Herr Schuster, der Jugendkongress, der an diesem Donnerstag in Berlin beginnt, ist der erste, für den Sie die Hauptverantwortung tragen. Sind Sie aufgeregt?
Natürlich ist es etwas Besonderes, auch wenn ich bereits in den vergangenen vier Jahren an der Organisation und der Durchführung beteiligt war. Aber es gibt ein großes und engagiertes dynamisches Team aus dem Jugendreferat um mich, und ich habe ein sehr gutes Gefühl.
Sie gehören mit 34 Jahren selbst noch zu der Jugendkongress-Zielgruppe der 18- bis 35-Jährigen. Haben Sie eine andere Sicht auf die Dinge als Ihr Vorgänger Beni Bloch?
Ich kenne die Lebenswelt der Teilnehmer, weil ich Teil von ihnen bin. Das spiegelt sich sicherlich auch ein Stück weit im Programm wider, mit dem wir versuchen wollen, noch stärker den Austausch zwischen und mit der jungen Generation zu fördern.
350 junge Juden kommen nach Berlin. Ist die Faszination Jugendkongress ungebrochen, oder wollen Sie etwas verändern?
Der Jugendkongress ist über Jahrzehnte ein Highlight im Kalender für junge jüdische Erwachsene in Deutschland. Er ist ein Erfolgsmodell, und das zeigt, dass es gar nicht so vieler Veränderungen bedarf. Dennoch gibt es die eine oder andere Sache, die wir neu ausprobieren, wie am Freitagvormittag, an dem wir das Hotel verlassen und Berlin auf die verschiedensten Weisen erkunden oder Einrichtungen besichtigen werden. Zudem binden wir die Jüdische Studierendenunion (JSUD) stärker ein.
Was macht für Sie das Erfolgsmodell aus?
Es sind zwei Faktoren, die den Jugendkongress besonders machen. Der eine ist, dass es uns gelingt, interessante hochkarätige Gesprächspartner zu gewinnen, die junge Leute sonst nicht erleben und mit denen sie über den Programmpunkt hinaus ins Gespräch kommen können. Der zweite Faktor ist, dass der Jugendkongress die perfekte Plattform bietet, sich miteinander zu vernetzen und auszutauschen. Wir haben mehr als 100 Gemeinden in Deutschland, die jungen Erwachsenen sind quer über die Republik verteilt. Hier haben sie Gelegenheit, viele Gleichgesinnte zu treffen und sich mit ihnen auszutauschen.
Sie haben gleich am Donnerstagabend Staatsministerin Dorothee Bär zu Besuch, die über Digitalisierung sprechen wird. Worum geht es da?
Das Thema des Jugendkongresses lautet ja »Die Welt im Umbruch«. Das bildet den großen Rahmen, sich mit gesellschaftspolitischen Themen wie dem wachsenden Rechtspopulismus bis hin zu neuen Herausforderungen im Zuge der Digitalisierung auseinanderzusetzen. Hier wird Frau Bär sicherlich auch über die Zunahme von Hate Speech in den sozialen Medien sprechen. Frau Bär ist für ihre liberale Position bekannt. Das kann zu einer interessanten kontroversen Debatte führen.
Am Abend geht es mit der JSUD-Kandidatenkür weiter. Warum wird dies noch enger mit hineingenommen?
In den vergangenen zwei, drei Jahren haben wir eine sehr florierende Landschaft in der Studierendenbewegung beobachtet. Die Gründung der JSUD vor zwei Jahren hat zahlreichen regionalen Verbänden einen großen Schub gegeben. Quer durch die Republik ist viel Dynamik zu spüren, deswegen wollen wir der JSUD mehr Raum geben.
Am Freitagmittag ist der Chefredakteur der »Bild«-Zeitung, Julian Reichelt, zu Gast. Was erwarten Sie sich von ihm?
Das wird sicherlich ein sehr interessanter Programmpunkt. Zum einen ist Herr Reichelt bekannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Mit Ilanit Spinner vom Bayerischen Rundfunk konnten wir darüber hinaus eine interessante Moderatorin gewinnen, die ihn ein wenig aus der Reserve locken soll. Auf der anderen Seite leisten die »Bild«-Zeitung und der Springer-Verlagin Hinblick auf Israel, unsere Gemeinden oder Themen wie Antisemitismus eine großartige und wichtige Arbeit.
Israel vor den Wahlen ist ein weiteres Thema, das hochkarätig besetzt ist.
Wir sind so wenige Wochen vor der Wahl in einer sehr spannenden Phase. Das Thema passt natürlich perfekt. Mit Amos Harel und Amit Segal konnten wir zwei der prominentesten Journalisten Israels aus dem rechts- beziehungsweise linkspolitischen Flügel gewinnen. Im Panel, moderiert von Melody Sucharewizc, können wir den innenpolitischen Diskurs dieser harten Kontroverse, die Israel derzeit bestimmt, hier in Berlin abbilden. Das ist mir sehr wichtig.
Für den Schabbat haben Sie auch ein Highlight anzubieten.
Ja, worauf ich mich besonders freue: Wir konnten Avraham Infeld, der dem einen oder anderen in Deutschland vielleicht noch kein Begriff ist, gewinnen. Ich halte ihn für einen der besten jüdischen Redner unserer Zeit. Was ich an ihm so besonders finde, ist: Er ist religiös, trägt Kippa, hält Schabbat, aber hat einen absolut weltoffenen Blick auf das Judentum im 21. Jahrhundert. Für ihn können sich wohl alle begeistern, egal ob liberal oder orthodox.
Antisemitismus, Gegenstrategien, Radikalisierung sind Themen, mit denen sich auch der Jugendkongress beschäftigen muss?
Leider ja. Wir spüren seit einigen Jahren einen schwindenden Konsens über Grundwerte in unserer Gesellschaft. Und das hat zwangsläufig damit zu tun, dass Teile unserer Gesellschaft stärker Gefahr laufen, sich zu radikalisieren. Tobias Ginsburg wird deswegen zum Thema Reichsbürger sprechen. Die Journalistin Düzen Tekkal kann aus eigener Erfahrung erzählen, was mit Minderheiten geschieht. Und dann haben wir natürlich auch das Thema Trump und Israel. Dafür konnten wir Deidre Berger, Direktorin des American Jewish Committee, und den Ressortleiter für Außenpolitik bei der »Welt«, Clemens Wergin, gewinnen.
Am Sonntagmorgen heißt das Thema »Europa – quo vadis?«.
Wir wollen unsere jungen Gemeindemitglieder noch stärker für die Wahl am 26. Mai sensibilisieren, weil sie so ungeheuer wichtig ist, gerade vor dem Hintergrund der Rechtspopulisten, die die Wahl entern wollen. Diskussionsstoff wird es auch hinsichtlich des Verhältnisses der Europäischen Union zu Israel geben. Der Brexit beschäftigt unsere Leute mehr, als man vermutet. Wir schauen auf die Spannungen innerhalb der EVP und wie man mit Herrn Orbán umgeht. Neben drei Europaabgeordneten werde mit der Präsidentin der Europäischen Studentenunion, Alina Bricman, und Benjamin Nägele, der in Deutschland aufgewachsen ist und jetzt das Büro von B’nai B’rith in Brüssel leitetjunge Leute auf dem Podium sitzen. Ohnehin zieht es sich wie ein roter Faden durch den Kongress, Jugend sprechen zu lassen, damit sich die Perspektive der Zielgruppe in den Diskussionen widerspiegelt.
Was wünschen Sie sich vom Jugendkongress?
Die demografische Entwicklung zeigt uns deutlich, dass wir einen Rückgang gerade in der Altersgruppe der bis 30-Jährigen haben. Wir wollen ganz viele Botschafter ausbilden, fortbilden, die quasi in ihren Heimatgemeinden die Initiative ergreifen, etwas Kleines aufzubauen, einen monatlichen Studierendentreff oder eine Veranstaltung anlässlich eines Feiertages anbieten. Gerade vor dem Hintergrund, dass sich in unserer Gesellschaft oder auch weltpolitisch so viel verändert, ist es ganz wichtig, den jungen Menschen in ihren Heimatgemeinden eine Anlaufstation zu bieten.
Mit dem Direktor der ZWST sprach Heide Sobotka.