Frankfurt/Main

Eine Institution geht

Händedruck zum Abschied: Dieter Graumann dankt Brigitte Steinmetz. Foto: Rafael Herlich

Wir schreiben das Jahr 1980: Der Bundeskanzler heißt Helmut Schmidt, »Die Grünen« werden gegründet, Dauerwelle, Schul- terpolster und Stulpen sind in – und Brigitte Steinmetz hat ihren ersten Arbeitstag in der I. E. Lichtigfeld-Schule in Frankfurt. Die Schule war noch in den Gemeinderäumen an der Freiherr-vom-Stein-Straße untergebracht. »Klein und beschaulich war es damals«, erinnert sich die Musik- und Kunstlehrerin. 90 Kinder zählte die Grundschule.

»In den Pausen hat unser Sicherheitsmann, Herr Berg, die Schüler im Hof beaufsichtigt. Und das Kollegium hat konferiert, Kaffeeklatsch gehalten oder gestrickt«, erinnert sich Steinmetz. Sie selbst versuchte, Iwrit zu lernen. Das habe allerdings »so im Vorbeigehen« nicht geklappt. »Und der Religionslehrer, Herr Daum, war zu beschäftigt, um sich mehr Zeit für mich zu nehmen«, erzählt die 66-Jährige.

Wortschatz Später wiederum habe sie selbst nicht mehr die Muße dazu gefunden. Trotzdem hat sich Steinmetz, die sich nach 32 Arbeitsjahren an der Lichtigfeld-Schule nun in den Ruhestand verabschiedet, einen beachtlichen Wortschatz erarbeitet. Nicht allein deshalb, weil die Chorleiterin sich alle hebräischen Liedertexte hat übersetzen lassen. Was sie nicht versteht, singt sie nicht – und unterrichtet sie nicht. »Denn das sollte man aus der Zeit des Nationalsozialismus gelernt haben: Dass man kein Lied herausposaunt, ohne zu wissen, was man da eigentlich singt«, betont Steinmetz.

Nicht nur bei diesem Thema hat die Lehrerin, die am 29. Juni ihren letzten Schultag hat, ihre Prinzipien. Eines ist beispielsweise, dass der Musikraum groß sein muss. Denn Musik bestehe auf drei Ebenen: der theoretischen, der instrumentalen und der Bewegungsebene. Im Idealfall würden alle drei in eine Unterrichtsstunde gepackt.

»Instrumente und Tische hin- und herräumen zu müssen, stört dabei«, meint Steinmetz. Ideal sei es auch nicht, dass die Schüler nach der Grundstufe so viel lernen müssten: »Viele hören dann auf, ein Instrument zu spielen, weil sie keine Zeit mehr zum Üben haben.«

Kammermusik Dabei sei es so wertvoll, musizieren zu können. Das versuche sie auch ihren Schülern zu vermitteln: »Musik ist etwas, was einen zum Weltbürger werden lässt! Und wenn mit 50 die Knie kaputt sind, hat sich das mit dem Fußballplatz erledigt. Ein Instrument kann man bis ins hohe Alter spielen«, sagt die Pädagogin und plant, künftig häufiger ihr Cello und ihre Altflöte auszupacken und häufiger mit ihrem Kammermusik-Orchester zu spielen. Ein neues Instrument möchte sie auch erlernen: die Gambel.

Schließlich trainiere die Musik auch das Gehirn – was sie unter anderem daran feststelle, dass sie sich noch blendend an die Schulzeit jener erinnere, deren Kinder heute ihren Unterricht besuchen. Vor dem Vergleich müssten sich die jetzigen Schüler allerdings nicht scheuen, meint Steinmetz. »Wenn ich mir überlege, was wir uns früher alles ausgedacht haben, um die Lehrer zu ärgern. Und wie aufmüpfig wir waren! Das gibt es heute gar nicht mehr!«

Was sie allerdings auch darauf zurückführt, dass an der Lichtigfeld-Schule eine besondere Beziehung zwischen Lehrern und Schülern besteht. Hier laufe der Unterricht ohne besondere Vorkommnisse ab. Allerdings sei es oft schwierig, den Kindern klarzumachen, »dass Musik ein richtiges Unterrichtsfach ist und viel mit Lernen und Üben zu tun hat.«

Leider seien die Kinder auch nicht mehr so neugierig wie früher. »Sie sind gesättigt, manche gar übersättigt. Ich glaube, dafür sind die vielen – zu vielen – Medien verantwortlich.« Kinder und Jugendliche sollten ihrer Meinung nach mehr Zeit haben, um sich bewegen, abschalten, regenerieren zu können und das Erlebte und Erlernte zu verarbeiten. Und nicht von Termin zu Termin hetzen.

Berufung Steinmetz’ Resümee nach 32 Jahren Schulzeit fällt überaus positiv aus. »Für mich war das kein Beruf, sondern Berufung«, sagt sie. Den einzigen »Knick in ihrem Lehrerdasein« habe es vergangenes Jahr gegeben, als sie sich bei der Klassenfahrt nach Israel auf Massada das Bein gebrochen habe.

Der Bruch ist mittlerweile längst verheilt. Was bleibt, sind viele schöne Erinnerungen. Daran, als die West Side Story zur Westend Story wurde, an den Duft von Sufganiot zu Chanukka im Schulgebäude, an die Kunstprojekte »Menschen auf Wanderung« und an den vielen Applaus bei den Chor- und Orchesterauftritten.

Der Beifall an ihrem letzten Schultag wird ihr sicher besonders im Gedächtnis bleiben. »Sie sind eine Institution!«, hatte Zentralratspäsident Dieter Graumann beim letzten Jom-Haazmaut-Auftritt von Brigitte Steinmetz in der Lichtigfeld-Schule gerufen und ihr einen Blumenstrauß überreicht.

Frankfurt/Main

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