Schoa

Erinnerung heute

»Wie relevant ist das Thema für die vierte Generation?«: Vorstellung des Gedenkkonzepts im NS-Dokumentationszentrum Foto: Marina Maisel

Das digitale Zeitalter verändert auch die Holocaust-Erinnerungskultur. Das Multimediaprojekt #uploading_holocaust, das unter der Federführung des Bayerischen Rundfunks entstand und interessierten Besuchern im NS-Dokumentationszentrum näher erläutert wurde, geht der Frage nach, wie Jugendliche in Deutschland und Israel mit der Erinnerung an die Schoa umgehen – und wie ihrer Meinung nach ein zeitgemäßer Umgang mit dem komplexen Thema aussehen könnte.

Jedes Jahr reisen etwa 30.000 israelische Schüler nach Polen, an die ehemaligen Stätten des systematisierten Massenmordes, um die Erinnerung an die Geschichte der Juden in Europa und den Holocaust lebendig zu halten. Diese besonderen Klassenfahrten werden in Israel auch »Journey to Poland« genannt.

Videos werden dabei für die Jugendlichen zu einem wichtigen Instrument des Erinnerns. Auf ihrer Reise filmen sie jeden Zeitzeugen, jede Gaskammer und jede Gedenkfeier sowie sehr private, emotionale Momente, in denen sie versuchen, das Erlebte zu begreifen. So produzieren sie ihren ganz eigenen Blick auf die Geschichte, laden die Videos auf YouTube hoch und teilen sie in den sozialen Netzwerken.

doku Die beiden israelischen Regisseure Udi Nir und Sagi Bornstein haben aus vielen einzelnen Beiträgen den Dokumentarfilm #uploading_holocaust produziert. Es ist die erste Dokumentation, die zu 100 Prozent aus YouTube-Material besteht und die zeigt, wie sich die Erinnerung an den Holocaust im digitalen Zeitalter bereits verändert hat. Der Film, der junge Israelis auf ihrer Reise in ehemalige Konzentrationslager und Gedenkstätten begleitet, wurde für mehrere Auszeichnungen nominiert.

Realisiert werden konnte das Projekt #uploading_holocaust durch eine umfassende, Ländergrenzen überschreitende Koproduktion, an der die Filmproduktion Gebrüder Beetz mitwirkte, der ORF, Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) und der israelische Sender Keshet unter Federführung des Bayerische Rundfunks. Gefördert wird das Projekt vom Medienboard Berlin-Brandenburg, dem Nationalfonds Österreich, dem Zukunftsfonds Österreich und der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildung mit Unterstützung von erinnern.at sowie der Agentur für Bildung.

Die crossmediale Initiative, in der auch das vermeintliche Desinteresse deutscher Jugendlicher an dem Thema auf dem Prüfstand steht, wird auf der Website www.uploading-holocaust.com weitergeführt. Durch eine Kombination aus Videomaterial des Dokumentarfilms und einem interaktiven Fragebogen nähert sich #uploading_holocaust im Netz der zentralen Frage: »Wie geht Erinnern heute?«

fragen Das Webprojekt konfrontiert deutschsprachige Jugendliche mit den YouTube-Videos der israelischen Schüler und nimmt sie zum Anlass, die eigene Haltung in Bezug auf die Schoa zu reflektieren: Wie relevant ist das Thema für die vierte Generation überhaupt noch? Inwiefern können deutschsprachige Jugendliche die Emotionen der israelischen Jugendlichen nachvollziehen? Welche Berührungsängste gibt es zwischen den Nachfahren der Opfer und Täter heute noch?

Detaillierte Aufschlüsse erzielt das Webprojekt durch die einhergehende Interaktion. Die Nutzer beantworten Fragen zu verschiedenen Themenblöcken und erhalten nach Eingabe ihrer Antwort sofort eine Echtzeitvisualisierung, die ihre Meinung in Relation zu der anderer User stellt. Registriert sich eine gesamte Schulklasse für das Projekt, kann das Stimmungsbild der Klasse sogar individuell betrachtet werden. Ziel von #uploading_holocaust ist es nach Angaben des Bayerischen Rundfunks, Diskussionen zum Umgang mit dem Holocaust in Gang zu setzen – nicht nur im Unterricht, in der Familie und in sozialen Medien, sondern auch über Ländergrenzen hinweg.

Für IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch sind neue Konzepte in der Erinnerungsarbeit wie das Projekt des Bayerischen Rundfunks aus mehreren Gründen von immenser Wichtigkeit. »Zunächst einmal«, betont Knobloch, »müssen wir uns klar darüber sein, dass die Zeit ohne Zeitzeugen bevorsteht. Das Fehlen der unmittelbar Beteiligten wird ohnehin eine sehr tiefgreifende Zäsur in der Erinnerungsarbeit darstellen.« Die Authentizität der Zeitzeugen und Holocaust-Überlebenden, so Knobloch, sei nicht ersetzbar.

zeitzeugen Der Überzeugung von Charlotte Knobloch zufolge geht es bei den Zeugen nicht allein um deren Erlebnisse und Schilderungen aus der Zeit des Nationalsozialismus. »Diese Zeitzeugen«, so die IKG-Präsidentin, »sind aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen auch ganz empfindliche Seismografen für aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Das ist in Zeiten, in denen rechte politische Kräfte wieder auf dem Vormarsch sind, von ganz besonderer Bedeutung – vor allem für junge Menschen.«

Das BR-Projekt ist nach Ansicht von Charlotte Knobloch speziell für jüngere Generationen mehr als nur ein zeitgemäßer Umgang mit der Erinnerungskultur. »Das Internet«, so die IKG-Präsidentin, »bestimmt bereits jetzt unser ganzes Leben. Daran muss sich auch die Art und Weise, wie mit der Erinnerung umgegangen wird, orientieren.«

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