Als die Mauer fiel, war ich zwölf. Und alles wurde anders. Auf einmal gab es doch Verwandte. Viele Verwandte. In Israel.» Mit diesen Sätzen aus dem erzählerischen Off beginnt Esther Zimmerings filmische Spurensuche bezüglich der eigenen Familiengeschichte, die die Zuschauer von 1933 bis in die Gegenwart führt.
Dreharbeiten Der 2018 nach zehn Jahren Dreharbeiten fertiggestellte Dokumentarfilm mit dem Titel Swimmingpool am Golan ist Zimmerings Debüt als Regisseurin. Bisher war die 1977 in Potsdam geborene Schauspielerin vor allem für ihre Rollen in diversen Folgen der Krimiserie Tatort und Der Liebe entgegen sowie ihrer Besetzung in den Kinofilmen Vivere und Im Schwitzkasten bekannt.
In ihrer ersten eigenen Produktion spürt Zimmering der wechselvollen und komplexen Geschichte ihrer Familie zwischen ihrer Kindheit in der DDR, späteren Verwandtenbesuchen in Israel und ihrem heutigen Leben in Berlin nach.
Beide Familienzweige teilten den Glauben an eine sozialistische Utopie.
Kamera Bei allen Gesprächen, Begegnungen und Diskussionen mit Familienmitgliedern, die Zimmering mit der Kamera festhält, stehen viele Fragen im Raum. Wie konnte es passieren, dass sich unsere Familien über 40 Jahre aus den Augen verloren? Wer soll mir nun erzählen, woher wir kamen, wer wir sind, wer ich bin? So steht es in Esther Zimmerings Videotagebuch, das den Film wie ein roter Faden durchzieht.
Friedrichshain «Schon als Jugendliche habe ich mir immer gedacht, dass man die Geschichte meiner Familie weitererzählen müsste», sagt Esther Zimmering bei einer Vorstellung von Swimmingpool am Golan im B-ware! Ladenkino in Berlin-Friedrichshain. «Ich wollte einen Film machen, der vor allem die historischen Frauenfiguren aus meiner Familie in den Mittelpunkt rückt, deren Schicksale – wie das meiner gesamten Familie – von den großen Ereignissen der Weltpolitik bestimmt wurden», sagt die 42-jährige Regisseurin.
Nach den Schrecken der Schoa und dem Ende des Zweiten Weltkriegs geht die jüdisch-deutsche Familie Zimmering getrennte Wege: Während ein Teil in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina zieht, um dort den entstehenden Staat Israel mit aufzubauen, geht der andere Familienzweig aus Überzeugung in die sowjetische Besatzungszone in Deutschland, um beim Aufbau der jungen DDR mitzuhelfen. Beiden Familienteilen war dabei der Glaube an eine bessere, sozialistische Zukunft gemein. «Bis zum Fall der Mauer im November wusste ich nicht, dass ich Verwandtschaft in Israel habe», erzählt Esther Zimmering.
«Das Jüdische spielte bei uns zu Hause in der DDR kaum eine Rolle.» Erst die politische Wende nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ermöglichte die Kontaktaufnahme mit den Angehörigen im Westen. Einem ersten vorsichtigen Herantasten an die unbekannten Verwandten aus dem Orient folgten unzählige Besuche in Israel. «Als ich erfuhr, dass beide Familienteile am Aufbau von gleich zwei Staaten beteiligt waren, war ich sehr berührt und beeindruckt», sagt die Regisseurin.
kibbuz Zimmerings Großmutter Lizzi und ihr Großvater Josef hatten die Schoa in der Emigration in Frankreich und England überlebt. Lizzi entkam dem sicheren Tod dank einem der letzten Kindertransporte 1939 von Berlin in Richtung Großbritannien. Nach 1945 gingen die beiden nach Deutschland zurück. In Ost-Berlin wollten sie sich am Aufbau des Sozialismus beteiligen.
Josef Zimmering, zeitlebens überzeugter Kommunist, wurde Politiker und DDR-Diplomat. Als hochrangiger SED-Funktionär konnte er seinen beiden Kindern Klaus und Monika ein wohlbehütetes, gutes Leben im Arbeiter- und Bauernstaat ermöglichen. Esthers Vater Klaus machte später als Militärarzt bei der Nationalen Volksarmee Karriere. Esthers Tante Monika ließ sich zur Fremdsprachenübersetzerin ausbilden und begleitete SED-Delegationen zu internationalen Konferenzen.
«Für meinen israelischen Familienzweig war es nicht recht nachvollziehbar, wie meine Großeltern Lizzi und Josef nach Deutschland, in das Land der Täter, zurückkehren konnten», erzählt Esther Zimmering. «Ich denke, der Bruch, der durch die getrennten Wege nach 1945 durch unsere Familie ging, konnte bis heute nicht wieder richtig gekittet werden.»
Einem ersten Herantasten an die Verwandten folgten nach der Wende etliche Besuche in Israel.
Die israelische Geschichte der Zimmerings beginnt mit Lizzis Cousine und Esthers Großtante Lore. Sie war Ende der 30er-Jahre vor den Nationalsozialisten nach Palästina geflüchtet. Vorher hatte sie sich am Widerstand gegen die deutschen Besatzer in den Niederlanden beteiligt.
Basisdemokratie In Palästina lernte Lore Max Zimels kennen. Dieser stammte ebenfalls aus Deutschland und arbeitete für die Jewish Agency. Als Gesandter der Organisation in Berlin hatte es Zimels Tausenden jungen Juden ermöglicht, ins Ausland zu emigrieren. In Palästina lebte und arbeitete Zimels im Kibbuz Kfar Szold im Norden des Landes, am Fuß des Golan. Lore folgte ihm dorthin. Beide wurden zu überzeugten Kibbuzniks und teilten die Utopie einer auf Gleichheit und Basisdemokratie aufgebauten Gesellschaftsordnung in dem neuen Land.
«Dieser Einsatz für eine bessere, gerechte Gesellschaft, der ja letztlich für beide Zweige der Familie in ihrer jeweiligen Ausprägung charakteristisch war, fasziniert mich», sagt Esther Zimmering. Ebenso fasziniert ist sie vom heutigen Israel.
Gefühl «Ich habe mich durch meine Besuche schnell in das Land verliebt», sagt sie. Eine Zeit lang habe sie sogar darüber nachgedacht, nach Israel auszuwandern. Ihr Film sei im Grunde ein Versuch, Antworten darauf zu finden, wie sich ihre Gefühle in Bezug auf Israel mit der Zeit entwickelt haben. «Israel ist ein schönes, aber auch sehr, sehr kompliziertes Land.»
Ihren Film will Esther Zimmering weiter in Kinos in ganz Deutschland zeigen. Die Vorführungen sind, wie an dem Abend in Berlin-Friedrichshain, meist restlos ausgebucht. Die Regisseurin freut das. «Ich bin sehr glücklich über das große Interesse an meinem Werk, das wirklich eine Menge Arbeit gekostet hat», sagt sie. In einer Version mit englischen und hebräischen Untertiteln will Zimmering ihren Film bald auch in Israel zeigen.