Memoiren

Erinnern in Dachau

Marie-Luise von der Leyen, Max Mannheimer, Wolfgang Balk, Rachel Salamander (v.l.) Foto: Miryam Gümbel

Am gestrigen Mittwoch ist Max Mannheimer 93 Jahre alt geworden. Unbeschwert und glücklich ist nur seine Kindheit gewesen. Es folgte eine durch Angst und Verfolgung gekennzeichnete Jugend und schließlich die Lagerhaft. Nach der Befreiung plagte ihn die ständige Erinnerung an diese Zeit grausamer Entrechtung. Und dennoch: Für den engagierten Zeitzeugen Mannheimer wurde die Zeit nach der Befreiung dann ganz allmählich eine »Zeit der Versöhnung und Aufklärung«.

Unermüdlich berichtet er seitdem als einer der letzten Zeitzeugen von den Verbrechen des NS-Regimes – mahnend, aber nicht anklagend. Er wendet sich dabei vor allem an die junge Generation: »Ich erkläre ihnen, dass sie nicht die Verantwortung dafür tragen, was geschehen ist, wohl aber dafür, dass es nicht wieder geschieht.«

Lesungen Gemeinsam mit der Journalistin Marie-Luise von der Leyen hat er nun seine Erinnerungen unter dem Titel Drei Leben im Deutschen Taschenbuch Verlag (dtv) veröffentlicht und liest daraus bei verschiedenen Veranstaltungen – so zum Beispiel auch am heutigen Donnerstag, 7. Februar um 19 Uhr im Besucherzentrum der KZ-Gedenkstätte Dachau.

Erstmals vorgestellt wurde das Buch im Dezember im Münchner Literaturhaus von Rachel Salamander. Dabei erinnerte die Inhaberin der Literaturhandlung in ihrer Einführung an einen der Schwerpunkte ihrer Arbeit: die Begegnung mit Zeitzeugen. Von klein auf befreundet mit Mannheimers Tochter Evi weiß Salamander, dass er in ihren Kinder- und Jugendjahren nie offen über das während des Holocaust Erlebte sprach. Bis in die 1980er-Jahre habe er das Gefühl gehabt, »dass keiner davon hören will«. Erst dann entschied er sich, über diese Zeit zu sprechen.

Damals waren seine Erinnerungen im dtv erschienen. Für Verleger Wolfgang Balk schließt sich mit dem jetzt erschienenen Buch und der Rückkehr Mannheimers zu seinem Verlag ein Kreis, wie er im Literaturhaus bekannte. Durch das Gespräch mit der Biografin von der Leyen und mit der Lesung einzelner Passagen aus Mannheimers Buch konnten die Zuhörer die drei Leben des politisch engagierten Zeitzeugen miterleben. Anders als Mannheimer heute war sein Vater eher unpolitisch. Eine Auswanderung stand wohl auch deshalb für die Kaufmannsfamilie aus Neutitschein nicht zur Debatte.

holocaust Geboren am 6. Februar 1920 in dem nordmährischen Städtchen wuchs Mannheimer mit drei Brüdern und einer Schwester auf. 1936 schloss er die Handelsschule ab und arbeitete dann in einem Kaufhaus. Am Tag nach der Pogrom-Nacht 1938 kam Vater Jakob Mannheimer in sogenannte Schutzhaft. Er wurde erst nach drei Wochen aus dem Neutitscheiner Gefängnis entlassen – verbunden mit der Auflage, aus der Stadt binnen einer Woche wegzuziehen. Die Familie siedelte um in die Stadt Ungarisch Brod in Südmähren, dem Heimatort der Mutter.

Ende Januar 1943 folgte die Deportation, zunächst nach Theresienstadt, dann nach Auschwitz. Max und seine beiden Brüder wurden als arbeitsfähig eingestuft und blieben so am Leben. Im Oktober 1943 folgte dann eine Selektion zu Aufräumungsarbeiten im Warschauer Ghetto. Am 27. Juli des folgenden Jahres folgte der Aufbruch nach Dachau. Bruder Edi war dabei. »Er war der geborene Optimist«, sagt Mannheimer. »Ohne seine positive Einstellung wäre ich verloren gewesen.« Das galt nicht nur für Birkenau, sondern auch für die folgenden Monate im Dachauer Außenlager Mühldorf. Noch ein dreiviertel Jahr sollte es bis zur Befreiung noch dauern. Am 30. April 1945 wurden die Häftlinge bei Tutzing von den Amerikanern befreit.

Das dritte Leben Max Mannheimers konnte beginnen. Deutschland verlassen – das war sein Ziel. Dass er nun dennoch seit 1946 in München lebt, dafür waren die Liebe und seine im Herbst 1946 geborene Tochter ausschlaggebend. Seine Frau, eine überzeugte Sozialdemokratin, wurde als Deutsche trotz ihres Widerstands gegen das NS-Regime von der Tschechoslowakei aus Neutitschein ausgewiesen. Mannheimer folgte seiner kleinen Familie nach München.

Für sein Engagement als Zeitzeuge ist er vielfach geehrt worden. Diese Arbeit will er noch fortsetzen, »solange der Herr mich lässt«, wie er im letzten Satz seines Buches bekennt. Der Terminkalender des nunmehr 93-Jährigen ist nach wie vor prallvoll. Die Zuhörer im Literaturhaus unterstrichen mit Standing Ovations die Dankesworte von Rachel Salamander im Literaturhaus: »Schön, dass du heute den Weg zu uns genommen hast.«

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