Gedenkstunde

Für die Demokratie

Wüsten Beschimpfungen, Beleidigungen, Drohungen und offen geäußertem Hass auf allen möglichen Plattformen sieht sich Charlotte Knob­loch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, seit ihrer Rede im Bayerischen Landtag ausgesetzt. In der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus am Mittwoch vergangener Woche hatte sie die AfD als verfassungsfeindlich kritisiert. Die meisten Fraktionsmitglieder verließen daraufhin aus Protest den Saal.

Charlotte Knobloch, die einen großen Teil ihrer Familie während des Holocaust verlor und selbst nur durch glückliche Fügungen überlebte, warnt seit Jahren vor zunehmendem Antisemitismus in Deutschland. In der Gedenkstunde erinnerte sie in diesem Zusammenhang an das fundamentale Grundversprechen bei der Gründung der Bundesrepublik, dass sich der Absturz in die Barbarei nie wiederholen dürfe. Dieses Bestreben, so die IKG-Präsidentin, lasse sich mit den beiden Worten »Nie wieder!« kurz und treffend beschreiben.

Charlotte Knobloch fragt, wie dauerhaft und nachhaltig die Fortschritte nach 1945 sind.

Angesichts der Tatsache, dass Antisemitismus wieder anwachse und sich jüdische Menschen unsicher fühlten, stelle sie sich die Frage, wie dauerhaft und nachhaltig die Fortschritte nach 1945 gewesen seien. »Der Fortbestand der Demokratie beruht auch auf dem Wissen um die schreckliche Vergangenheit. Wir müssen wissen, woran wir sind und wohin wir gehen. Dies ist heute – an der Schwelle zur Zeit ohne Zeitzeugen und angesichts neuer Bedrohungen – wichtiger denn je. Es ist die Verantwortung von uns allen, dass sich das Unvorstellbare nicht wiederholt.« Und sie fügte hinzu, sie vermisse jedoch »den Aufschrei der gesellschaftlichen und politischen Institutionen«.

werte Zum Eklat, dem Auszug der AfD-Abgeordneten, kam es, als die IKG-Präsidentin direkt auf die Rolle der rechtspopulistischen Partei einging. »Im Bundestag und in unseren Landesparlamenten«, sagte sie, »ist heute überall eine Partei vertreten, die diese Werte verächtlich macht, die die Verbrechen der NS-Zeit verharmlost und enge Verbindungen ins rechtsextreme Milieu unterhält. Diese sogenannte Alternative für Deutschland gründet ihre Politik auf Hass und Ausgrenzung und steht nicht auf dem Boden unserer demokratischen Verfassung.«

Den Appell von Charlotte Knobloch an die Abgeordneten, dem Hass entgegenzutreten und nicht tatenlos zuzusehen, wenn Ausgrenzung und Intoleranz um sich greifen, hörten die Vertreter der AfD nicht mehr – ebenso wenig wie die sich daran anschließende Feststellung. »Das sind wir denen schuldig, derer wir heute gedenken«, erklärte die IKG-Präsidentin am Ende ihrer beeindruckenden Rede. Und alle anwesenden Abgeordneten spendeten ihr anhaltenden Applaus.

Später erklärte Charlotte Knobloch in einem Interview, dass es ihr bei der Erinnerung an die Opfer von damals wichtig gewesen sei, klar Position zu beziehen. »Gedenken heißt nämlich auch«, so ihre Überzeugung, »für Demokratie einzustehen.«

reaktionen Ministerpräsident Markus Söder, der an der Gedenkveranstaltung ebenfalls teilnahm, bezeichnete das Verhalten der AfD als respektlos. »Es entlarvt und zeigt den wahren Charakter. Echte Demokraten hätten sich anders verhalten«, erklärte er. Auch Landtagspräsidentin Ilse Aigner hatte in ihrer Rede davor gewarnt, den Holocaust zu relativieren oder gar zu leugnen. Als Beispiel nannte sie den thüringischen AfD-Chef Björn Höcke. »Wer heute unsere Erinnerungskultur in den Schmutz zieht, etwa indem er vom ›Denkmal der Schande‹ spricht, der ist nicht nur gegenüber der Vergangenheit blind. Er ist auch blind für die Zukunft«, sagte die Politikerin. »Überlassen wir den Tätern von damals nicht den späten Triumph.« Auch sie bezeichnete die Reaktion der AfD auf die Rede von Charlotte Knobloch als respektlos.

Viele bezeichneten die Reaktion der AfD auf die Rede der IKG-Präsidentin als respektlos.

Anerkennung für ihre deutlichen Worte in Richtung AfD erhielt die IKG-Präsidentin quer durch alle anderen Parteien und von maßgeblichen Personen des öffentlichen Lebens.

Ludwig Spaenle, der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, empfindet vor allem die persönlichen Angriffe gegen Charlotte Knobloch als unerträglich und hält ihre Rede im Landtag für geradezu beispielhaft. Für ihren Mut, den sie in dieser Situation gezeigt habe, gebühre ihr Respekt. In Anspielung auf die Reaktionen der AfD-Abgeordneten sagte Spaenle: »Es sind die Väter des Ungeistes, die sich hier gezeigt haben.« Dem müssten alle entgegentreten.

twitter Florian Ritter, Landtagsabgeordneter der SPD, meldete sich per Twitter zu Wort: »Dass die AfD den Saal bei der Rede der Schoa-Überlebenden Charlotte Knobloch verlassen hat, zeigt einmal mehr, welch Geistes Kind diese Partei ist.«

Katharina Schulze, Landtagschefin der Grünen, zeigt sich von der Haltung der IKG-Präsidentin beeindruckt. »Charlotte Knobloch hat es perfekt zusammengefasst. ›Nie wieder!‹ ist das fundamentale Grundversprechen der Bundesrepublik. Für dieses ›Nie wieder!‹ müssen wir gemeinsam arbeiten. Für Toleranz. Für Gleichheit. Für Freiheit. Für unsere Demokratie«, schrieb die Politikerin in den sozia­len Netzwerken.

Die Kehrseite dessen erlebt die Frau an der Spitze der Israelitischen Kultusgemeinde seit ihrem Auftritt im Landtag. Im Minutentakt erreichen sie E-Mails, Telefonanrufe, Briefe voller Hass. An ihrer Haltung ändere das jedoch nichts, versicherte Knobloch.

hass In der Gedenkstunde des Landtags sprachen die Holocaust-Überlebenden Abba Naor und Else Höllenreiner (in Begleitung ihres Ehemannes Hermann) auch über den Hass, den sie in der Zeit des Nationalsozialismus erleben mussten. Diese Erlebnisse, die Jahrzehnte zurückliegen, hätten sich für immer in ihre Seelen eingebrannt.

Auch Karl Freller, Stiftungsdirektor der Bayerischen Gedenkstätten, ging in seiner Rede zur Erinnerung an die Opfer darauf ein. »Mit Hass«, sagte er, »kommt man nicht weiter. Der Hass ist das Gen für Rassismus, Vernichtungslager, Selektion, Vergasung, Vernichtung durch Arbeit, medizinische Experimente und Völkermord.«

Angesichts dessen, was sich nur kurz darauf in den sozialen Medien abspielte, schien Frellers im Landtag geäußerte Bemerkung bereits veraltet. »Passen wir auf«, hatte er bei der Gedenkstunde gewarnt, »dass sich dieses Gen in der Gegenwart nicht wiederfindet.«

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