München

Ein Datum des Schreckens

Erinnerung: Unzählige Synagogen und andere jüdische Einrichtungen wurden in der »Reichskristallnacht« in Brand gesetzt, Menschen ermordet oder in den Suizid getrieben. Foto: Marina Maisel

Diffamierung, Entwürdigung, Ächtung, Ausbeutung, Unterdrückung: Am 9. November 1938 gingen die Nationalsozialisten noch einen Schritt weiter. Charlotte Knob­loch, eine zentrale Instanz jüdischen Lebens in Deutschland und weit darüber hinaus, fasst den Schrecken dieses Datums in einem einzigen Satz zusammen. »An diesem Tag«, sagt sie, »wurde das Tor von Auschwitz aufgestoßen.« Sie selbst stand damals als kleines Mädchen an der Hand ihres Vaters vor der brennenden Münchner Synagoge in der Herzog-Rudolf-Straße.

80 Jahre später kann Charlotte Knob­loch als Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern von ihren Arbeitsräumen aus direkt auf die Ohel-Jakob-Synagoge blicken. Gut zehn Jahre ist es her, als Synagoge und Gemeindezentrum entstanden und ein Symbol für die Rückkehr der Juden ins Herz der Stadt wurden.

hetzrede Wenige Gehminuten entfernt liegt das Alte Rathaus. Am 9. November 1938 hatte sich im Großen Saal die gesamte Nazi-Elite versammelt – vereint in ihrem Hass auf Juden. Den Funken, der eine maßlose Welle der Gewalt quer durch Deutschland auslöste, zündete Propagandaminister Jo­seph Goebbels mit einer beispiellosen Hetzrede. Unzählige Synagogen und jüdische Einrichtungen wurden in der »Reichskristallnacht« in Brand gesetzt und demoliert, Tausende jüdische Geschäfte zerstört und geplündert, Menschen ermordet oder durch die Gewaltaktionen in den Suizid getrieben.

Allein aus München wurden mehr als 1000 Männer ins KZ Dachau verschleppt und dort für Wochen und Monate festgehalten, gedemütigt und gequält. 24 dieser als »Aktionshäftlinge« bezeichneten Münchner Gefangenen wurden im Lager ermordet oder starben an den Folgen der im KZ erlittenen Misshandlungen. Der Holocaust folgte.

In Zeiten des Erstarkens rechter politischer Strömungen setzt München anlässlich des 80. Jahrestags der »Reichspogromnacht« ein deutliches Zeichen. Die vielen Veranstaltungen belegen die Bedeutung dieses Datums.

9. NOVEMBER

Lichtinstallation Mit der Lichtinstallation »Hinter allen Namen – Alle Zukunft gründet aus dem Wissen um die Vergangenheit« will der Münchner Künstler Georg Soanca-Pollak zur Reflexion anregen. Bereits am Donnerstag (8. November) projiziert er zwischen 16 und 22 Uhr die Namen verfolgter und ermordeter Münchner Juden auf die Fassade der Ohel-Jakob-Synagoge.

Namenslesung Am Gedenkstein der zerstörten Hauptsynagoge in der Herzog-Max-Straße findet von 9 bis 12.30 Uhr die Lesung der Namen von über 1000 jüdischen Münchnern statt, die ins KZ Da­chau verschleppt wurden. Es beteiligen sich zahlreiche prominente Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und öffentlichem Leben.

Zeitzeugenforum
Hanna Zimmermann (9 Uhr), Ruth Melcer (10 Uhr) und IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch (11 Uhr) stellen sich im »Zeitzeugenforum« den Fragen von jungen Menschen. Die Veranstaltung für Schulklassen, organisiert vom Stadtarchiv, findet im Großen Sitzungssaal des Neuen Rathauses (Marienpatz 8) statt.

Spurensuche Geführte einstündige Stadtrundgänge entlang ehemaliger Wohnadressen jüdischer Menschen vermitteln weitere Eindrücke von den Verfolgungsmechanismen der Nazis und dem Schicksal der Juden in München. Der »Weg der Erinnerung« startet jeweils am Torbogen am Alten Rathaus (Marienplatz) und führt zum Gedenkstein an der Herzog-Max-Straße. Termine: Freitag um 10 und 15.30 Uhr sowie Samstag um 10, 12 und 14 Uhr.

Deportation
Am Ort des ehemaligen Sammel- und Deportationslagers Milbertshofen (Knorrstraße 148/Ecke Troppauer Straße) gedenken Kinder und Jugendliche ihrer Altersgenossen, die in der NS-Zeit deportiert wurden. »Von Milbertshofen nach Kaunas« lautet der Titel der Veranstaltung, die ein besonderes Schlaglicht auf ein unsägliches Kapitel der Vergangenheit wirft.

Mahnung Unter dem Motto »80. Jahrestag der Reichspogromnacht – uns allen zur Mahnung« wird von 12 bis 15 Uhr an die deportierten und ermordeten Juden aus Haar erinnert. Veranstaltungsort: »Guardini 90« am Haderner Stern.

Gedenkweg
Mit einer Einführung in der Sendlinger Kulturschmiede (14 Uhr, Daiserstraße 22) und einem anschließenden »Gedenkweg« zur Lindwurmstraße 185/205 wird an das Schicksal von Joachim Chaim Both erinnert, dem ersten nachgewiesenen Mordopfer der »Reichskristallnacht« in München.

Gedenktafeln
In einer Gedenkfeier in der Gaststätte »Unionsbräu«-Kulturzentrum »Einstein Kultur« wird um 15 Uhr an die Brauereifamilie Schülein und die deportierten und ermordeten Juden aus Haidhausen und der Au erinnert. Eine Gedenktafel ehrt Joseph Schülein anlässlich seines 80. Todestages.

Kristallnacht Das Todesmarsch-Mahnmal von Hubertus von Pilgrim in Allach (Eversbuschstraße 134/Ecke Höcherstraße) ist um 15.30 Uhr Schauplatz einer Lesung. Neben Texten zu politischen Hintergründen der NS-Zeit werden Ausschnitte aus dem Buch Kristallnacht. Gewalt gegen die Münchner Juden im November 1938 von Andreas Heusler und Tobias Weger gelesen.

Lesung Mit einer Lesung von Namen und Biografien wird um 16 Uhr an die Juden in Obergiesing-Fasangarten erinnert. Die musikalisch umrahmte Veranstaltung findet am Ella-Lingens-Platz, Agfa-Parksiedlung, statt.

Erinnerung An die verfolgten und ermordeten Juden wird von 16 bis 18 Uhr im Stadtbezirk Schwanthalerhöhe erinnert. Veranstaltungsort ist der Georg-Freundorfer-Platz.

»Euthanasie« Die Förderstätte »Helfende Hände« (Reichenaustraße 2) wurde als Gedenkort für die »Euthanasie«-Opfer und die Deportation der jüdischen Patienten aus der Pflegeanstalt Eglfing-Haar in die Tötungsanstalt Hartheim konzipiert. Zwischen 16 und 18 Uhr werden historische Texte und Biografien von Münchnern verlesen, die ermordet wurden oder Selbstmord verübten.

Jugendliche Bei der Gedenkfeier von 18 bis 20 Uhr in der Maxvorstadt (Kunstpavillon im Alten Botanischen Garten, Sophienstraße 7a) soll der Schwerpunkt der Erinnerung auf Jugendlichen liegen. Diesen Aspekt greifen die Schülerinnen und Schüler des Luisengymnasiums auf.

Religionen Ein musikalisches Rahmenprogramm sowie Gedichte, Briefe und Gebete, vorgetragen von Vertretern der jüdischen Gemeinde, der christlichen Gemeinden und des Muslimrats München, sind Teil der Gedenkstunde (18.30 bis 20.30 Uhr) des 19. Stadtbezirks. Veranstaltungsort ist der Thalkirchner Platz.

10. NOVEMBER

Lebensläufe Von 12 bis 13 Uhr wird der Nazi-Opfer im Stadtbezirk Ludwigsvorstadt gedacht. Dabei wird der Lebenslauf von neun Betroffenen dargestellt. Veranstaltungsort ist der Gärtnerplatz vor dem Staatstheater.

Musik »Sie waren unsere Nachbarn« lautet der Titel einer Lesung (18 Uhr) auf dem Platz der Menschenrechte in Riem. Den einst dort lebenden und von den Nazis ermordeten Juden, wie beispielsweise der Geigerin Elisabeth Baerlein, die in Auschwitz ermordet wurde, soll mit Musik, Bildern und biografischen Daten ein Gesicht gegeben werden.

Außenlager Das ehemalige KZ-Außenlager Allach in Ludwigsfeld ist um 11 Uhr Schauplatz einer Gedenkfeier vor der KZ-Baracke in der Granatstraße 10. Dort waren auch jüdische Kriegsgefangene aus der Sowjetunion interniert.

Schwabing
Die Publizisten Inge Kurtz und Jürgen Geers lesen ein Kapitel aus ihrem Buch Unter dem Gras darüber. Ein Jahrhundert deutscher Geschichte: Zeitzeugen erzählen; Michael Stephan, Direktor des Stadtarchivs München, berichtet über Spuren jüdischen Lebens im Stadtviertel Schwabing; und das aktuelle Stadtarchiv-Projekt »Erinnerungszeichen« wird vorgestellt. Abschließend ist ein Gespräch zum Thema »Erinnerungskultur« geplant. So wird in Schwabing an die NS-Opfer erinnert. Veranstaltungsort: »Import Export« im Kreativquartier, Schwere-Reiter-Straße 2/Dachauer Straße 114.

Gedenkkonzert
Unter dem Titel »S’s brent, Brider, s’s brent« erzählt und singt die Leiterin des jüdischen Erziehungswesens der Israelitischen Kultusgemeinde, Michaela Rychlá, Lieder der untergegangenen europäisch-jüdischen Welt und ihrer fast vergessenen Kultur. Hebräische und jiddische Musik bringt den Zuhörern das Leben der Juden am Vorabend der Schoa näher. Der Eintritt zur Veranstaltung am Dienstag, 13. November, 18 Uhr, im Jüdischen Gemeindezentrum am Jakobsplatz ist frei, um Anmeldung wird gebeten – telefonisch unter 089/20 24 00 275, 089/20 24 00 491 oder per E-Mail an: karten@ikg-m.de.

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