Denke ich an meinen ersten Schultag zurück, kommt mir vor allem dieses flaue Gefühl in der Magengegend in den Sinn. Ich besuchte die 2. Grundschule in Pankow (heute: Elizabeth-Shaw-Grundschule), meine Eltern und ich haben damals in der Nähe gewohnt.
Eingeschult wurde ich 1955. Meinen ersten Federkasten habe noch heute, die Schultüte leider nicht mehr. Ich bin mir nicht sicher, vielleicht habe ich den Federkasten aufbewahrt, weil ich Historiker bin. Ob ich gerne zur Schule gegangen bin? Langweilig fand ich den Unterricht nicht, besonders prickelnd war es aber auch nicht.
Gute Erinnerungen habe ich an meine Klassenlehrerin. Sie habe ich bis vor einigen Jahren gelegentlich getroffen, weil sie nach ihrer Zeit als Lehrerin wie ich im Museumsbereich tätig war. Sie besuchte auch unser letztes Klassentreffen. Mann, sind die alle alt geworden, dachte ich über meine Mitschüler. Womöglich dachten sie dasselbe über mich. An anderen fallen einem Sachen naturgemäß eher auf als bei einem selbst.
Hermann Simon, Stiftungsdirektor Centrum Judaicum (65)
In meiner Schultüte waren Spielzeugautos, kleine Geschenke und Süßigkeiten. Ich war fünfeinhalb Jahre alt und wollte unbedingt in die Schule. Deshalb musste ich als sogenanntes Antragskind einen Test machen. Dabei machte ich einen Fehler. Ich hatte Angst, es doch nicht geschafft zu haben.
Aber ich durfte nun die Bank in der Grunewaldgrundschule drücken – eine jüdische Schule gab es damals leider nicht. Viele Mitschüler kannte ich aber schon aus dem jüdischen Kindergarten. Eine beste Freundin hatte ich in den ersten drei Jahren nicht, weil ich mich für einen Jungen hielt.
Erst mit neun Jahren änderte sich meine Einstellung. Noch in der ersten Klasse gründete ich meine Gang, die immer größer wurde und nur aus Jungen bestand. Gern zur Schule gegangen bin aber nie, da der Unterricht zu früh für mich anfing. Ich bin oft zu spät gekommen. Die Uhrzeit stimmte einfach nicht.
Sharon Brauner, Musikerin und Schauspielerin (45)
An meinen ersten Tag an der Waldschule in Charlottenburg 1995 erinnere ich mich sehr gut. Ich war fünf Jahre alt damals. Als kleinster Schüler hatte ich das eigenartige Vergnügen, neben dem größten von der Aula in die Schulklasse zu gehen. Hinter uns folgten aufgereiht wie Perlen an einer Schnur alle anderen Kinder.
Das muss ein ziemlich witziger Anblick gewesen sein. Den langen Lulatsch kannte ich, wie es der Zufall wollte, schon aus dem jüdischen Kindergarten. Er war neben mir der einzige andere Jude in meiner Schulklasse. Meine Eltern haben mich bewusst an keiner jüdischen Schule angemeldet.
Sie wollten, dass ich neben meinen vielen jüdischen Kontakten in der Gemeinde und im Verein auch nichtjüdische Freunde habe.
Diese Entscheidung war goldrichtig. Bis heute habe ich einen großen jüdischen und nichtjüdischen Freundeskreis.
Mike Delberg, Jungpolitiker und Studentischer Leiter Jüdisches Studentenzentrum Berlin (24)
Ich wurde im April 1928 in die erste Klasse der Markusschule in Steglitz eingeschult. Ich erinnere mich noch genau: Ich trug einen Filzhut, und meine Schultüte war bis oben hin mit Süßigkeiten gefüllt. Nach dem ersten Tag spielte ich mit meinem Hund Fiffi.
Mit meiner Sitznachbarin hatte ich Glück: Ich wurde einer Freundin zugeteilt, die ich schon aus dem Kindergarten kannte. Neben mir gab es drei weitere jüdische Schülerinnen. Im ersten Jahr nahmen wir noch am evangelischen Religionsunterricht teil. Später hatten wir einen eigenen Religionsunterricht. Das Foto von meiner Einschulung hat die Schoa bei einem ehemaligen Dienstmädchen unserer Familie überstanden.
Als unser Haushalt beschlagnahmt und meine Eltern deportiert wurden – ich war zu der Zeit bereits nach England geflüchtet –, rettete das Dienstmädchen ein Album mit vielen Fotos von mir. Nach der Schoa gab sie es mir zurück. Das Foto von meiner Einschulung stand später Zeit seines Lebens bei meinem Mann auf dem Schreibtisch.
Inge Marcus, ehemalige Gemeinderepräsentantin und Gemeindeälteste (90)