Drei Tage lang konnte Marianne Meyerhoffs Mutter die Kiste, die von Deutschland nach Los Angeles geschickt worden war, nicht aufmachen. Es war kurz nach der Schoa, als ihre drei Freundinnen die Fotos, Schmuck und die Doktorarbeit ihrer Eltern an sie gesendet hatten. Ihre Mutter hatte die Handschrift ihrer Freundin sofort erkannt. An diese Tage erinnert sich Marianne Meyerhoff, die damals ein kleines Mädchen war, noch heute.
Von solchen Geschichten berichtete sie Donnerstag vergangener Woche bei der Umbenennung der Aula der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule nach ihrem Großvater Fritz Wachsner, zu der sie eingeladen war, ebenso eindringlich wie lebhaft. Die drei Freundinnen ihrer Mutter hatten Meyerhoffs Großeltern Fritz und Paula während der Schoa immer wieder besucht, Essen mitgebracht und die Unterlagen mit hinausgeschmuggelt, um sie vor den Nazis zu retten. Für das Ehepaar Wachsner und seinen Sohn Erich gab es keine Rettung: Sie wurden deportiert und umgebracht.
würdigung Das Foto, auf dem Meyerhoffs Mutter als Kind auf den Schultern des ehemaligen Lehrers sitzt, der glücklich und zufrieden aussieht, hängt nun neben dem Eingang der Aula, die ab sofort den Namen Fritz Wachsner trägt. Im Gedenken an den Lehrer wurde zudem ein Stolperstein mit dessen Namen vor dem Schulgebäude in der Erich-Weinert-Straße verlegt.
Wachsner war von 1920 an Lehrer und später Leiter der Schinkel-Schule, der heutigen Humboldt-Gemeinschaftsschule. Kurz nach ihrer Machtergreifung suspendierten die Nazis Wachsner, weil er Jude war. Ab 1935 baute er als Gründungsdirektor die jüdische Joseph-Lehmann-Schule in der Joachimstaler Straße auf. Nur seine Tochter Charlotte konnte fliehen, überlebte den Holocaust in den USA und überließ später ihrer Tochter die Unterlagen.
»Ich spüre, dass mein Großvater heute wieder in der Schule ist«, sagte die 73-jährige Enkelin in ihrer Ansprache vor den Schülern, Eltern und Lehrern. Dank der Unterstützung des Zentralrates der Juden in Deutschland und der Harold Bob Stiftung konnte Marianne Meyerhoff eigens für den Festakt aus den USA anreisen.
Nachlass Ihr Großvater sei als Kind frech und kein besonders guter Schüler gewesen, unterstrich sie schmunzelnd. Das gehe aus den Dokumenten ihrer Familie hervor. Besonders erfreut zeigte sie sich darüber, dass die umfangreiche Familiensammlung mit mehr als 1000 Dokumenten nun in das Archiv des Jüdischen Museums Berlin übergeht. Ausgewählte Schriftstücke aus dem Nachlass werden vom 1. Dezember an dort in einer Vitrine zu sehen sein.
Ebenso erfreut zeigte sich Wachsners Enkelin über das Engagement der Schüler. Die 650 Mädchen und Jungen hatten sich im vergangenen Jahr der Schulgeschichte gewidmet, die nun über 100 Jahre umfasst. Dabei wurden sie auch auf das Schicksal von Fritz Wachsner aufmerksam und fingen an, zu recherchieren. Rasch war die Idee geboren, an ihn auch mit einem Stolperstein zu erinnern.
Auch bei der Feier zum 100-jährigen Bestehen der Schule sind die Schüler wieder aktiv gewesen. Zu diesem Anlass haben unter anderem eine Schau über Wachsner erarbeitet, die bei der Feier präsentiert wurde. Ebenso hielten sie in den Klassenräumen Vorträge über ausgewählte Themen – so wie die 14-jährige Mila und die 13-jährige Lilly.
Die beiden Schülerinnen hatten sich für ein Projekt über Diktaturen entschieden. »Wir haben auch die Gedenkstätte Sachsenhausen besucht, was für uns sehr eindrucksvoll war«, sagten die beiden Schülerinnen über die Recherche. Seitdem treibe sie eine Frage um, berichteten sie: »Wie konnten die Menschen in Deutschland nur solch ein Unrecht zulassen?«