Bei Kaiserslautern fallen den meisten Menschen Fußball und Amerikaner ein. Knapp 100.000 Einwohner zählt die Stadt im Herzen der Pfalz. Jetzt stand jedoch die Jüdische Kultusgemeinde im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die neue Synagoge an der Basteigasse 4 beging ihren 50. Geburtstag – und zwar gleich zweifach. Am 8. Oktober feierte sie mit gut 110 Gästen intern, und am 14. Oktober empfing die Gemeinde rund 60 Personen des öffentlichen Lebens zu einem Festakt im jüdischen Gotteshaus.
Als Ehrengast war die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) gekommen. Das Land fördert die Kultusgemeinden der Rheinpfalz mit jährlich 78.000 Euro, hielt der Gastgeber des Tages und Gemeindevorsitzender, Israil Epstein, dankbar fest. Im Bereich Rheinpfalz zwischen Ludwigshafen und Kusel leben heute 650 Juden. Es gibt drei Synagogen: neben Kaiserslautern auch in Speyer und in Ludwigshafen. Einen eigenen Rabbiner hat man derzeit nicht. Immerhin stehen drei Kantoren zur Verfügung. In Kaiserslautern ist es Moshe Tsrouya.
Stolpersteine Ministerpräsidentin Dreyer gebührte das erste Grußwort des Tages. Sie erinnerte an die rund 200 Stolpersteine, die man in Kaiserslautern in Gedenken an die Opfer der Nazi-Zeit verlegt hat. »Dies sind Zeiten, in denen wir uns ganz besonders erinnern sollten, was in Deutschland einst geschah«, sagte Dreyer im Hinblick auf die Flüchtlingszuwanderung.
Für die Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz sei die Zuwanderung aus den ehemaligen Ländern der GUS essenziell gewesen, erinnerte sie ferner. Und seit dem 3. Dezember 1999 existiert ein Staatsvertrag, wonach das Land die Kultusgemeinde jährlich unterstützt. Auch an Neu- und Umbauten von Synagogenbauten beteilige sich das Land gerne, sagte Dreyer, und nannte die Gotteshäuser in Bad Kreuznach, Mainz und Speyer. Für Koblenz sei eine neue Synagoge im Gespräch. Und letztlich seien Juden auch ein wichtiger Teil des »Bündnisses für Toleranz und Weltoffenheit« in Rheinland-Pfalz, das seit Anfang 2015 »ein starkes öffentliches Zeichen für ein gutes Miteinander« setze, schloss Malu Dreyer ihre Rede.
Synagoge Nicht nur Koblenz wünsche sich eine neue Synagoge, bekannte Oberbürgermeister Klaus Weichel, sondern auch Kaiserslautern. Noch suche man nach einem geeigneten Standort sowie nach Fördermöglichkeiten, wandte er sich Richtung Landeshauptstadt Mainz. »Juden sind heute ein selbstverständlicher Teil der städtischen Gesellschaft«, sagte Weichel und lobte den interreligiösen Dialog. Doch diesen zu pflegen, sei heutzutage »nötiger denn je«.
Avadislav Avadiev, der Vorsitzende des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden in Rheinland-Pfalz, gratulierte der Kaiserslauterer Gemeinde herzlich. Der emotionale Höhepunkt des Tages sollte aber noch folgen. Es war die überaus herzliche Liebeserklärung an »ihre« Kultusgemeinde, der früheren Gemeindevorsitzenden in Mannheim, Orna Marhöfer. Ihre Familie war 1957 aus Israel in die Heimatstadt ihres Vaters Erich Weiler nach Kaiserslautern gekommen. Damals sei sie drei Jahre alt gewesen, erzählte Marhöfer.
»Wir Kinder – die erste Generation nach der Schoa – lebten in einer Realität nach Auschwitz, wir wuchsen mit dem Trauma einer Gemeinschaft von Überlebenden auf. Wir erahnten, was es für uns bedeuten würde, die Stellvertreterkinder zu sein«, sagte Marhöfer. Sie habe es als »moralischen und historischen Auftrag« begriffen, dass es wieder neue jüdische Gemeinden und jüdisches Leben in Deutschland geben müsse. »Es ist ein Segen, dass diese innere Verpflichtung so weitergegeben werden konnte und sie viele Frauen und Männer meiner Generation prägten.«
Dank Sie erinnere sich noch gut an das Jahr 1965. Ihre Eltern, Erich und Selma Weiler, waren unmittelbar an Planung und Umsetzung des Großprojekts neue Synagoge beteiligt. Am 24. September 1965 segnete Rabbiner Shlomo Lewin das neue Gotteshaus und nahm die Torarollen in Empfang, die zuvor in einem Konvoi offener Wagen durch die Stadt chauffiert wurden. Sie sähe diese Bilder, als wäre es gestern gewesen, erzählte Marhöfer. »Abschließend ist es mir ein Bedürfnis, den Vertretern der heutigen Jüdischen Gemeinde zu danken. Ich wünsche mir, dass die Seele, die Neschama und der Geist der früheren Jahre in diesem Zentrum fortleben können«, schloss Marhöfer.
Dem 50-jährigen Jubiläum ist auch ein Ausstellung von Fotocollagen gewidmet, die das vielfältige Leben der Gemeinde dokumentieren: ein lebhaftes Purim-Fest, die Zusammenarbeit mit der Universität Kaiserslautern, ein Kinderflötenkreis, die Gymnastik-Frauen, aber auch die Einweihung der Gedenktafel für die Holocaust-Opfer, der Arbeitseinsatz auf dem Friedhof in Neustadt an der Weinstraße oder der interreligiösen Dialog. Für die musikalische Begleitung sorgen Tatjana Wasiljewa (Violoncello) und Vitor Portnoy (Klavier).
Zeittafel Kaiserslautern
1203: Erste Aufzeichnung über jüdisches Leben in Kaiserslautern.
1383: Die Juden haben Kaiserslautern wieder verlassen. Ende des 18. Jahrhunderts: Dank der französischen Rechtsprechung kehren Juden wieder zurück.
Um 1840: Es gibt wieder 200 jüdische Bewohner.
1848: In der Salzstraße entsteht in einem Anwesen die erste Synagoge mit Mikwe.
1858: Der jüdische Friedhof wird angelegt.
1880: Die Gemeinde hat rund 600 Mitglieder, mehr als je zuvor.
1883 bis 1886: An der Frühlingsstraße wird die Synagoge nach Plänen von Architekt Levy gebaut.
1933: Noch knapp 400 Juden leben in Kaiserslautern.
1938: 70 Tage vor der »Kristallnacht« beginnen die Nazis mit der Sprengung der Synagoge. 45 Juden werden aus Lautern deportiert.
24. September 1965: Ein Jüdisches Gemeindezentrum samt Synagoge wird eröffnet.
1992: Die Gemeinde hat noch 30 Mitglieder.