliche Interessenlagen in Rostock«, sagt Antragsinitiator Johann-Georg Jaeger von den Grünen.
Initiator Demnach hält der wissenschaftliche Projektleiter des Max-Samuel-Hauses, Frank Schröder, eine neue Gedenkstätte auf dem ehemaligen Synagogengelände offenbar für überflüssig. Dabei hatte er bereits vor 20 Jahren angeregt, das historisch wertvolle Areal in der Augustenstraße in städtische Hand zu bringen. Er gilt auch als Vater jener Gedenktafel, die noch zu DDR-Zeiten an der Stelle der 1938 von den Nazis niedergebrannten größten Synagoge Mecklenburgs aufgestellt wurde. Zur derzeitigen Debatte über den Fraktionsantrag wollte er sich offiziell nicht äußern.
Die Stadt, mit der Prüfung der Kaufmöglichkeiten beauftragt, steht vor einer schwierigen Mission. »Die derzeitigen Eigentümer sind an einem Verkauf nicht interessiert«, sagt Rathaussprecher Ulrich Kunze. »Es kann für uns nur darum gehen, die Gesprächspartner zu sensibilisieren und das Interesse der Stadt anzumelden.« Die Fläche ist fast vollständig bebaut, neben der Gedenkstätte für die Opfer des Stalinismus und mehreren Wohnhäusern wird es hier bald einen Supermarkt geben, der für 15 Jahre Nutzungsrecht erhalten hat.
Auf lange Sicht Für Johann-Georg Jaeger stellen all die Unwägbarkeiten kein Problem dar. »Es geht nicht um den kurzfristigen Kauf«, meint er. »Wir wollen uns das Grundstück nur sichern, damit vielleicht in 20 Jahren über eine neue Gedenkstätte nachgedacht werden kann.« Der Ort würde zunehmend aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden und dürfe nicht sich selbst überlassen werden. »Dieses Projekt kann garantieren, dass es an dieser Stelle zu keiner missbräuchlichen Nutzung kommt.«
Da die Fläche vor allem in den Händen des Landes, der Treuhandnachfolgegesellschaft TLG und der Rostocker Wohnungsgesellschaft Wiro liege, könne man über Grundstücksaustausch nachdenken. Das hält Jaeger sogar schon innerhalb der nächsten zwei Jahre für machbar. Die nach dem Bürgerschaftsbeschluss in der Hansestadt entstandene Unruhe ärgert Jaeger. »Es gibt mehrere Gruppen, die sich für die Erinnerung an das Schicksal der Juden in Rostock verantwortlich fühlen«, sagt der Politiker. »Außerdem ist dabei aber ein Konkurrenzgedanke entstanden, den ich nicht für angebracht halte.«
Anfänge Auch wenn Rostock seine jüdische Geschichte bis ins Mittelalter zurückverfolgen kann, gab es in der Hansestadt nur ganze 36 Jahre eine Synagoge. Ihre Entstehung markierte den Aufstieg der jüdischen Gemeinde, deren pulsierendes Leben mit der Zerstörung des Gotteshauses durch die Nationalsozialisten im November 1938 ein brutales Ende fand.
Historische Quellen belegen, dass sich bereits 50 Jahre nach der Gründung Rostocks im Jahr 1218 Juden in der Stadt angesiedelt hatten. Mit der Pestseuche zwischen 1348 und 1352 endet die Geschichte der ersten jüdischen Gemeinschaft in Rostock. Päpstliche Bullen gaben den Juden die Schuld am Massensterben, was auch in Rostock zu ihrer Vertreibung führte. Das Niederlassungsverbot hatte fünf Jahrhunderte Bestand.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts siedelten sich in der Hansestadt wieder Juden an. Der erste Jude, der nach Rostock kam, war der Zigarrenmacher Gustav Israel. Simon Neumann gilt schließlich als Gründer der jüdischen Gemeinde am 12. Januar 1870.
Stifter Die testamentarische Hinterlassenschaft des Gemeindemitglieds Meyer Gimpel, zu der 80.000 Mark sowie wertvolle Torarollen und silberne Kultgegenstände gehörten, bereitete den Weg für den Bau und die Ausstattung einer Synagoge. Am 14. September 1902 erlebte die mit 350 Plätzen damals größte Synagoge Mecklenburgs ihre Eröffnung. Viele Gemeindemitglieder hatten mit Spenden zum Bau beigetragen. Ihr Vorsitzender Sigmund Bernhard stiftete die Kronleuchter.
Die Synagoge entwickelte sich in den 20er-Jahren zum religiösen, geistigen und kulturellen Zentrum. Aus ganz Mecklenburg-Schwerin kamen Juden in die Hansestadt. 1926 verlegten der Oberrat und das Landesrabbinat ihren Sitz von Schwerin nach Rostock. Bereits in den Jahren vor der Machtergreifung war allerdings auch in Rostock ein zunehmender Antisemitismus zu spüren. Am frühen Morgen des 10. November 1938 ging die Synagoge in der Augustenstraße in Flammen auf und brannte bis auf ihre Grundmauern nieder.
Wiedergründung Eine jüdische Gemeinde entstand erst im September 1990 wieder, als 20 jüdische Familien aus der Sowjetunion nach Rostock kamen. Seit 2004 gibt es mit dem neuen Gemeindezentrum auch wieder eine darin integrierte Synagoge.