Kurz vor Beginn der Feier ist die Zahl der Gäste noch etwas größer als die der Stühle, doch solche logistischen Kleinigkeiten sind für Rachel Salamander und ihr Team keine echte Herausforderung. Am Ende finden natürlich alle einen Platz, die das 35-jährige Bestehen der »Literaturhandlung« feiern wollen: Schriftsteller, Literaturliebhaber, Freunde einer richtigen Münchner Institution. Dieser Begriff fiel bei der Geburtstagsfeier am vergangenen Sonntag besonders oft.
Die Dimension dessen, was sie mit einer Idee und deren Umsetzung erreicht hatte, könne sie erst jetzt erahnen, sagte Rachel Salamander bei dem Jubiläumsfest. Auch das hat etwas mit dem an diesem Abend beliebten Begriff »Institution« zu tun. Dass es sich bei der Literaturhandlung im Herzen der Stadt nicht um eine »normale« Buchhandlung handelt, viel eher um eine Kommunikationsfläche, wird mehrfach erwähnt, obwohl es jedem der Anwesenden klar ist: Für Rachel Salamander geht es nicht um den Handel mit Büchern, sondern um eine Überzeugung.
Glücksfall Alt-Oberbürgermeister Christian Ude, einer der Redner an diesem Abend, bringt das in einer verbalen Verneigung vor Rachel Salamander zum Ausdruck, spricht von der »integrativen Wirkung«, die sie entfalte, von ihrem Wirken als »Brückenbauerin« zwischen Juden und Nichtjuden. »Rachel Salamander ist eine Frau, die sich dem geistigen Wiederaufbau jüdischer Kultur verschrieben hat«, charakterisiert er »das Geburtstagskind«. Der frühere OB geht sogar noch weiter: Die Renaissance des Judentums gerade in einer Stadt wie München, der einstigen »Hauptstadt der Bewegung«, sei auch ein Verdienst der Literaturhandlung, hob er in seiner Rede hervor.
Der Alt-Oberbürgermeister, der die Kulturszene Münchens wie kaum ein anderer kennt, nahm auch eine bemerkenswerte Einschätzung vor, die sich an die Literaturhandlung und an Rachel Salamander richtete. Nachhaltiges internationales Niveau sei erreicht worden, ein Maßstab, der der Stadt München guttue. »Du bist ein Glücksfall für die Stadt«, erklärte Ude.
Über 1000 Veranstaltungen, die auch große Säle gefüllt haben und das gesamte Spektrum der jüdisch-deutschen Beziehungen abdeckten, fanden unter dem Dach der Literaturhandlung statt, alle bedeutenden Schriftsteller mit jüdischem Bezug waren in den vergangenen 35 Jahren regelmäßig für Lesungen zu Gast. Dem Erfolg, der sich mit sieben weiteren Filialen in Deutschland auch wirtschaftlich zeigt, steht Rachel Salamander selbst heute noch etwas ungläubig gegenüber. Es sei fast ein Wunder, sagte sie bei der Geburtstagsfeier, dass es nach der fast vollständigen Auslöschung der europäischen Juden und der »Arisierung« des Buchhandels die Literaturhandlung gibt und »Literatur zum Judentum« zu einer Marke werden konnte.
Schwelle Der in München geborene Historiker und Publizist Dan Diner ging in seiner Festrede zurück bis in das Jahr 1982 und die damals nur partiell aufgearbeitete NS-Vergangenheit, als Rachel Salamander die Literaturhandlung gründete. Was sie damals gemacht habe, sei die Überschreitung einer gesellschaftlichen Schwelle gewesen, ein bedeutsamer und mutiger Schritt. Das sieht auch Michael Krüger so, langjähriger Chef des Carl Hanser Verlags und Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. »Der Dialog mit den Autoren«, sagte Krüger, »hat unsere Gesellschaft beeinflusst und weitergebracht.«
Rachel Salamander vermittelte bei der Geburtstagsfeier aber auch ein bisschen Nachdenklichkeit. Klar, es sollten die 35 zurückliegenden erfolgreichen Jahre gefeiert werden, sagte sie, aber man müsse auch die geänderten Rahmenbedingungen und die Zukunft im Blick haben, speziell die fortschreitende Digitalisierung, der man nur mit neuen geschäftlichen Strukturen begegnen könne.
An den sprühenden Ideen, die sie hat, dürfte sich kaum etwas ändern. Immerhin ließ Salamander bei der Feier verschmitzt lächelnd durchblicken, dass sie an einem »richtig großen Ding« arbeite. Was sich dahinter verbirgt, verriet sie indes (noch) nicht.
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