Überall Gemurmel, dann aufgeregtes Lachen, ein Hin und Her – im Leo-Baeck-Saal der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf herrscht am vergangenen Samstagabend Trubel. Das Jugendzentrum feiert sein 50-jähriges Bestehen und hat zur Party geladen. Dezente Abendkleider, Jacketts, viel graues Haar ist zu sehen. Aus der ganzen Welt sind Gäste angereist, die vor 30 oder gar vor 50 Jahren in das Siegfried-Klein-Jugendzentrum kamen.
David Blumenthal hat sich an einen Tisch gesetzt und erzählt von den Anfängen, jedenfalls versucht er es. Immer wieder muss er aufstehen, Hände schütteln, umarmt diesen oder jenen. Der 80-Jährige kam für die Feier extra aus Kanada, er war von 1962 bis 1969 der erste Leiter des Jugendzentrums. »Man könnte meinen, dass wir erwachsener geworden sind«, sagt er. »Aber wir sind nur älter geworden. Und wie alt die ersten Besucher des Jugendzentrums heute auch sind, für mich bleiben sie meine Kinder. Ich bin im siebten Himmel. Mit jedem Menschen, den ich hier sehe, kommen Erinnerungen zurück.«
Anfangsjahre Aber nicht alle Erinnerungen sind angenehm, Blumenthal hat die Schwierigkeiten nicht vergessen, die er als Jugendleiter in den Anfangsjahren hatte. »Ich musste vielen Kindern erst ihr Selbstwertgefühl zurückgeben«, erzählt er. Sie waren, wie Blumenthal selbst, aus Israel nach Deutschland gekommen. »Das hat damals keiner verstanden. Und die Kinder fühlten, dass andere Juden deswegen böse auf sie waren. So lastete ein großer Druck auf ihnen.«
Es habe Jahre gedauert, bis Juden aus anderen europäischen Ländern nicht mehr auf die deutschen herunterschauten. »Teilweise wollten sie gar keinen Kontakt zu uns. Aber wir haben das Eis gebrochen, das war eine spannende Sache.«
Aufbauarbeit In der Gemeinde konnte sich Blumenthal nicht über mangelndes Interesse beklagen. Das Jugendzentrum sei für viele zu einem zweiten Zuhause geworden, rund 140 junge Mitglieder kamen regelmäßig. »Viele wären sonst verloren gewesen.« Er band die Religionsschule ein, organisierte Ausflüge und versuchte stetig, die Angebote attraktiver zu gestalten.
»Einmal habe ich den Vorstand um Geld gebeten, um einen Emaille-Ofen für das Jugendzentrum zu kaufen«, erzählt er. »Wir wollten Aschenbecher mit dem Magen David darauf herstellen. Damals hat ja noch jeder geraucht – aber nicht im Jugendzentrum!« Der Vorstand wollte allerdings kein Geld geben. »Im Treppenhaus traf ich Karlchen und erzählte ihm davon.« Karl Marx, der erste Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen, hatte damals sein Büro in der Düsseldorfer Gemeinde. »Er sagte: ›Blumenthalchen, komm mit, ich bezahle den Ofen!‹«
Ehepaare Der erste Jugendzentrumsleiter erinnert sich an viele solcher Anekdoten. Auf eine kommt er, als er von den vielen Ehen erzählt, für die im Siegfried-KleinHeim der Grundstein gelegt wurde. »Zwölf sind es. Darunter ist auch die von Paul und Gisèle Spiegel«, sagt er stolz. Indirekt habe auch seine eigene hier begonnen. »Einer meiner Jungs hatte seine Barmizwa, zu der auch eine Tante aus Kanada kam. Er stellte uns vor, der Rest ist Geschichte: Ich zog 1969 nach Kanada, wir heirateten.«
Während der 80-Jährige dann im Saal von Tisch zu Tisch geht und beinahe jeden aus den ersten Gruppen noch mit Namen kennt – »Nur drei Namen wusste ich bis jetzt noch nicht!« –, steht Ran Ronen an einer Fotowand und zeigt stolz auf ein Bild. »Das sind meine Eltern. Und der hier mit dem schwarzen Zylinder, der Trauzeuge, das ist David Blumenthal.« Ja, auch seine Eltern hätten gemeinsam das Jugendzentrum der Düsseldorfer Gemeinde besucht. »Und die Hochzeitsfeier fand dann auch hier statt«, sagt Ronen.
»Von den Leuten, die ich dann selbst im Jugendzentrum kennengelernt habe, sind einige noch heute meine besten Freunde«, erzählt er. Vor ihm fallen sich gerade zwei Frauen in die Arme, und Ronen schaut lächelnd zu. »So was passiert schon den ganzen Abend, das ist schön.«
Gegenwart Auch Jean Bernstein beobachtet das Treiben in aller Ruhe. Bei anderen Anlässen ist er mittendrin. Bernstein ist heute, 50 Jahre nach der Gründung, der aktuelle Leiter des Siegfried-Klein-Jugendzentrums. »Ich entdecke große Gemeinsamkeiten«, sagt er. »Wir benehmen uns wirklich genauso wie die damals.«
Aber nicht nur der Zusammenhalt zwischen den Besuchern sei unverändert. »Ich habe mit David auch über die kleinen Problemchen gesprochen, die wir so in unserer Arbeit haben. Er kennt sie alle«, erklärt Bernstein. Aber über Probleme möchte er an diesem Tag nicht reden, schließlich wird gefeiert. »Ich hoffe, dass auch unsere Generation im Jugendzentrum später so zusammenkommen wird. Die Dynamik, die hier herrscht, ist unglaublich. Und auch die Jüngeren werden sofort aufgenommen. Das ist einfach eine große Familie.«