Die 28. Tage der jüdischen Kultur in Chemnitz stehen in diesem Jahr unter besonderen Vorzeichen. Einerseits gilt es, eine künstlerisch-kulturelle Erfolgsgeschichte fortzuschreiben, die bereits in den frühen 90er-Jahren begann und die in der sächsischen Industriestadt Juden, Christen, Deutsche, Israelis und andere auf unkomplizierte Weise einander näherbringt.
Andererseits ist in Chemnitz vieles nicht mehr so, wie es noch bis zum Sommer 2018 war. Im August schockierten Bilder von rechtsextremen Aufmärschen und Übergriffen nicht nur Deutschland, sondern auch die internationale Öffentlichkeit. Auch das jüdische Restaurant »Schalom« wurde Ziel einer gewalttätigen Attacke. Und gerade in diesen Tagen sorgt der Fußballverein Chemnitzer FC für schlimme Schlagzeilen.
Viele sehen die Tage der jüdischen Kultur seit jeher als wichtigen Baustein im zivilgesellschaftlichen Leben der Stadt – und als eine Botschaft zum Brückenbauen. So auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der zur Eröffnung der Kulturtage am Samstag betonte: »Ein halbes Jahr nach den Ereignissen vom Sommer steht die Stadt wieder gestärkt da, und die jüdische Gemeinschaft hat viel dazu beigetragen. Dies hier ist unsere Heimat, und wir werden gemeinsam dafür einstehen, dass sie farbenfroh und tolerant bleibt.«
Viele sehen die Tage der jüdischen Kultur als wichtigen Baustein im zivilgesellschaftlichen Leben der Stadt.
Ähnlich optimistisch äußerte sich die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz, Ruth Röcher, gegenüber der Jüdischen Allgemeinen. »Das wirkliche Chemnitz sind nicht die schrecklichen Geschehnisse vom August. Das wirkliche Chemnitz erleben wir jetzt und hier«, sagte Röcher.
sehnsucht Die Kulturtage stehen in diesem Jahr unter dem Motto »Heimat – Ort der Sehnsucht, Ort der Verzweiflung« und laden zu 78 Kulturveranstaltungen an verschiedensten Plätzen der Stadt ein. Koordinator Egmont Elschner sieht die Kulturtage als Angebot für unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen und betonte bei der Eröffnung: »Natürlich schafft auch Kultur Heimat, vielleicht eine Insel unter vielen Kulturen.« Beteiligt sind Künstler, Vortragende und Wissenschaftler unter anderem aus Deutschland, Israel, den USA, dem Iran und aus Russland.
Feierlich eröffnet wurden die Kulturtage in den Chemnitzer Kunstsammlungen, wo gleichzeitig auch eine Ausstellung mit 50 Druckgrafiken und Lithografien von Max Liebermann ihre Türen öffnete. Die Werke sind Bestandteil der städtischen Kunstsammlungen. Darunter sind auch einige damalige Schenkungen des Malers selbst.
Auch diesmal setzte der künstlerische Austausch zwischen Chemnitz und der nordisraelischen Stadt Kirjat Bialik fort.
Wie schon in den vergangenen Jahren setzt sich auch diesmal der künstlerische Austausch zwischen Chemnitz und der nordisraelischen Stadt Kirjat Bialik fort. In diesem Jahr stellt in den Räumen der Jüdischen Gemeinde Chemnitz die Philosophin und bildende Künstlerin Adina Key einen Zyklus von Radierungen zum Thema »Flucht und Migration« aus. Geboren wurde Key 1954 in Bukarest. Sie ist Tochter eines Schoa-Überlebenden, dem während des Zweiten Weltkrieges die Flucht aus einem NS-Konzentrationslager in Transnistrien gelang. 1964 emigrierte die Familie wegen antisemitischer Anfeindungen unter dem Ceausescu-Regime nach Israel und fand im Kibbuz Yaguar in der Nähe von Haifa ein neues Zuhause.
Fluchterfahrung Flucht und die allgemeine Verletzlichkeit menschlicher Existenz sind Themen, die sie nach eigener Aussage »mein ganzes Leben lang begleiten. Ich bin nirgendwo vollkommen angekommen, auch in Israel nicht vollständig«. Durch die eigene Geschichte als Nachfahrin von Schoa-Überlebenden der zweiten Generation und die Fluchterfahrung in frühem Alter hat sie ein Gespür für die traumatisierenden Umstände, mit denen Geflüchtete umzugehen haben – ganz besonders, wenn es sich um Kinder handelt. Kunst ist für Adina Key der Schlüssel zum Verständnis der Schicksale so vieler anderer umherirrender, schutzsuchender Menschen heute.
Der Zyklus von Radierungen ist während der vergangenen beiden Jahre entstanden, sodass Adina Key gerade auch die neuen Geflüchteten, die aus Afrika und dem Mittleren Osten nach Europa – in kleinerer Zahl auch nach Israel – gekommen sind, ebenfalls vor Augen hatte. Ihre Bilder halten Menschen fest, denen man die Anspannung und Ungewissheit der Flucht ansieht. Manche der Illustrationen zeigen Personen auf offenem Meer – auch eine Darstellung von ihrem Vater und ihr selbst ist eingeflossen.
In der Vergangenheit zeigte Adina Key schon Ausstellungen in verschiedensten israelischen Städten wie Haifa und Jerusalem.
Urmütter Adina Keys Ausstellung schlägt aber auch den Bogen zu allen drei monotheistischen Religionen. Denn weitere Motive sind die »Urmütter« Sara, Hagar und Maria. »Über Leidens- und Schmerzenserfahrungen dieser drei Frauen wurde in allen drei großen Überlieferungen – im Judentum, im Islam und im Christentum – nicht geschrieben«, konstatiert Adina Key. »Vielleicht kann Kunst hier etwas nachholen, was die Frauen verschiedenster Kulturkreise dann auch ein Stück verbinden mag, besonderes jene mit großen Schmerzerfahrungen.«
In der Vergangenheit zeigte Adina Key schon Ausstellungen in verschiedensten israelischen Städten wie Haifa und Jerusalem. Über ihr eigenes künstlerisches Schaffen hinaus arbeitet sie seit vielen Jahren auch als Kunsttherapeutin, unter anderem in Kooperation mit der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.