Es sind die strahlenden Gesichter, die einfach nicht zu übersehen sind. Einmal im Jahr, meistens an einem festlich gestalteten Abend im Juni, werden alle, die ins IKG-Gemeindezentrum strömen, von einem Gefühl der Freude erfasst. Doch dieses Mal war es bei der traditionellen Abiturfeier anders.
Zur Freude über den Erfolg der jüdischen Schüler gesellte sich diesmal der Schmerz über den unerwarteten Tod von Marcus Schroll, der für die jungen Menschen und für die Kultusgemeinde viel mehr als nur ein Religionslehrer war. IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch zitierte in ihrer Festrede eine Stelle aus der Tora, um die zwei so unterschiedlichen Empfindungen der Anwesenden auf den Punkt zu bringen. »Alles hat seine Stunde«, sagte Knobloch, ohne zu verbergen, wie nahe ihr der Tod von Marcus Schroll ging – und fügte hinzu: »Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit – eine Zeit zu trauern, des Abschieds, aber auch eine Zeit, sich zu freuen.«
Unermüdlich Der Betroffenheit über Marcus Schrolls Tod konnte sich keiner der Anwesenden entziehen, schon gar nicht jene, die regelmäßig mit ihm im gedanklichen Austausch standen und seine Unermüdlichkeit und seine Hingabe, jüdische Religion in all ihrer Schönheit zu vermitteln, zu schätzen wussten und an der Feier teilnahmen. Unter ihnen waren die Abiturienten, die Eltern und Familien der Schüler, die IKG-Präsidentin und die Vorstandsmitglieder, Gemeinderabbiner Shmuel Aharon Brodman, Kollegen aus den Bildungseinrichtungen der Gemeinde, Vertreter des Kultusministeriums sowie die amtierenden und inzwischen im Ruhestand lebenden Direktoren der kooperierenden Gymnasien (Luitpold-Gymnasium, Max-Josef-Stift).
Bei aller Trauer über den Verlust des geschätzten Religionswissenschaftlers und -lehrers verlor die IKG-Präsidentin den ursprünglichen Anlass der Festveranstaltung, die Feier des Abiturs, aber nicht aus den Augen. »Marcus Schroll wird uns unendlich fehlen«, sagte sie, »aber ich bin ganz sicher, dass er heute auf Sie, liebe Absolventen, voller Stolz blickt und auch möchte, dass Sie sich trotz der Trauer, die uns alle übermannt hat, über Ihr bestandenes Abitur freuen, für das Sie so hart und fleißig gearbeitet haben.« Ähnlich äußerten sich in ihren Reden auch die Religionslehrerin Michaela Rychla und die Leiterin des Gymnasiums, Miriam Geldmacher.
Wie stark der Verlust einerseits und das erfolgreiche Ablegen des Abiturs andererseits mit dem Namen Marcus Scholl verbunden ist, machten vier »seiner« Abiturienten, Annabel Targownik, Joelle Noemi Lewitan, Benjamin Alfred und Hannah Volkmann mit sehr persönlich vorgetragenen Erinnerungen deutlich. Sie sprachen dabei auch im Namen aller anderen Abiturienten: David Bergida, Ben Avraham Chajet, Yael J. Fechtner, Joel Gideon Michelberg, Nathalie Schörken, Clara Sharell und Michael Ushakov.
bereicherung Alle Abiturienten waren sich bewusst, dass sie der letzten Klasse angehören, die Marcus Schroll in allen Lebenssituationen begleitete, vom Kindergarten bis zum Abitur. »Er hat seinen Schülern mehr gegeben als Unterricht. Er hat ihr Leben für immer bereichert und sie darauf vorbereitet, dass das Leben gute und schlechte Überraschungen bereithält«, hob Knobloch hervor und sprach damit allen aus dem Herzen.
Die nächsten Abiturienten, die durch ihn mitgeprägt wurden, wird Marcus Schroll nicht mehr miterleben. Aber er leitete zusammen mit Miriam Geldmacher das im letzten Jahr gegründete Jüdische Gymnasium unter dem Dach der IKG und legte damit auch die religiösen, über seinen Tod hinaus geltenden Eckpfeiler des Unterrichts fest. Daran erinnerte Charlotte Knobloch die Abiturienten: »Ich möchte Sie heute auch an die übergeordneten Werte erinnern, an das Fundament, Ihre Wurzeln, die wichtiger sind, als es der Druck, die Hektik und die alltägliche Wucht erscheinen lassen. Ich möchte Sie ermutigen, Ihre Wurzeln, Ihre Religion, das Judentum, als feste Konstante in Ihrem Leben zu bewahren.«
Die IKG-Präsidentin sprach in ihrer Rede auch den hohen Erwartungsdruck an, der heute auf jungen Menschen lastet, die erfolgreich sein wollen. Dieser Druck sei nicht immer einfach, deshalb legte Charlotte Knobloch in diesem Zusammenhang ein Versprechen ab. »Die Kultusgemeinde«, erklärte sie, »wird immer für Sie da sein. Sie sind unsere Zukunft, und ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie Ihren Weg finden, dass Sie sich Ihren Platz in dieser Welt erobern, sich verwirklichen und nach Ihren Vorstellungen glücklich werden können.«
empathisch Ehrgeiz und Fleiß seien zwar wichtige Voraussetzungen, um seine Ziele zu erreichen, erklärte Charlotte Knobloch an die Abiturienten gewandt, doch man müsse stets auch offenherzig und empathisch bleiben, mit offenen Augen und Herzen durchs Leben gehen und an jene Menschen denken, die auf der Schattenseite des Lebens stehen.
Die IKG-Präsidentin forderte die Absolventen aber auch auf, mündig und wachsam zu sein und die Errungenschaften von Freiheit, Frieden und Demokratie zu verteidigen. Zu bewahren seien aber auch jene Werte, die die Tora vorgebe: Nächstenliebe, Menschlichkeit, Tikkun Olam, Zedaka, Gemilut Chassadim. Charlotte Knobloch wörtlich: »Seien Sie Menschen!«