»Immer ragst Du mir in meine Träume Meiner Jugend – zartgeliebte Stadt, die so rauschende Kastanienbäume Und das Licht des nahen Südens hat.« Diese Zeilen hat Schalom Ben-Chorin 1937 geschrieben – fern seiner geliebten Heimatstadt München. 1935 hatte er die Stadt verlassen und war nach Jerusalem emigriert. Das Gedicht endet mit den Zeilen: »Der ich, ferne Stadt, der deine war. Darf in deinen Mauern nicht mehr ruhn. Aber deine Mauern ruhn in mir.
In den Nächten baue ich dich neu, Durch die nieverschlossne Träume-Tür Darf ich dich betreten ohne Scheu.« Nach dem Ende der Nazi-Diktatur kam er nach München zurück – immer wieder, als Brückenbauer. In der Zweibrückenstraße 8 erinnert eine Gedenktafel an Ben-Chorin. Dort wurde der international bekannte Religionsphilosoph am 20. Juli 1913 als Fritz Rosenthal geboren.
Heimatstadt Unter den weit über 150 Gästen, die zur Feierstunde anlässlich der Gedenktafel-Enthüllung kamen, war auch Präsidentin Charlotte Knobloch. Die sichtbare Präsenz des großen Denkers freut sie, denn »der Mann, der immer wieder zwischen Israel und Deutschland eine Brücke geschlagen hat, hat die Verbindung zu seiner Heimatstadt stets gehalten.«
Die Idee für diese sichtbare Erinnerung kam von den Vereinen »Freunde Abrahams« und »Chaverim«. Sie wollten damit an Ben-Chorins 98. Geburtstag den großen Sohn der Stadt ehren, der trotz seines Schicksals zum Brückenbauer zwischen Juden und Christen, zwischen Isar und Jordan, zwischen Deutschland und Israel wurde.
Das, was am 98. Geburtstag Ben-Chorins abgeschlossen wurde, dauerte lange: Eine großzügige Spende von Irene Endraß und das Zusammenwirken vieler Menschen halfen bei der Realisierung. Die Münchner Künstlerin Blanka Wilchfort, geborene Schmusch, hat die Form eines Halbreliefs gewählt, die den Kopf Ben-Chorins in seine Heimatstadt rausragen lässt.
Neben der künstlerischen Arbeit hat sie auch in Gesprächen mit der Eigentümergemeinschaft des Geburtshauses deren Einverständnis zur Anbringung der Tafel eingeholt. In Vertretung des Oberbürgermeisters betonte Stadtrat Siegfried Benker die Bedeutung der Erinnerungsarbeit auch noch viele Jahre nach dem Tod Ben-Chorins: »Die Stadt kann gar nicht dankbar genug sein, dass es eine herausragende Persönlichkeit aus München war, die sich nach dem Massenmord an den Juden Europas von Jerusalem aus, wohin sie 1935 emigrieren konnte, genauer: musste, eine klare und deutliche Aussage traf: Versöhnung ist möglich.« Doch – und auch das habe Schalom Ben-Chorin gesagt: Versöhnung braucht Zeit.
Sehnsucht Die Familie Ben-Chorins maß der Enthüllung des Denkmals so große Bedeutung bei, dass sie eigens nach München reiste. Die Witwe Avital Ben-Chorin kam aus Jerusalem, ebenso die Tochter Ariela Kimchi-Ben Chorin.
Der Sohn Tovia Ben-Chorin, der als Rabbiner in Berlin lebt, kam mit seiner Frau. Zum Gedenken an den großen Brückenbauer zwischen den Religionen sprachen auch Vertreter der einzelnen Glaubensgemeinschaften – für die jüdische Seite Rabbiner Tom Kucera, für die evangelische Kirche Pfarrer Helmut Gottschling, von katholischer Seite Andreas Renz vom Erzbischöflichen Ordinariat und als Vertreterin des Islam Gönül Yerli.
Die Initiatoren waren vertreten durch Hans Dieter Strack und Manfred Görg. Avital Ben-Chorin war von der großen Beteiligung an der Feierstunde beeindruckt. Anderthalb Stunden lang harrten die Teilnehmer in Kälte und strömendem Regen aus, um ihrem 1999 verstorbenen Mann die Ehre zu erweisen. Sie dankte den Menschen, die gekommen waren ebenso wie allen, die zur Realisierug der Gedenktafel beigetragen hatten.
Sie erinnerte daran, wie sehr ihr Mann München verbunden war. »Er liebte München so sehr. Es war aber auch diese Stadt, die ihn vertrieben hatte. Aber sie vertrieb ihn in das Land seiner Sehnsucht«, sagte Avital Ben-Chorin und fügte hinzu: »So komplex können Dinge sein.«
Den Abend beschloss ein Besuch im Münchener Stadtarchiv. Auch dort in der Winzererstraße hat Schalom Ben-Chorin vor einigen Jahren wieder ein Stück Münchner Heimat gefunden. Seine Bibliothek befindet sich hier, sein Arbeitszimmer aus Jerusalem wurde hier in einem eigenen Raum aufgebaut, woran Michael Stephan als Leiter des Stadtarchivs zur Begrüßung erinnerte.
Zum Abschluss des Tages begegneten die Gäste im Stadtarchiv dem großen Brü-ckenbauer für den christlich-jüdischen Dialog, Schalom Ben-Chorin auf der Leinwand. Unter dem Titel »Der Mann, der sich Frieden nannte« wurde ein Zusammenschnitt mehrerer Filme über ihn gezeigt.