Richard Stern war Deutscher und Jude. Als die Nationalsozialisten am 1. April 1933 zum Boykott jüdischer Geschäfte aufriefen, trat er den SA-Männern vor seinem Geschäft mit dem Eisernen Kreuz am Revers seines Anzugs entgegen. Wie viele andere Juden war er überzeugt, diese Auszeichnung aus dem Ersten Weltkrieg werde ihn als Beweis seiner Loyalität vor dem Rassenhass der Nazis schützen.
Dieses Foto von Richard Stern ist in der Ausstellung »Deutsche Jüdische Soldaten« zu sehen, die das Militärgeschichtliche Forschungsamt zusammen mit dem Centrum Judaicum in Berlin und dem Moses Mendelssohn Zentrum in Potsdam erstellt hat und das nun anlässlich der Jüdischen Kulturwochen Stuttgart der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) im Rathaus der baden-württembergischen Landeshauptstadt gezeigt wird.
Denn unter dem Motto »Zwischen Abgrenzung und Anpassung« widmen sich viele Themen der Kulturwochen vom 2. bis 16. November vor allem zwei Ereignissen, die das Leben der Juden in Deutschland und Württemberg prägten: Vor 150 Jahren, 1864, erließ der württembergische König Karl das »Gesetz betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der israelitischen Glaubensgenossen«. Und vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg, in den Tausende von Juden freiwillig als deutsche Patrioten zogen.
Ambivalenz »Diese beiden Marksteine sind beispielhaft für die wechselhafte Geschichte der Juden in Württemberg, Deutschland und Europa und für die Ambivalenz ihrer Emanzipation«, sagt IRGW-Vorstandssprecherin Barbara Traub. »Denn auch das Gleichstellungsgesetz hat nur den Anschein erweckt, dass nun der Antisemitismus besiegt sei«, ergänzt der ehemalige Landesrabbiner Joel Berger, der zusammen mit seiner Frau Noemi das Programm der Kulturwochen kuratierte.
»Ich danke der IRGW sehr, dass sie das Gedenken an den Ausbruch der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts im August 1914 mit dem Emanzipationsgesetz in Württemberg von 1864 verbindet«, betont Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn in seinem Grußwort. Einführen in das Motto »Abgrenzung und Anpassung« wird bei der Eröffnungsveranstaltung im Rathaus der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn.
Das Emanzipationsgesetz und dessen Vor- und Nachgeschichte ist auch Thema eines hochkarätig besetzten Symposiums im Haus der Geschichte mit Rabbiner Berger, den Professoren Robert Jütte und Julius H. Schoeps sowie dem evangelischen Theologen Joachim Hahn (13. November, 14.30 Uhr). Zur aktuellen Judenfeindschaft und der Bedeutung Israels spricht Stephan Grigat aus Wien (11. November, 18 Uhr, Rathaus Stuttgart), Mitbegründer des Bündnisses »Stop the Bomb«.
Dialog »Wir wollen mit den Kulturwochen das Verständnis für die jüdische Kultur und Religion vertiefen und den Dialog mit der nichtjüdischen Gemeinschaft fördern«, betont Traub. Eine Einladung, der in den vergangenen Jahren stets an die 4000 Besucher gefolgt sind und die auch dieses Mal mit 35 Veranstaltungen zu Literatur, Film, Theater und Musik besondere Höhepunkte verspricht.
»Dabei darf der Humor nicht fehlen«, ist Bergers Anliegen. Darum wird er selbst bei einer Matinee jüdische Miniaturen zwischen Anekdoten und Witz erzählen (16. November, 11 Uhr, Renitenztheater, Büchsenstraße 26). Im Gespräch wird sich der Rabbiner mit dem Romanautor Michel Bergmann (Machloikes) auch »Der gute Witz zur rechten Zeit« über jüdisches Leben in der Nachkriegszeit austauschen (4. November, 19 Uhr, Hospitalhof). Ein satirisches Vergnügen verspricht das Theaterstück mit dem Schauspieler Ernst Konarek, Ich weiß nicht, aber meine Frau ist mir verdächtig von Frigyes Karinthy (5. November, 19 Uhr, Theaterhaus Siemensstraße«), zu dem Berger eine Einführung geben wird.
Konzerte Bunt ist die musikalische Palette mit dem Synagogenkonzert des Synagogenchores Le Chant Sacré der großen Synagoge Straßburg (16. November, 18 Uhr, Synagoge IRGW, Hospitalstraße 36), dem Klezmerkonzert mit Roman Kuperschmidt (13. November, 19.30 Uhr, Gemeindesaal IRGW, Hospitalstraße 36), dem Auftritt der Preisträger des Karl-Adler-Nachwuchswettbewerbs der IRGW (2. November, 15 Uhr, Gemeindesaal), dem Jazzsänger Jona Bird (8. November, 20 Uhr, Kulturzentrum Merlin, Augustenstraße 72), der ungarischen Band »Is … real! Project« (12. November, 19 Uhr, Gemeindesaal der IRGW) sowie dem Trio Scho und ihrem Theater-Programm »Kiewer Tramway« (10. November, 20 Uhr, Renitenztheater, Büchsenstraße 26).
Die Stunde der Besinnung zum Gedenken an die Pogromnacht vom 9. November 1938 wird nicht nur am Abend in der Synagoge begangen, sondern auch am Vormittag im Atelier am Bollwerk: mit dem Film über das Ghetto von Riga Wir haben es doch erlebt (9. November, 11 Uhr, Hohe Straße 26).
Den Auftakt der Jüdischen Kulturwochen, die von Stadt und Land und weiteren Partnern und Sponsoren unterstützt werden, bildet der traditionelle WIZO-Basar, der erneut unter seinem Motto »Einkaufen für Israel« seine Einnahmen dem Theodor-Heuss-Familientherapiezentrum in Herzliya zur Verfügung stellt.
Das Programm ist abrufbar unter www.irgw.de/kulturwochen. Karten können unter Telefon 0711/505 40 61 oder per E-Mail an ew@susanne-wetterich.de vorbestellt werden.