Olam

Feuer und Flamme

Wie sieht gute Laune aus? Wer das wissen möchte, muss Semon Shabaev kennenlernen. Vergnügt und unbekümmert wirkt der 17-Jährige. Kein Wunder, dass er bei der vergangenen Makkabiade in Israel ausgesucht wurde, als Maskottchen der deutschen Delegation die Sportler und Zuschauer in einem blauen Bärenkostüm anzufeuern und gute Stimmung zu verbreiten. Dass Semon so etwas gut kann, hat er auch schon mehrmals bei der Jewrovision bewiesen, wo er sich rasch vom Backgroundsänger zum Frontman gesungen hat und als bestes Ergebnis einen stolzen zweiten Platz erreichte.

Bei der Jewrovision im Februar in Dresden wird er allerdings nicht auf der Bühne stehen. Der Abiturient, der nicht nur ins Kostüm des Makkabiade-Maskottchens schlüpft, sondern neben der Schule auch schauspielert, als Schiedsrichter bei Basketballspielen pfeift, Schach spielt und von sich selbst sagt, er sei »die Definition von guter Laune«, hat Ende 2017 als Madrich im Jugendzentrum Olam eine Gruppe Zehn- bis Elfjähriger übernommen, zusammen mit seiner Schwester Anna und einem Freund, dem 18-jährigen Alen Rozin.

konzept Die drei Madrichim waren auch dabei, als sich etliche Bewerber beim Casting zur Jewrovision 2018 im Herbst des vergangenen Jahres im Olam die Klinke in die Hand gaben. Seit Wochen sind die Proben nun im Gang – es wird getanzt, gesungen und an dem Video gefeilt.

Semons, Annas und Alens Gruppe ist derweil mit anderen Dingen beschäftigt. Natürlich sei die Jewrovision Thema, aber für ihre Gruppe stünden derzeit andere Aktivitäten im Vordergrund, sagt Semon. »Ich bin ganz stolz, weil sonntags so viele Jugendliche den Weg zu uns finden«, sagt er. Die etwa 15 Kinder seien derzeit »mit das Wichtigste« in seinem Leben.

Seiner Schwester Anna geht es ähnlich. Wenn sie von ihrer Tätigkeit im Jugendzentrum erzählt, strahlt sie übers ganze Gesicht. Sie überlegt immer schon vorher ein Programm für den Tag. »Am letzten Sonntag zum Beispiel hatte ich Spiele geplant, bei denen die Gemeinschaft gestärkt werden soll«, sagt die 16-jährige Schülerin. Etwa durch die Aufgabe, »den höchsten Turm aus Jenga-Steinen« zu bauen. Dabei sollten die Kinder herausfinden, was eher zum Ziel führt: indem jeder für sich allein baut oder man sich in einer Gruppe zusammentut – Aspekte, die auch eventuelle spätere Jewrovision-Auftritte beeinflussen können.

Ihr Konzept gehe auf, stellt Anna voller Freude fest. »Ich möchte, dass unsere Jugendlichen wissen, dass wir nun viel Zeit miteinander verbringen und dass wir auch eine Art Familie sind«, sagt sie. Alles soll möglich sein, finden Semon, Alen und Anna. Deshalb gaben sie ihrer Gruppe den Namen »Los Angeles« – als Synonym für einen Sehnsuchtsort, eine Stadt, in der Träume in Erfüllung gehen.

theater Für Anna ist mit der Gruppenbetreuung im Olam ein Wunsch in Erfüllung gegangen. »Ich arbeite gern mit Kindern«, sagt sie. Sie seien so ehrlich und entwaffnend. Das gefalle ihr. »Ich freue mich, wenn ich für ihr Lachen mitverantwortlich bin.« Sie möchte etwas zurückgeben, was auch sie selbst erfahren hat.

Den Weg in die Joachimsthaler Straße würde sie vermutlich auch im Schlaf finden. Bereits mit zwei, drei Jahren war sie dort und erhielt Unterricht in Rhythmischer Sportgymnastik. Auch wenn sie zwischendurch nicht immer große Lust hatte, blieb sie bis vor Kurzem dabei, trainierte regelmäßig und stand bei Wettkämpfen mit Bändern und Reifen auf der Matte. Doch anstatt wie früher viermal pro Woche, hat sie das mittlerweile nur noch einmal in der Woche auf ihrem Plan.

Nach der Schule gibt die 16-Jährige, die eine Klasse übersprungen hat und im nächsten Frühjahr ihr Abitur machen wird, Grundschülern Nachhilfeunterricht und steht als Schauspielerin auf der Bühne, darunter mit dem Stück »Shalom – Salam: wohin?« des Deutsch-Jüdischen Theaters. Das Projekt sieht vor, dass christliche, muslimische und jüdische Jugendliche jedes Jahr zusammen eine Fortsetzung schreiben und aufführen. Alles dreht sich dabei um drei Familien in Berlin-Schöneberg – eine muslimische, eine christliche und eine jüdische. Die muslimische Tochter verliebt sich in den jüdischen Sohn – Semon spielt den Sohn, Anna die Tochter. Vor einigen Jahren haben sie bereits zusammen in der Serie Im Angesicht des Verbrechens unter der Regie von Dominik Graf mitgewirkt.

machane Auf das Jugendzentrum aufmerksam wurden die Geschwister, als sie die Sonntagsschule besuchten. »Die Sonntagsschule haben wir so geliebt«, schwärmen beide. Die Geräusche aus der Etage über ihnen weckten ihre Neugier. Also gingen Anna und Semon nachschauen – und waren sofort Feuer und Flamme für das Jugendzentrum. Seitdem gehört es zu ihrer beider Leben.

Die Los-Angeles-Gruppe soll »cool« sein. Für die drei Leiter heißt das, dass sie sich auch bei einem Spiel mit Schokoküssen bewerfen lassen. Außerdem haben sie eine WhatsApp-Gruppe eröffnet, der schon 35 Jugendliche beigetreten sind. »Dort schreiben wir, was wir vorhaben, und laden zu Specials ein«, beschreibt Semon den Zweck. Ebenso wichtig ist ihm, dass sich die Kinder untereinander austauschen. »Hauptsache, sie kommunizieren«, findet er. Die Art und Weise sei zweitrangig.

Für 2018 haben die drei Madrichim sich vorgenommen, T-Shirts mit einem eigenen Logo herzustellen, einen Instagram-Account einzurichten und eine eigene Hymne zu dichten und zu vertonen. Erste Erfahrungen damit haben sie auf ihren zahlreichen Machane-Fahrten gemacht. Anna besucht derzeit die ZWST-Seminare, um nun ebenfalls offiziell Madricha zu werden – »obwohl ich in den kommenden Monaten wegen der Abiturprüfungen im Stress sein werde«, sagt die 16-Jährige. Semon hat diese Ausbildung bereits absolviert. Und bei der zentralen Rolle, die das Olam derzeit im Leben von Anna und Semon einnimmt, passt es ganz gut, dass ihr Theaterprojekt nach der letzten Saison nun pausiert und erst wieder im Herbst 2018 fortgesetzt wird.

karaoke »Wir sind nicht nur Geschwister, sondern verstehen uns darüber hinaus gut und machen viel zusammen.« Oft ist auch die jüngere zehnjährige Schwester Diana mit dabei. Einen Unterschied allerdings gibt es bei den Leidenschaften: Semon singt gern, liebt Karaoke, begleitet sich selbst am Klavier und komponiert. »Singen ist nicht unbedingt mein Favorit«, sagt hingegen Anna, aber Klavier und Ukulele spielt sie auch. Gemeinsam träumen sie davon, irgendwann einmal gemeinsam »ihre Jugendlichen« für die Jewrovision zu coachen und mit ihnen einen guten Platz zu holen.

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