Vom Kindergarten bis zum Seniorenheim: Bei den Purim-Feiern der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern ließen sich Jung und Alt nur allzu gerne von der Ausgelassenheit anstecken, die von dem Freudentag ausgeht.
Doch an Purim wird nicht nur gefeiert, das Fest erinnert vielmehr auch an die Bedrohung des jüdischen Volkes in der persischen Diaspora – wodurch sich der Kreis zur Gegenwart schließt. IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch beobachtet die politischen Veränderungen und vielen Krisenherde auf der Welt mit großer Besorgnis. Immer wieder hat sie in der Vergangenheit, seit gut einem Jahr verstärkt, ebenfalls auf den immer offener in die Mitte der Gesellschaft getragenen Antisemitismus und die damit einhergehenden wachsenden Sorgen der Juden – auch innerhalb der Münchner Gemeinde – hingewiesen.
Normalität Mit Blick auf das Purimfest erklärte Charlotte Knobloch: »Der Hass, der uns immer häufiger und immer stärker entgegenschlägt, darf nicht dazu führen, dass wir Juden, von Angst getrieben, unsere Normalität verlieren und unser normales, gewohntes Leben aufgeben. Gerade jetzt dürfen wir das nicht.« Es sei deshalb äußerst wichtig, davon unbeeindruckt weiter zu leben, wozu eben auch Purim gehört, das ausgelassenste Fest im jüdischen Kalender.
Zu den überlieferten Bräuchen, die das Fest bis heute begleiten, gehören die knusprigen Hamantaschen, die das Ohr des bösen Ministers darstellen sollen und überall verschenkt und verspeist werden. So gesehen ist der Mann, der alle Juden des persischen Reiches an einem Tag ermorden lassen wollte, aber davon von der jüdischen Königin Esther abgehalten werden konnte, überall präsent.
Bei den Kostümen, die die Purim-Feier im IKG-Gemeindezentrum auch zu einem optischen Erlebnis werden ließen, hatte Haman keine Chance: Orientalisches Styling als Grundtendenz und bei den Damen ganz zwangsläufig eine deutliche Präferenz für Kostümierungen als Esther waren angesagt. Noch deutlicher zugunsten der Königin fiel die Kostümwahl im Kindergarten der IKG aus. Dort wollten viele ebenfalls Königin sein: natürlich Esther, die Heldin aus der Vergangenheit.
Partystimmung Eine Jury hatte dann noch die schwierige Aufgabe zu lösen, die drei schönsten Kostüme auszuzeichnen. Auch Gemeinderabbiner Shmuel Aharon Brodman ließ sich von der Partystimmung der Kinder anstecken und wagte sich aufs Tanzparkett. Etwas weniger ausgelassen, aber entspannt und fröhlich fiel die Feier im Saul-Eisenberg-Seniorenheim aus. »Kostümierung erwünscht«, hieß es in der Einladung, der viele Bewohner gerne nachkamen und ein paar vergnügliche Stunden erlebten.
Die Ereignisse vor über 2000 Jahren, die die Grundlage des Purimfestes darstellen, sind im Buch Esther festgehalten. Die Textpassagen werden jedes Jahr während eines Gottesdienstes in der Synagoge vorgelesen und sind für die Kinder der Gemeinde ein Highlight. Immer dann, wenn der Name »Haman« fällt, dürfen sie das Vorlesen unterbrechen und sich lautstark Luft verschaffen. Ratschen sind ein besonders beliebtes Mittel dazu.
Eine Party war es nicht, aber auch die vom IKG-Kulturzentrum organisierte Lesung mit Emanuel Bergmann aus seinem Debütroman Der Trick (Diogenes Verlag) passte perfekt zum Purim-Fest. Der Roman spielt in einem Zirkus und erzählt die Geschichte des 15-jährigen Rabbinersohns Mosche Goldenhirsch, der sich in die liebreizende Assistentin eines Magiers und Gedankenlesers verliebt und den Künstlern folgt.
Persien Auch bei der Lesung im Gemeindezentrum gab es eine »Königin«. Die Assistentin des Autors wurde jedenfalls als »Ariane von Persien« vorgestellt, entpuppte sich zum Vergnügen der Zuhörer dann allerdings sehr schnell als typische Berliner Göre.
Und noch eine weitere kleine Parallele zu den eigentlichen Purim-Feiern der IKG fiel auf: Nach der Veranstaltung unterhielten sich die Besucher noch angeregt bei koscherem Wein und Hamantaschen. Die »Ohren« des bösen Ministers in Form traditionellen Gebäcks durften freilich auch an diesem Abend nicht fehlen.