»Eine geballte Ladung von jüdischer Kultur« sieht Dieter Graumann, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland. Auf »eine vollgepackte Schatzkiste« freut sich Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, und »ein jüdisches Großereignis« kündigt Hanna Sperling, Vorstandsvorsitzende des Landesverbandes Westfalen-Lippe, an. Tatsächlich ist es schwer, nicht in Superlative zu verfallen: Bis zum 17. April werden im Rahmen der Jüdischen Kulturtage in NRW mehr als 500 Veranstaltungen in 52 Städten stattfinden. Am Sonntag wurde die Reihe im Dortmunder Opernhaus eröffnet.
Für die Auftaktveranstaltung haben sich die Organisatoren einen geschichtsträchtigen Ort ausgesucht. Wo heute das Dortmunder Theater beheimatet ist, stand bis 1938 die alte Synagoge der Stadt. »Für Jahrhunderte« sollte sie eine »Zierde für die Stadt sein«, so wünschte es sich im Jahr 1900 der damalige Oberbürgermeister.
Tradition Dass die Juden in Deutschland durch Veranstaltungen wie die Kulturtage endlich wieder laut »Wir sind da« ausrufen können, ist Dieter Graumann besonders wichtig. »Wir Juden in Deutschland wollen nicht im Ghetto leben, auch nicht im Ghetto unserer Traumata«, betonte er bei seinem Grußwort während der Eröffnung. »Juden sind eben nicht nur Opfer, auch nicht in erster Linie Opfer, sondern vor allem Träger einer ganz besonders kostbaren Religion, Tradition, Gedankenwelt und gerade auch Kultur.«
Letztere ist laut Graumann »eine jüdische Paradedisziplin«. Ein Blick in das Programm der Jüdischen Kulturtage in NRW bestätigt die Einschätzung des Zentralratspräsidenten. Auch wenn jede Veranstaltung nur in vier oder fünf Sätzen beschrieben ist, musste der Organisationskreis um Regina Plaßwilm und Herbert Rubinstein als Wegweiser durch das große Angebot nun ein veritables Taschenbuch vorlegen.
Die Kulturtage 2011 sind erstmals das Ergebnis einer Kooperation der drei Landesverbände in Nordrhein-Westfalen, die für das breite Programm den Titel »einblicke – jüdisches [er]leben« gewählt haben. Darunter werden eine Literaturreihe, Ausstellungen, Tanz und Theater, eine Filmreihe, Begegnungsprojekte sowie als umfassendster Punkt musikalische Darbietun- gen angeboten.
International Allein 130 Konzerte zwischen Klassik, Jazz, Klesmer und »Heeb Hop« werden bis zum 17. April im Rahmen der Kulturtage stattfinden. Dabei steigen nicht nur jüdische Künstler auf die Bühnen, sondern auch nichtjüdische, die Einflüsse aus der langen Tradition jüdischer Musik in ihre Werke aufgenommen haben. Das Konzertprogramm hat innerhalb der Reihe die größte Internationalität zu bieten.
Der »Whisky-Rabbi« Geoff Berner aus Vancouver ist als Erneuerer der Klesmermusik ebenso dabei wie der Geigenvirtuose Nigel Kennedy mit der polnischen Band Kroke, die Sängerin Victoria Hanna aus Tel Aviv sowie Rosa Zaragoza aus Spanien, die »Lieder aus Sephard und Al Andaluz« vorstellt.
Doch Hanna Sperling betonte in ihrem Grußwort, dass die meisten teilnehmenden Akteure und Künstler in Deutschland leben. »Dies war ganz anders in den früheren Jahren, als man bei solchen Anlässen hauptsächlich auf Künstler aus Israel oder den USA angewiesen war«, erklärte sie.
Niveau Diesen Wandel wertet die Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe »als positives Signal für die Zukunft«. Er fuße besonders auf dem Wachstum der Gemeinden in den letzten zehn Jahren. »Wir wünschen uns sehr, dass wir aufgrund unserer Zuwanderer eines Tages wieder in der Lage sein werden, ein solches künstlerisches Niveau wie im Deutschland der Vorkriegszeit zu erreichen.
Aber dies wird wohl nur ein großer Traum bleiben.« Und Dieter Graumann pflichtete ihr bei: »Nie wieder wird, nie wieder kann es so sein wie früher. Und doch: Auf den Ruinen von Gebäuden und von Gefühlen ist doch wieder neues jüdisches Leben in Deutschland gewachsen, zusätzlich enorm befeuert durch den Zuzug von vielen jüdischen Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion.«
So sind die Kulturtage in NRW viel mehr als eine Schau der Künste. Graumann unterstrich in seiner Rede die Pluralität des neuen und frischen Judentums, das über den Weg der Kultur Vorurteile aufbrechen könne. Die plurale Gemeinschaft innerhalb der pluralen Gesellschaft sei ein Ziel, das für alle wünschenswert sei. »Was uns verbindet, uns alle, ist allemal stärker als alles, was uns trennen mag.«
www.juedische-kulturtage-nrw.de