Die schmerzhafte Erinnerung an den 9. November 1938, in der die Nazis in der Pogromnacht das Tor zur Hölle aufstießen, ist unauslöschlicher Teil des kollektiven jüdischen Bewusstseins. Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern, seit mehr als drei Jahrzehnten von Charlotte Knobloch im Präsidentenamt repräsentiert, hat den eigentlich zu Trauer und Reflexion verpflichtenden 9. November inzwischen aber auch zu einem Tag der Hoffnung gemacht. Denn vor zehn Jahren kehrte mit der Eröffnung der Ohel-Jakob-Synagoge am Jakobsplatz das Judentum auch sichtbar ins Herz der Stadt zurück.
Welcher Stellenwert dieser Rückkehr beigemessen wird, zeigte sich auch bei der Jubiläumsfeier am Mittwoch vergangener Woche, an der Bundeskanzlerin Angela Merkel teilnahm. Sie wurde bei dieser Gelegenheit mit der Ohel-Jakob-Medaille in Gold ausgezeichnet, der höchsten Auszeichnung der Kultusgemeinde.
Verliehen wird die Medaille, die im vergangenen Jahr Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer erhielt, für herausragende Verdienste um das Judentum in Deutschland, den entschlossenen Einsatz gegen jede Form von Antisemitismus und das entschiedene Bekenntniss zum jüdischen Staat. Eine geeignetere Preisträgerin als Bundeskanzlerin Angela Merkel, sagte Charlotte Knobloch bei der Verleihung, könne es gar nicht geben. In ihrer Begrüßungsrede betonte die IKG-Präsidentin: »Angela Merkel steht wie keiner ihrer Amtsvorgänger in unverrückbarer Entschlossenheit, Eindeutigkeit und Glaubwürdigkeit, beherzt und kämpferisch an der Seite von Juden in Deutschland und des Staates Israel.«
Verantwortung Aufgrund ihrer langjährigen Freundschaft zu Angela Merkel ist sich Charlotte Knobloch auch sicher, dass die Äußerungen der Kanzlerin nicht nur Worthülsen seien, sondern ihrer tiefen Überzeugung entsprechen. »Es ist Ausdruck eines gereiften Geschichts- und Verantwortungsbewusstseins und ihrer zutiefst menschlichen Haltung«, betonte sie bei der Feier, an der viele hochrangige Vertreter aus Politik, Kirche und Gesellschaft teilnahmen. Die Kanzlerin, so die IKG-Präsidentin weiter, sei ein Garant für die Sicherheit Israels und jedes einzelnen Juden in Deutschland. Direkt an Angela Merkel gewandt, sagte Charlotte Knobloch: »Diese Werte sind Ihnen eine Herzensangelegenheit, niemals verhandelbar, keine leeren Worte.«
Bundeskanzlerin Angela Merkel, die schon einmal zu Gast in der IKG war, bezeichnete das Gemeindezentrum mit der Synagoge als einen »Ort der Begegnung und des Dialogs« und als »Symbol des Vertrauens in unser Land«. Auch die Verleihung der Medaille betrachte sie als ein Stück Vertrauen, das ihr entgegengebracht werde. Bezug nehmend auf die vielen Zuwanderer aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion lobte Merkel die Leistung der jüdischen Gemeinden bei der Integration – und schlug einen Bogen zu den aktuellen Herausforderungen: »Dort, wo Alt und Neu aufeinandertreffen, braucht es Verständigung über Werte, Regeln, Gewohnheiten, um auf einem gemeinsamen Fundament aufbauen zu können.«
Dazu gehöre für sie insbesondere auch das Wissen über die deutsche Geschichte: »Wir sind es den Opfern der Schoa wie uns selbst schuldig, das Wissen um das Geschehene von Generation zu Generation weiterzugeben und uns entschieden gegen die Bedrohungen durch Hass und Antisemitismus zu wenden.«
Zu Beginn der Veranstaltung in der Synagoge gedachte die Jüdische Gemeinde zusammen mit ihren Gästen der Millionen Menschen, die während der Schoa von den Nazis umgebracht wurden. »Sie sind bei uns, sie bleiben es, an jedem Tag«, betonte IKG-Präsidentin Knobloch, die in ihrer Rede auch auf das Wiedererstarken des Rechtsextremismus in Deutschland einging.
Widerspruch »Wir erleben, dass Antisemitismus immer offener, ungeniert und auch gewaltsam geäußert wird«, zog Knobloch Bilanz. Deshalb dürfte sie auch mit Genugtuung darüber erfüllt gewesen sein, wie klar sich Angela Merkel über das Erstarken des Antisemitismus äußerte. »Das dürfen wir nicht ignorieren. Das muss entschiedenen Widerspruch finden – in Wort und Tat«, erklärte die Kanzlerin.
Für den Oberrabbiner der Park East Synagogue New York, Arthur Schneier, steht außer Frage, »dass Angela Merkel eine Frau des Gewissens und der Prinzipien« ist. In seiner Laudatio sagte er, direkt an die Kanzlerin gewandt: »Sie haben auch das jüdische Leben in Deutschland wieder aufblühen lassen.« Deutschland, so Schneier, stehe beispielhaft für die Erinnerung und Verantwortung, die aus einer tragischen Vergangenheit entsprungen sei, sowie für den Geist der Versöhnung.
»Über die Jahre hat sich eine besondere, eine verständige und kooperative Beziehung mit dem jüdischen Volk und dem Staate Israel entwickelt. Ihre Grundlage kann und wird nicht von denen verzerrt werden, die antizionistische Parolen verwenden, um ihren Antisemitismus zu verbergen«, so Schneier.
Den zehnten Jahrestag der Eröffnung der Synagoge Ohel Jakob bezeichnete Ministerpräsident Horst Seehofer als »ein großartiges Jubiläum für unser Land«. Die Juden seien ein »unverzichtbarer Teil« der Stadt und des Landes. Dies sei aber zugleich auch Auftrag und Verpflichtung: »Hass und Gewalt«, hob Seehofer hervor, »haben in unserem Land nichts zu suchen – Antisemitismus und Rechtsradikalismus haben hier nicht einen einzigen Millimeter Platz.« Er wisse auch, dass Angela Merkel entschlossen und unbeirrbar an der Seite der jüdischen Gemeinschaft steht, erklärte er, bevor er der Kanzlerin zur Auszeichnung mit der Ohel-Jakob-Medaille gratulierte.
erinnerung Oberbürgermeister Dieter Reiter erinnerte an die Gräuel der Nationalsozialisten, die aktuellen rechten Tendenzen und an die Verpflichtung der Stadt, die einmal die »Hauptstadt der Bewegung« war und sich deshalb der besonderen Verantwortung auch stellen müsse. »Wir werden es nie wieder zulassen«, versicherte Reiter, »dass sich die Brandstifter mit ihrem Hass durchsetzen. Auch daran soll uns die Synagoge Ohel Jakob erinnern.«
Alt-Oberbürgermeister Christian Ude schloss den Festakt, der musikalisch durch den Chor der Großen Synagoge in Jerusalem eindrucksvoll bereichert wurde, mit einem umfassenden Dank für das Jüdische Zentrum, das einem brachliegenden Platz der Innenstadt endlich Gestalt und vor allem Sinn gegeben habe.
»Das Zentrum hat diesen Platz belebt, bekannt, beliebt und bedeutsam gemacht und ein neues, menschliches, tolerantes, durch Selbstkritik und Verantwortungsgefühl gekennzeichnetes München-Bild vermittelt.« Die IKG könne nicht nur seiner Überzeugung zufolge stolz darauf sein, ein integraler, unverzichtbarer Bestandteil dieser Stadt zu sein.
Ein während der Festveranstaltung immer wieder erwähnter Aspekt war die Initialzündung, die der Bau der Synagoge Ohel Jakob und des Gemeindezentrums mitten in München auslöste. In der ganzen Bundesrepublik entstanden in den folgenden Jahren jüdische Gemeindezentren und Synagogen als bauliche Symbole eines vitalen Judentums. »Davon«, versicherte IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch, »habe ich nicht einmal zu träumen gewagt.«