So ist das mit Grillpartys: Ein Regenschauer geht just dann nieder, wenn die Tische draußen gedeckt sind und die Kohle glüht. Aber wenn es ein gutes Fest ist, lassen sich die Gäste davon nicht die Stimmung vermiesen, und die dunklen Wolken verziehen sich rasch wieder. Genauso war es auch am Abend des 26. Juni auf der Dachterrasse der Jüdischen Gemeinde zu Dresden.
Zum Grillfest eingeladen hatte Valentina Marcenaro, die Kulturmanagerin der Gemeinde. Man hätte denken können, dass sich eine Freundesclique versammelt hat: Studenten, junge Paare, Familien mit kleinen Kindern. Doch hinter der Party steckt mehr. Mit solchen Veranstaltungen für junge Erwachsene will die Jüdische Gemeinde Dresden den »Nachwuchs« enger an sich binden. Das Projekt wurde vom Zentralrat der Juden angestoßen und existiert auch in anderen Städten. In Sachsen wird es vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden organisiert. Der Zentralrat unterstützt die Angebote finanziell, das Programm planen die Gemeinden selbst.
Im vergangenen September legte Valentina Marcenaro dem Zentralrat eine Liste mit Veranstaltungsvorschlägen vor: Wandern und Schlittschuhlaufen, ein Konzert im Rahmen der Jiddischen Musik- und Theaterwoche, ein Besuch der Ausstellung »Kraftwerk Religion«, ein Grillabend, eine Party mit jüdischem DJ im Spätsommer, zu der auch die Jugend aus Leipzig und Chemnitz eingeladen wird.
überzeugungsarbeit Der Zentralrat gab grünes Licht, und die Kulturmanagerin machte sich an die Arbeit. Die größte Mühe hat sie aber nicht damit, die Veranstaltungen zu organisieren, sondern die Teilnehmer dafür zu gewinnen: »Es ist ein Kampf.« Entmutigen lässt sich die 38-Jährige aber nicht, denn: »Wenn die Leute sich zum Kommen durchgerungen haben, sind sie begeistert.« Rund ein Dutzend junger Dresdner Juden gehören zum festen Teilnehmerkreis.
Doch immer wieder sind auch zwei oder drei neue Gesichter darunter. Darüber freut sich Valentina Marcenaro besonders. Sie weiß: Auch in anderen Gemeinden liefen die Projekte für junge Erwachsene zäh an. »Es ist schwierig. In dem Alter sind die Leute mit zu vielen anderen Dingen beschäftigt, mit dem Studium, der Karriere, der Partnerschaft. Da bleibt wenig Zeit für das Religiöse und die Teilnahme am Gemeindeleben.«
verteiler Rund 80 junge Erwachsene hat Valentina Marcenaro kontaktiert und zu den Veranstaltungen eingeladen, und zwar nicht nur über den Gemeindebrief, sondern auch über Facebook. »Die meisten antworten leider nicht. Ich bin schon froh, wenn ich irgendeine Reaktion bekomme und sei es eine Absage«, räumt Valentina Marcenaro ein.
Für das Grillfest erhielt sie jedoch so viele Zusagen wie noch nie: 17 junge Leute meldeten sich an, dazu tobte eine Schar Kinder über die Terrasse des Gemeindehauses. »Bei diesen Treffen ist die Atmosphäre sehr ungezwungen«, findet Gemeindemitglied Immanuel Dzialowski. Man kennt sich, unter anderem, weil die Kinder die jüdische Schule besuchen und so automatisch auch die Eltern Kontakte oder sogar Freundschaften pflegen.
Während der Arzt zusammen mit seiner Frau und den fünf Kindern der Einladung ins Gemeindehaus gefolgt war, kam Miroslav Schwarz allein – aber auch er fühlte sich auf der Party nicht allein. »Alle sitzen zusammen und reden – das ist toll«, findet der 36 Jahre alte Schachtrainer.
Auch Organisatorin Marcenaro ist es wichtig, dass die Atmosphäre locker bleibt. Deshalb nimmt sie es mit den Vorgaben nicht so genau – eigentlich richtet sich das Angebot an 18- bis 35-Jährige. Aber wenn jemand ein paar Jährchen älter ist, darf er trotzdem kommen. Und eigentlich sind die Veranstaltungen für Juden gedacht. »Wenn aber jemand seine nichtjüdische Freundin mitbringt, ist das in Ordnung«, sagt Marcenaro.
Ganz locker Hauptsache, die junge Generation macht auf lockere Weise positive Erfahrungen mit der Gemeinde. Der religiöse Aspekt stehe dabei nicht im Mittelpunkt, erklärt Valentina Marcenaro. »Wie jemand seine Religion lebt, kann man sowieso nicht beeinflussen.« Den einen oder anderen hat sie schon gelegentlich bei Gottesdiensten erspäht. »Darüber freue ich mich natürlich, aber niemand erwartet, dass die Leute nun zu jedem Schabbat-Gottesdienst kommen.« Wer ins Gemeindeleben integriert sei, beschäftige sich irgendwann ganz automatisch auch mit der Religion, ist Marcenaro überzeugt.
Auf irgendeine Weise ist der Glaube bei den meisten Grillfestbesuchern ein Thema: »Das Judentum spielt für mich schon eine Rolle – zu einer katholischen Veranstaltung wäre ich wohl nicht gegangen«, sagt Miroslav Schwarz. Promotionsstudentin Galina Putjata (25) entdeckt die Religion gerade neu: »In meiner Familie spielt der Glaube keine Rolle. Deshalb finde ich es toll, dass ich hier erfahre, wie andere ihr Judentum leben. Ich sammele Anregungen, wie ich die Religion in den Alltag integrieren kann.«
Mut wecken Junge Leute wie Galina sind eine riesige Chance für die Gemeinde, ist Valentina Marcenaro überzeugt. Die Kinder der Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion sind gesellschaftlich integriert, sprechen perfekt Deutsch und sind meist gut ausgebildet. »Diese Generation muss ran. Wir brauchen junge Leute mit Pfiff.« Marcenaros größter Wunsch: »Sie sollen das Gefühl haben, dass sie sich trauen können, in die Gemeinde zu kommen und dort eigene Sachen zu gestalten.«
Die Chancen stehen nicht schlecht. Zwar machen alle Grillfest-Gäste Zeitmangel geltend, wenn es ums Engagement für die Gemeinde geht. Aber so ganz aus der Verantwortung will sich niemand stehlen. »Wenn es um Jugendarbeit geht, bin ich gern dabei«, versichert Galina Putjata. Und der Mediziner Immanuel Dzialowski könnte sich vorstellen, Vorträge zum Thema Gesundheit in der Gemeinde zu halten.
Und was sagt die ältere Generation dazu, dass die Jugend so umworben wird? »Die sind begeistert, denn die meisten wünschen sich, dass ihre Töchter und Söhne sich mehr ins Gemeindeleben einbringen«, weiß Valentina Marcenaro.