Wenn nicht in Mannheim, wo sonst? Nicht ohne Stolz und mit viel Selbstbewusstsein registriert man in der Jüdischen Gemeinde der kurpfälzisch-badischen Stadt, dass die Jewrovision 2016 hier stattfindet. Für die Vorsitzende der Gemeinde, Schoschana Maitek-Drzevitzky, und Susanne Benizri, die Verantwortliche für die Jugendarbeit, liegen die Gründe, warum Mannheim der ideale Austragungsort ist, auf der Hand: Den Mannheimern liegt Musik im Blut.
Eine deutschlandweit bekannte Pop-Akademie und eine Reihe namhafter Popgruppen wie die Söhne Mannheims haben hier ihre Heimat. Das Kongresszentrum Rosengarten bietet mit seinen Sälen eine perfekte Infrastruktur für die 1200 Teilnehmer. Am Schabbat sind die Gäste zum Gottesdienst ins Gemeindezentrum eingeladen. Der Zentralrat hat eigene Stadtführungen organisiert.
Bühnenerfahrung Das Wichtigste aber ist: In der Jugendarbeit der Gemeinde zählen Musik und Tanz, Shows und Bühnenauftritte schon lange zu den Highlights. Für Gemeindefeste werden immer wieder Show-Programme einstudiert. Mannheims jüdische Jugend ist bühnensicher. So kommt es auch nicht von ungefähr, dass die Mannheimer Gruppe, verstärkt von Rappern, Sängern und Tänzern aus anderen badischen Städten als Sieger des größten jüdischen Gesangsfestivals 2015 in Köln hervorgegangen ist.
Susanne Benizri schätzt den Wert der Jewrovision für die örtliche Jugendarbeit hoch ein: »Vor drei Jahren sind wir Mannheimer bei dem Festival zum ersten Mal aufgetreten. Wir haben es mit einer kleinen Choreografie probiert. Im vorigen Jahr in Köln hat sich unsere intensive Arbeit schließlich mit dem erstem Preis ausgezahlt.« Das Wunderbare dabei sei, dass die Jugendlichen im Alter von zwölf bis 16 Jahren hochmotiviert seien. »In diesem Alter ist es oft schwer, sie für das Mitmachen im Jugendzentrum zu begeistern. Dabei hilft uns die notwendige Vorarbeit für Jewrovision enorm. Freilich darf man die ganze Jugendarbeit nicht allein auf den Wettbewerb ausrichten. Ein Vierteljahr beschäftigt er uns aber schon.«
Die erfahrene Pädagogin weiß, der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, dass die Jugendlichen nicht einfach ein Programm und bestimmte Rollen darin vorgesetzt bekommen. Die Tänzerinnen und Tänzer suchen sich ihre Musik selbst aus. Die Rapper schreiben ihre Songtexte selbst. »Dieses Konzept führt dazu, dass alle Mitwirkenden hinter dem stehen, was sie ma- chen. Deshalb wirk ihr Auftritt auch so authentisch«, weiß Benizri.
Strahlkraft Dieses Angebot besitzt Strahlkraft, weit über Mannheim hinaus. Rapper, Tänzer, Sänger haben sich auch aus anderen badischen Städten angesprochen gefühlt. Sie kommen aus Rottweil, aus Karlsruhe und aus Pforzheim regelmäßig zum Proben nach Mannheim. »Wenn eine Gemeinde zu wenig in die Jugend steckt, dann hat sie keine Zukunft«, davon ist Gemeindevorsitzende Maitek-Drzevitzky überzeugt. Entsprechend ist die Jugendarbeit breit aufgestellt.
Susanne Benizri betreut vier Gruppen für Kinder und Jugendliche. Geleitet werden sie jedoch von Madrichim, die selbst aus der Jugendarbeit hervorgegangen sind. Das Jugendzentrum der Gemeinde unter dem hoffnungsvollen Namen Or Chadasch (Neues Licht) erfreut sich seit nunmehr 20 Jahren großer Beliebtheit. »Bei uns können die Kinder und Jugendlichen ganz entspannt jüdisch sein«, sagt die Pädagogin. Gerade unter den Älteren werden Fragen der Identität und Selbstverantwortung immer wieder diskutiert.
»Die Begegnung mit Jugendlichen anderer Religionen ist für unseren Nachwuchs alltäglich«, sagt Benizri. Dennoch ist es etwas Besonderes, wenn sich Schüler zum interreligiösen Begegnungslernen im Jüdischen Gemeindezentrum zusammenfinden. Bereits zweimal wurde das von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und anderen Bildungseinrichtungen initiierte Projekt durchgeführt. Muslimische, jüdische und christliche Schüler der siebten und achten Jahrgangsstufe sprechen gemeinsam über ihren Glauben.
Die mit 500 Mitgliedern nicht gerade große Gemeinde Mannheims steht für ein modernes, offenes Judentum in Deutschland. Die Kernaufgabe, jüdische Identität zu leben und an kommende Generationen weiterzugeben, wird hier ergänzt durch den Anspruch, in die gesamte Stadtgesellschaft hineinzuwirken.
In diesem Jahr kann die Jüdische Gemeinde Mannheim ihr 70-jähriges Bestehen seit der Wiedergründung nach der Schoa begehen. Das große Gemeindezentrum liegt inmitten der einst barocken Altstadt, in einem Viertel, das mehrheitlich von Muslimen bewohnt wird. »Auch wir sind nicht auf einer Insel der Seligen«, sagt Maitek-Drzevitzky. Auch Mannheim blieb nicht vor antijüdischen Bekundungen verschont. »Das waren aber Leute, die von auswärts nach Mannheim zu einer Demonstration« gekommen seien. Trotzdem ist sie zuversichtlich: »Unsere Gemeinde ist ein wichtiger Bestandteil der Mannheimer Stadtgesellschaft.« Hier gebe es keine antisemitischen Schmierereien, keine Hassbriefe und beleidigenden Anrufe.
Zu den einheimischen Muslimen habe man seit Jahren ein gutes Verhältnis. Bevor es das Moschee-Zentrum gab, war es selbstverständlich, dass türkische Hochzeiten und andere Familienfeste im Haus der Jüdischen Gemeinde abgehalten wurden. Oft vermiete man die Räume auch für kulturelle oder politische Veranstaltungen. So gehört interkulturelle und interreligiöse Begegnung hier zum Alltag. Eine koschere Küche sorgt für das leibliche Wohl der Gäste. Der Frühjahrsball in der Jüdischen Gemeinde hat Tradition und lockt nicht nur Tanzbegeisterte, sondern auch die Stadtprominenz an. Im großen Saal finden auch die meisten Aktivitäten der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft statt.
Begegnungen »Je mehr die Menschen voneinander wissen, je mehr sie sich begegnen, desto größer ist das Verständnis von den anderen.« Am Forum der Religionen beteiligt sich die Jüdische Gemeinde aktiv. Menschen aus 170 Nationen leben in dieser Stadt. »Dieses Miteinander prägt sie. In ihr ist der alte badische Geist der Liberalität immer noch lebendig«, ist sich Maitek-Drzevitzky sicher.
»Judentum zum Anfassen«, sei das Motto der vom ganzen Vorstand getragenen Gemeindepolitik. »Wir sind ein mittelständisches Unternehmen mit 500 Individualisten«, charakterisiert die Vorsitzende ihre Gemeinde. Denn auch nach innen musste viel Integrationsarbeit geleistet werden. Die Hälfte der Gemeindemitglieder stammt aus der ehemaligen Sowjetunion, meist ältere Menschen. Eine Sozialarbeiterin sorgt dafür, dass sie sich in ihrer neuen Umgebung zurechtfinden. Sie kümmert sich um den Seniorenklub Shalom. Sie gibt Deutschkurse und vermittelt Computerkenntnisse. »Wir sind eine Gemeinde geworden«, sagt die Vorsitzende. Weil sie jedoch sehr heterogen zusammengesetzt ist, fand man bislang noch keinen Rabbiner, der wirklich zu ihr passt.
Um die Zukunft ihrer Gemeinde ist der Vorsitzenden nicht bange. »Auch wir sind zwar eine Gemeinde, in der vor allem auch Familien mit Kindern fehlen. Aber Mannheim ist eine attraktive, tolerante Stadt mit exzellenten Bildungseinrichtungen, modernen Arbeitsplätzen und einem hohen Freizeitwert. Das ist ein Angebot, das sicher auch für jüdische Menschen interessant ist. Sie sind bei uns herzlich willkommen, wie wir auch alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Jewrovision mit offenen Armen empfangen.«