Die »Work-Life-Balance« ist für Zsolt Balla (39) kein Problem. »Ich liebe meinen Beruf – er ist mein Hobby«, sagt der neue sächsische Landesrabbiner. Am 1. Januar dieses Jahres berief ihn das Präsidium des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden.
Im Freistaat kennt sich der gebürtige Ungar, der mit einem »sächsischen Mädchen« verheiratet ist, aus. Seit zehn Jahren ist er Rabbiner in der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig. Mit ihren 1300 Mitgliedern ist sie die größte in Sachsen.
KOmpatibilität Als Landesrabbiner füllt Zsolt Balla eine Lücke, die seit 2012 bestand. Damals verabschiedete sich der damalige Landesrabbiner Salomon Almekias-Siegl in den Ruhestand. Es ist kein Zufall, dass der sächsische Landesverband gerade jetzt einen Rabbiner für das Bundesland beruft. Denn zwei der drei Gemeinden des Freistaats, Dresden und Chemnitz, stehen seit einigen Monaten ohne jüdische Religionslehrer da.
»Die Situation ist prekär, und wir wollen sie schleunigst ändern«, betont Nora Goldenbogen, die Vorsitzende des Landesverbandes Sachsen. Als Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Dresden weiß sie aber auch, dass es nicht einfach ist, einen Rabbiner zu finden, obgleich es Bewerber gibt. »Es muss ja jemand sein, der zur Gemeinde passt.«
Der neue Landesrabbiner soll also keineswegs die örtlichen Rabbiner ersetzen, sondern als Koordinator wirken. Dass die drei Gemeinden Leipzig, Chemnitz und Dresden auch religiös unterschiedliche Profile haben, sieht der orthodoxe, aber weltlich orientierte Rabbiner Zsolt Balla nicht als Problem an.
Strategie Immerhin haben mit dem Landesrabbiner nun wieder alle 2600 jüdischen Gemeindemitglieder in Sachsen eine religiöse Instanz, an die sie sich wenden können. Das bedeutet aber nicht, dass Balla in allen Gemeinden regelmäßig Gottesdienste abhalten wird. Was das angeht, haben die verwaisten Gemeinden Dresden und Chemnitz durch Gastrabbiner und Kantoren die Situation im Griff. Als Lehrer und religiöser Ratgeber werde ein Gemeinderabbiner jedoch schmerzlich vermisst, sagt Landeschefin Nora Goldenbogen.
Der neue Landesrabbiner bewertet es positiv, dass das Leiten der Gottesdienste nicht seine Hauptaufgabe ist und er sich vielmehr strategischen Aufgaben widmen kann. Sein Ziel: »Auf der Karte jüdischen Lebens in Deutschland will ich Sachsen stärker positionieren.« Es gebe viele positive Ansätze, aus denen man noch mehr machen könne, sagt der Landesrabbiner.
Zum Beispiel bei der Jugendarbeit, die einer seiner Schwerpunkte ist. »Die jungen Leute sollen sich nicht so verloren fühlen, wie es heute oft der Fall ist.« Unter anderem will der Vater von drei Kindern junge Juden wieder stärker in das Gemeindeleben einbinden. »Ich habe große Träume. Aber ohne Träume kann man als Jude in Deutschland nicht leben«, sagt Balla.
»Wir wollen den Gemeinden eine gemeinsame Plattform bieten.Zsolt Balla
Als Kind in Budapest hätte er sich wohl nicht träumen lassen, einmal Landesrabbiner von Sachsen zu werden. Balla wuchs in einer nichtreligiösen Familie auf. Als er neun Jahre alt war, wollte er sich einer christlichen Gemeinde anschließen. Erst da klärte ihn seine Mutter darüber auf, dass er Jude ist. Also ging er statt in die Kirche in die Synagoge.
Das Interesse an der Religion sollte ihn nicht mehr loslassen. Zunächst studierte er Wirtschaftsingenieurwesen, im Anschluss meldete er sich jedoch im Rabbinerseminar zu Berlin an. Seine religiöse Ausbildung führte ihn außerdem nach Budapest, New York, London und Jerusalem.
Seine Amtseinführung im Juni 2009 war nicht nur für Zsolt Balla ein großer Tag. Denn seit 1938 hatte es keine Ordination orthodoxer Rabbiner mehr gegeben, die in Deutschland ausgebildet worden waren. Der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble bezeichnete den Anlass als »historischen Moment«.
ORD Balla ist eines von drei Präsidiumsmitgliedern der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland und in vielen jüdischen Organisationen aktiv.
»Mit Rabbiner Zsolt Balla bekommt das Judentum in Sachsen einen repräsentativen und fachlich hoch gebildeten religiösen Vertreter auf Bundes- und internationaler Ebene«, erklärt der Vorstand des Landesverbandes. Balla selbst äußert sich bescheiden. Es sei ihm eine Ehre, mit den drei sächsischen Gemeinden zu arbeiten. Für Zsolt Balla muss ein Rabbiner Teamplayer sein. »Ich stehe nicht außerhalb der Gemeinde, ich bin Teil der Gemeinde.« Von Vorschusslorbeeren will er nichts wissen. Gemessen werden will er an seinen Erfolgen – in ein paar Jahren.
Politik Laut Vereinbarung mit dem sächsischen Landesverband wird sich Balla vorrangig der Vertretung des sächsischen Judentums widmen, dem interreligiösen Dialog, dem religiösen Wirken in der Öffentlichkeit und der rabbinischen Beratung. In seiner Funktion als Landesrabbiner kann Balla politischen Themen wie Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit nicht ausweichen.
Doch wohl fühlt er sich auf dem politischen Parkett nicht. »Das ist nicht meine Kompetenz. Ich bin für die Religion zuständig.« Er selbst sei in Leipzig noch niemals angepöbelt worden, er könne aber die subjektiven Sorgen der jüdischen Bürger verstehen. »Ich teile die Meinung des jüdischen Landesverbandes: Wir sind kategorisch gegen alle Arten von Hass und Xenophobie.«
Balla studierte in Berlin, Budapest, New York, London und Jerusalem.
Nora Goldenbogen wird bei diesem Thema deutlicher: »Es herrscht ein Ton, den es vor zehn Jahren noch nicht gab. Fremdenhass und Antisemitismus sind auch in der Politik normaler geworden – zum Beispiel bei der AfD. Ich hätte nie gedacht, dass uns das noch einmal so nahe kommt.« Rückzug sei in dieser Situation aber ganz falsch. »Wir haben nur eine einzige Chance: präsent bleiben. Angst ist immer ein schlechter Ratgeber.«
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