Namen sind für Jakob Gutmark ein zentrales Element der Erinnerung. »Ohne Namen gibt es keine Trauer«, ist der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden überzeugt. Und Trauer sei angesichts des Verlustes, den die Gemeinde der hessischen Landeshauptstadt in der Schoa erlitten hat, der einzig angemessene Ausgangspunkt der Erinnerung.
Ein Gefühl der Trauer wird vermutlich auch am 27. Januar vorherrschen, wenn das Mahnmal für die deportierten Wiesbadener Juden am Michelsberg offiziell eingeweiht wird. Immerhin aber wird sie dann konkrete Adressaten haben. Genauer gesagt 1.507. Genauso viele Namen werden auf einem steinernen Band entlang des Monuments eingelassen sein, dazu Sterbejahr und -ort, soweit bekannt. Namen und Daten, mehr ist nicht geblieben.
Würdevoll »Bei solchen Anlässen gibt es nicht so etwas wie Freude oder Euphorie«, erklärt Gutmark. Auch wenn in der Gemeinde das Projekt »Namentliches Gedenken« auf große Zustimmung stoße. Es sei ein wichtiger Tag. Und nicht zuletzt sei man am Ende froh, dass die lange Debatte über eine würdige Form des Gedenkens in Wiesbaden ihr Ende finde. Für Gutmark gilt das ganz besonders. Er selbst hat den Prozess bis zum Bau der Gedenkstätte fast ein Vierteljahrhundert begleitet.
Es hat lange gedauert, bis man den Wunsch nach einem angemessenen Erinnerungsort in Wiesbaden erfüllen konnte. Dabei unterstreiche das Schicksal der Wiesbadener Gemeinde den unbedingten Vernichtungswillen der Nationalsozialisten. Lediglich ein Dutzend Gemeindemitglieder überlebten die Schoa. Der letzte Transport in das Konzentrationslager Theresienstadt verließ Wiesbaden noch am 14. Februar 1945, als Auschwitz schon befreit und die Niederlage des Dritten Reichs bereits absehbar war. An die Deportation selbst erinnert seit vergangenem Jahr das Denkmal »Schlachthoframpe« am Hauptbahnhof.
Langwierig Das neue Denkmal hingegen wird dort stehen, wo einst das Herz der Gemeinde schlug. Oberhalb der Coulinstraße, in einen Hang des Michelsbergs hineingebaut, stand bis zur Reichspogromnacht die Hauptsynagoge der Gemeinde. Der Standort ist schon seit gut zweieinhalb Jahrzehnten im Gespräch. Doch die Hanglage selbst, die Tatsache, dass über einen Teil des ehemaligen Synagogengrundstücks in den 50ern die neue Coulinstraße gezogen wurde und schließlich Mitte der 80er-Jahre auch noch an derselben Stelle eine Hochbrücke gebaut wurde, schienen das Projekt eines Mahnmals an dieser Stelle unmöglich zu machen.
Hinzu kam, dass lange Jahre über ein zentrales Mahnmal für alle Opfer des NS-Terrors debattiert wurde, ehe die an der Planung interessierte US-Architektin Jenny Holzer schließlich vor knapp vier Jahren die Geduld und das Interesse verlor.
Augenhöhe Der neue Entwurf stammt von der Berliner Architektin Barbara Willecke. Drei sieben Meter hohe Stahlbetonwände werden künftig vor dem Hang aus dem Boden ragen. Das Namensband verläuft etwa in Augenhöhe. Graue Natursteinplatten zeichnen im Boden und auf der Fahrbahn die Umrisse des einstigen Gotteshauses nach. Insgesamt investiert die Stadt rund vier Millionen Euro.
»Die meisten unserer Mitglieder allerdings interessieren sich gar nicht so sehr für Architektur«, sagt Gutmark. Wichtiger sei die Tatsache, dass nun endlich erinnert werde und dass so die Möglichkeit zum Trauern besteht. Und dafür bedarf es, wie gesagt, Namen.