Die neue Synagoge in der Münchner Reichenbachstraße ist eigentlich fast 100 Jahre alt. Eingeweiht wurde sie 1931, in Brand gesetzt und entweiht – wie fast alle Synagogen in Deutschen Reich (einschließlich Österreichs) während der nationalsozialistischen Verbrecherherrschaft in der »Reichskristallnacht« vom 9. November 1938. Ab 1939 wurde sie als Metall- und Holzbearbeitungswerkstatt missbraucht.
Am 20. Mai 1947 hat das Häuflein der wie durch ein Wunder geretteten, in München verbliebenen oder dorthin verschlagenen Juden das verwüstete Gebäude als neue Hauptsynagoge der örtlichen Gemeinde wiedereingeweiht. 1931 war diese Synagoge ein Juwel gewesen, stilistisch zwischen Bauhaus und Neuer Sachlichkeit einzuordnen: sparsam in den Mitteln, üppig im Ausdruck, besonders farblich.
Es war Religion ohne Schnickschnack, rationale und emotionale Religiosität mit Intellektualität verbindend; ein Beweis des jüdischen Baumeisters und seiner Auftraggeber, dass auch Gebäude eine »Seele« haben und mehr sein können (und sollen!) als die Anhäufung von Steinen.
Das überrascht nicht, denn es war sozusagen die Synagoge der »Ostjuden«, die dem Judentum auch religiös viel enger – besonders seelisch – verbunden geblieben waren. Die deutschen »Westjuden« waren deutlich assimilierter, ihre geliebt-gelebte »Jüdischkeit« weniger ausgeprägt. Auch das gehört zur doppelten Tragödie des sechsmillionenfachen Judenmords: Die Mehrheit der Westjuden starb für ihr Judentum, das ihnen religiös kaum noch etwas bedeutete. Die Ostjuden wurden vernichtet, obwohl sie die religiösen Gebote meist hingebungsvoll erfüllten.
ARCHITEKT Gustav Meyerstein, der Architekt der Reichenbach-Synagoge, war politisch weitsichtiger als viele andere deutsche Westjuden und floh bald nach Britisch-Palästina, ab 1948 Israel. 1953 baute er die Residenz des israelischen Ministerpräsidenten, ebenfalls im Stil der Neuen Sachlichkeit: Politik ohne Schnickschnack oder Schickimicki, bescheiden und ganz dem Anspruch und der damaligen Wirklichkeit des neuen jüdischen Staates entsprechend.
Wie Bonn als provisorische Bundeshauptstadt schien sich die altneue, notdürftig instandgesetzte Reichenbach-Synagoge vom Provisorium zur Konstante zu wandeln. Es war, wie es war. Die Gemeinde hatte offensichtlich andere als synagogale oder gar ästhetische Prioritäten gesetzt.
Auch der Sinn für Historisches fehlte, denn nach Holocaust und Krieg gab es außer dieser Synagoge – unabhängig von ihrem Zustand – kein einziges Gebäude aus dem scheinbar Goldenen Zeitalter des deutschen Judentums bis 1933. Noch schlimmer wurde es für diese Synagoge, seitdem es der Gemeinde besser ging: seit 2006. In diesem Jahr wurden die neue Synagoge Ohel Jakob sowie das moderne Gemeindezentrum am Jakobsplatz mitten in der pulsierenden Innenstadt eingeweiht.
1931 war die Synagoge ein Juwel, stilistisch zwischen Bauhaus und Neuer Sachlichkeit einzuordnen.
Alle jubelten. Die Architekten der Neubauten wurden bepreist und gepriesen. Die sowohl »typisch jüdische« als auch ihrer damaligen nichtjüdischen Umwelt gegenüber weltoffene Synagoge Reichenbachstraße stand nun leer: Verfall, Zerfall, Dornröschenschlaf.
ERINNERUNGEN Eines Tages im Jahr 2011 kam Rachel Salamander an der Synagoge vorbei. Für sie war der Anblick unsäglich, die Erinnerungen waren schmerzlich: In diesem Haus hatte sie, wie so viele der ersten Nach-Holocaust-Generation, »damals« ihren festen Sitzplatz auf der Frauenempore. Dort hatte sie viele Gottesdienste erlebt, am Schabbat oder an Feiertagen. Sollte, durfte dieses Haus seelen- und gedankenlos allmählich verfallen und dann vergessen werden?
Rachel Salamander blieb nicht beim Gedanken, Gedenken und Zurückdenken, es folgte die Tat. Mit anderen Gleichgesinnten, allen voran Rechtsanwalt Ron Jakubowicz, dem Star-Architekten Christoph Sattler und Dietmar Elmau, dem Chef des Schlosshotels Elmau, gründete sie den »Verein Synagoge Reichenbachstraße«. Ziel war die Wiederherstellung des einstigen Synagogenjuwels, das Wiedererkennen des Vorgestern im Heute und Morgen, ohne das Gestern zu verdrängen.
Das notwendige Geld, rund zwölf Millionen Euro, hat Rachel Salamander mit ihrer geradezu sprichwörtlichen Hartnäckigkeit gesammelt. Von Bund, Land Bayern, Stadt München und privaten Spendern. Mühsam, in schier endlosen Gesprächen und Korrespondenzen. Dabei wurde sie politisch und ideell vom Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde München (IKG) unterstützt. Die Mühen haben sich gelohnt: Am kommenden Donnerstag wird nun das »Richtfest als Lichtfest« gefeiert – mit einer von Rachel Salamander erdachten Lichtinstallation, die an die bewegte Geschichte der Synagoge erinnert.
Der Autor ist Historiker und Publizist. Zuletzt erschien von ihm die Neufassung von »Ewige Schuld? 75 Jahre deutsch-jüdisch-israelische Beziehungen«.