Berlin

»Ein bewegender Moment«

Für die acht Absolventen des Abraham Geiger Kollegs in Potsdam war es der Abschluss einer langen Ausbildung, für andere dagegen ein fröhliches Wiedersehen mit ehemaligen Kommilitonen und Anlass, sich an noch einmal an ihre eigene Studienzeit zu erinnern.

»Die Tatsache, dass eine neue Generation Rabbinerinnen sowie Kantorinnen und Kantoren hier in der Synagoge Rykestraße ihre Ordination erhalten, ist für mich persönlich ein sehr bewegender Moment und verweist auf eine Erfolgsgeschichte«, erklärte Boris Ronis, der 2010 ebenfalls sein Studium am Abraham Geiger Kolleg beendet hatte und seit 2016 Gemeinderabbiner der Synagoge Rykestraße ist.

Konstantin Pal, auch ein Alumni und heute Militärrabbiner, wünschte seinen neuen Kolleginnen und Kollegen viel Glück für die Zukunft. »Ich bin mir sicher, sie alle werden der jüdischen Gemeinschaft wertvolle Dienste leisten.«

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»Es ist ein festlicher Tag«, so Rabbiner Boris Ronis denn auch in seiner  Begrüßungsrede an die vielen geladenen Gäste, darunter Felix Klein, den Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland, Professor Julius Schoeps, Vorstandsvorsitzender der Moses Mendelsohn Stiftung, sowie Andreas Büttner, Antisemitismusbeauftragter des Landes Brandenburg, und die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Lamya Kaddor.

Zugleich nannte er auch einen weiteren Grund zum Feiern, und zwar das Jubiläum der Synagoge selbst. »Am 4. September 1904 wurde das Gebäude eingeweiht, also vor ziemlich genau 120 Jahren.« Außerdem sei gerade der Elul angebrochen, der Monat vor Rosch Haschana. »Deswegen lassen wir auch jeden Tag das Schofar erklingen.«

Auch sechs neue Kantorinnen und Kantoren wurden ordiniert

Damit hatte der Rabbiner quasi das Stichwort für den eigentlichen Anlass der Feierlichkeiten geliefert, und zwar die Ordination von zwei neuen Rabbinerinnen sowie die Investitur sechs Kantorinnen und Kantoren. Eine von ihnen, und zwar Annette Willing von der Liberalen Jüdischen Gemeinde Region Kassel e.V. Emet weSchalom, gab im Anschluss an die Begrüßungsrede sofort auch eine kleine Demonstration ihres Könnens und blies das Widderhorn.

Unter großem Beifall ihrer Familien, Freunde und der rund 250 anwesenden Gäste zogen die acht Absolventinnen und Absolventen des Abraham Geiger Kollegs in die Synagoge ein. Viele von ihnen trugen eine gelbe Schleife an ihrer schwarzen Kleidung, als Ausdruck der Verbundenheit mit den Opfern des palästinensischen Terrorangriffs vom 7. Oktober sowie den Geiseln in der Gewalt der Hamas.

»In den vergangenen elf Monaten gab es für uns Juden wenig Grund und Anlass zur Freude«, betonte deshalb auch Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Berlin, in seinem Grußwort. »Um so mehr können wir uns heute über die Ordination von acht wunderbaren Menschen freuen.«

Auch er wusste von einem weiteren Jubiläum zu berichten, dem 158. Jahrestag der Einweihung der Neuen Synagoge Oranienburger Straße. »Und zwar auf den Tag genau, am 5. September 1856.« Für den Gemeindevorsitzenden ist das nichts weniger als ein »Gottesbeweis«. Zum einen, weil die Neue Synagoge Oranienburger Straße immer noch existiert, zum anderen, »da wir 158 Jahre später, am 5. September 2024 wieder Rabbiner und Kantoren in Berlin ordinieren können«.

Avigail Ben Dor Niv und Sophie Bismut sind nun Rabbinerinnen

Dann war es soweit. Avigail Ben Dor Niv, 1989 in Jerusalem geboren, sowie Sophie Bismut, die aus Frankreich stammt und sich dort für die Entwicklung des progressiven und egalitären Judentums stark gemacht hat, erhielten von Rabbiner Andreas Nachama, Direktor des Rabbinerseminars am Abraham Geiger Kolleg, ihre Urkunden. Beide werden nach ihrer Ordination als Rabbinerinnen arbeiten, Avigail Ben Dor Niv in der liberalen Migwan-Gemeinde in Basel, und Sophie Bismut in Marseille und Montpellier.

Die neuen Kantorinnen und Kantoren Milan Andics, Dmitry Karpenko, Shulamit Lubowska sowie Yoed Sorek, Alina Treiger, die bereits 2010 als erste Rabbinerin nach der Schoa in Deutschland ihre Ordination erhalten hatte, und Annette Willing bekamen von Kantor Isidore Abramowicz, Direktor des Kantorenseminars des Abraham Geiger Kollegs, ihre Urkunden überreicht. Dabei strahlten alle sechs um die Wette und bewiesen noch einmal, gemeinsam mit dem Chor der Synagoge Pestalozzistraße, zu welchen Höchstleistungen ihre Stimmen fähig sind.

Der monatelange Streit lag in der Luft

Doch so schön dieser Abend für die Anwesenden war, so lag doch auch der monatelange Streit um die liberale wie konservative Rabbinats- und Kantoratsausbildung in Deutschland in der Luft. Schon im Februar 2024 hatte der Zentralrat der Juden die Gründung einer neuen »religionsgemeinschaftlichen Stiftung« angekündigt, da man kein Vertrauen mehr in die derzeitige Trägerstruktur der Ausbildung unter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin habe.

Mit der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, die seit rund anderthalb Jahren die Trägerschaft der beiden Potsdamer Rabbinerseminare Abraham-Geiger-Kolleg und Zacharias-Frankel-College innehat, konnte keine Einigung über die Rabbinerausbildung unter der Trägerschaft der neuen Stiftung erreicht werden.

Zentralrat möchte Rabbinerausbildung neu strukturieren

Am Freitagmorgen, also dem Tag nach der Ordination, teilte der Zentralrat mit, dass jene angekündigte Stiftung ihre Arbeit nun aufnehme: »Mit Beginn der Ausbildungstätigkeiten in Trägerschaft der Nathan Peter Levinson Stiftung soll eine lange Phase von Turbulenzen und Unsicherheit für die liberale und konservative Rabbiner- und Kantorenausbildung in Deutschland beendet werden.«

Am gleichen Tag noch reagierten die »World Union for Progressive Judaism« und die »European Union for Progressive Judaism« zutiefst beunruhigt und überrascht über die jüngste Entscheidung des Zentralrats, eine neue liberale Rabbinerausbildungsstätte zu gründen, »ohne die nationalen und internationalen progressiven jüdischen Bewegungen einzubeziehen«. Die Institutionen machten in ihrer Pressemitteilung deutlich, sie würden nur ein liberales Ausbildungsprogramm für Rabbiner und Kantoren in Deutschland anerkennen: das Abraham Geiger Kolleg. Auch die Jüdische Gemeinde zu Berlin schloss sich als Trägerin des Kollegs dem Protest an.

Nach eigenen Angaben feiert das Abraham Geiger Kolleg (AGK) derzeit ebenfalls ein Jubiläum, weil es vor genau einem Vierteljahrhundert gegründet wurde. »47 im AGK ausgebildete Rabbinerinnen und Rabbiner sowie Kantorinnen und Kantoren amtieren bisher sowohl in Deutschland als auch international in liberalen jüdischen Gemeinden«, hieß es in der Presseinladung zur Ordination. Nun sind acht weitere hinzweitere hinzugekommen.

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